Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Geisa und Andreas verliehene Freibrief Schutz und Schirm ihrer Gerecht¬
same für alle Ewigkeit sein würde. In der That schützten sie sich die Jahr¬
hunderte hindurch gegen die innern Angriffe der ihrem republikanischen Bürger-
thum abgeneigten ungarischen Feudalen wie der spätern katholischen habsburgischen
Priesterherrschaft wie auch gegen die Angriffe äußerer Feinde, der Walachen,
Tataren und Türken mit größter Kraft und Zähigkeit. Ihnen verblieb bis
zum Jahre 1848, bis zu dem nur zu sehr mit tauben Blüthen gesegneten
Völkerfrühling, in der Hauptsache das kostbare Gut ihrer nationalen und
municipalen Selbständigkeit, und das Recht, was veraltet erschien, mit eigener
Kraft zu verjüngen. Der Zustand ihres inneren Verfassungslebens befand sich
um eben diese Zeit vollkommen auf dem Wege der Reform. Was die März¬
stürme in Wien und Pest ihnen an bürgerlicher Freiheit bieten konnten, besaßen
sie bereits zumeist seit alten Zeiten. So erfüllte sie die sehr hervortretende
nationale Bedeutung der freiheitlichen Bewegung jener Zeit in Ungarn mit
Vorsicht für die Wahrung ihrer eignen deutschen Nationalität.

Man weiß, daß sich 1848 die nicht magyarischen Stämmen Ungarns, die
Slaven und Rumänen, gegen die, in der Wiener Hofburg wenigstens, als re¬
volutionär bezeichnete Negierung in Pest erhoben, daß sich die sieben¬
bürger Sachsen ihnen angeschlossen, und daß es mit russischer Beihilfe 1840
gelang, der ungarischen Bewegung Herr zu werden. Aber nur zu sehr hat
man vergessen, daß der "Dank vom Hause Oesterreich," selbst unter der abso¬
luten Herrschaft des Kaisers Franz Josef in seinem ersten Regierungs-
jahre, sehr viel zu wünschen übrig ließ. Die siebenbürger Sachsen, welche
unter der schwarzgelben Fahne für die Erhaltung ihrer nationalen wie bürger¬
lichen Selbständigkeit mit großen Opfern in den Jahren 1848 und 1849 ge¬
stritten, sahen letztere ebenso beseitigt, wie die Ungarn, welche gegen die kaiser¬
liche Herrschaft gekämpft hatten. Man hatte ihnen eine kurze Zeit hindurch sogar
die Hoffnung gemacht, als ein eigenes Kronland im allgemeinen österreichischen
Völkervcrband eine besondere Stelle einnehmen zu dürfen. Und um sahen sie
sich nicht nur dieser Hoffnung beraubt, sondern einfach der allgemeinen abso¬
lutistischen Schablone, welche keine besonderen Völker und Stammesgenossen
im weiten Kaiserreich anerkannte, angepaßt. Und noch hätten sie sich deutsch¬
nationaler Ursachen halber, wiewohl schmerzlich berührt, dieser Anordnung
fügen können, hätten sie nur vermocht, in dem absolutistischen Regiment,
eine wirkliche Neigung, deutsche Cultur und Sitte in der edelsten Gestalt zu
hegen und zu pflegen, zu erkennen. Davon war aber keine Rede, das Deutsch-
thum gelangte nur dazu dem österreichischen gesammtstaatlichen Bureaukatismus
zum Fußschemel zu dienen. Wir übergehen die traurige Zeit das Concor-
dates, des Knmtriegs und; des 1859er Feldzugs bis zum Octoberdiplom
des Jahres 1860.j


von Geisa und Andreas verliehene Freibrief Schutz und Schirm ihrer Gerecht¬
same für alle Ewigkeit sein würde. In der That schützten sie sich die Jahr¬
hunderte hindurch gegen die innern Angriffe der ihrem republikanischen Bürger-
thum abgeneigten ungarischen Feudalen wie der spätern katholischen habsburgischen
Priesterherrschaft wie auch gegen die Angriffe äußerer Feinde, der Walachen,
Tataren und Türken mit größter Kraft und Zähigkeit. Ihnen verblieb bis
zum Jahre 1848, bis zu dem nur zu sehr mit tauben Blüthen gesegneten
Völkerfrühling, in der Hauptsache das kostbare Gut ihrer nationalen und
municipalen Selbständigkeit, und das Recht, was veraltet erschien, mit eigener
Kraft zu verjüngen. Der Zustand ihres inneren Verfassungslebens befand sich
um eben diese Zeit vollkommen auf dem Wege der Reform. Was die März¬
stürme in Wien und Pest ihnen an bürgerlicher Freiheit bieten konnten, besaßen
sie bereits zumeist seit alten Zeiten. So erfüllte sie die sehr hervortretende
nationale Bedeutung der freiheitlichen Bewegung jener Zeit in Ungarn mit
Vorsicht für die Wahrung ihrer eignen deutschen Nationalität.

Man weiß, daß sich 1848 die nicht magyarischen Stämmen Ungarns, die
Slaven und Rumänen, gegen die, in der Wiener Hofburg wenigstens, als re¬
volutionär bezeichnete Negierung in Pest erhoben, daß sich die sieben¬
bürger Sachsen ihnen angeschlossen, und daß es mit russischer Beihilfe 1840
gelang, der ungarischen Bewegung Herr zu werden. Aber nur zu sehr hat
man vergessen, daß der „Dank vom Hause Oesterreich," selbst unter der abso¬
luten Herrschaft des Kaisers Franz Josef in seinem ersten Regierungs-
jahre, sehr viel zu wünschen übrig ließ. Die siebenbürger Sachsen, welche
unter der schwarzgelben Fahne für die Erhaltung ihrer nationalen wie bürger¬
lichen Selbständigkeit mit großen Opfern in den Jahren 1848 und 1849 ge¬
stritten, sahen letztere ebenso beseitigt, wie die Ungarn, welche gegen die kaiser¬
liche Herrschaft gekämpft hatten. Man hatte ihnen eine kurze Zeit hindurch sogar
die Hoffnung gemacht, als ein eigenes Kronland im allgemeinen österreichischen
Völkervcrband eine besondere Stelle einnehmen zu dürfen. Und um sahen sie
sich nicht nur dieser Hoffnung beraubt, sondern einfach der allgemeinen abso¬
lutistischen Schablone, welche keine besonderen Völker und Stammesgenossen
im weiten Kaiserreich anerkannte, angepaßt. Und noch hätten sie sich deutsch¬
nationaler Ursachen halber, wiewohl schmerzlich berührt, dieser Anordnung
fügen können, hätten sie nur vermocht, in dem absolutistischen Regiment,
eine wirkliche Neigung, deutsche Cultur und Sitte in der edelsten Gestalt zu
hegen und zu pflegen, zu erkennen. Davon war aber keine Rede, das Deutsch-
thum gelangte nur dazu dem österreichischen gesammtstaatlichen Bureaukatismus
zum Fußschemel zu dienen. Wir übergehen die traurige Zeit das Concor-
dates, des Knmtriegs und; des 1859er Feldzugs bis zum Octoberdiplom
des Jahres 1860.j


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127784"/>
          <p xml:id="ID_1233" prev="#ID_1232"> von Geisa und Andreas verliehene Freibrief Schutz und Schirm ihrer Gerecht¬<lb/>
same für alle Ewigkeit sein würde. In der That schützten sie sich die Jahr¬<lb/>
hunderte hindurch gegen die innern Angriffe der ihrem republikanischen Bürger-<lb/>
thum abgeneigten ungarischen Feudalen wie der spätern katholischen habsburgischen<lb/>
Priesterherrschaft wie auch gegen die Angriffe äußerer Feinde, der Walachen,<lb/>
Tataren und Türken mit größter Kraft und Zähigkeit. Ihnen verblieb bis<lb/>
zum Jahre 1848, bis zu dem nur zu sehr mit tauben Blüthen gesegneten<lb/>
Völkerfrühling, in der Hauptsache das kostbare Gut ihrer nationalen und<lb/>
municipalen Selbständigkeit, und das Recht, was veraltet erschien, mit eigener<lb/>
Kraft zu verjüngen. Der Zustand ihres inneren Verfassungslebens befand sich<lb/>
um eben diese Zeit vollkommen auf dem Wege der Reform. Was die März¬<lb/>
stürme in Wien und Pest ihnen an bürgerlicher Freiheit bieten konnten, besaßen<lb/>
sie bereits zumeist seit alten Zeiten. So erfüllte sie die sehr hervortretende<lb/>
nationale Bedeutung der freiheitlichen Bewegung jener Zeit in Ungarn mit<lb/>
Vorsicht für die Wahrung ihrer eignen deutschen Nationalität.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1234"> Man weiß, daß sich 1848 die nicht magyarischen Stämmen Ungarns, die<lb/>
Slaven und Rumänen, gegen die, in der Wiener Hofburg wenigstens, als re¬<lb/>
volutionär bezeichnete Negierung in Pest erhoben, daß sich die sieben¬<lb/>
bürger Sachsen ihnen angeschlossen, und daß es mit russischer Beihilfe 1840<lb/>
gelang, der ungarischen Bewegung Herr zu werden. Aber nur zu sehr hat<lb/>
man vergessen, daß der &#x201E;Dank vom Hause Oesterreich," selbst unter der abso¬<lb/>
luten Herrschaft des Kaisers Franz Josef in seinem ersten Regierungs-<lb/>
jahre, sehr viel zu wünschen übrig ließ. Die siebenbürger Sachsen, welche<lb/>
unter der schwarzgelben Fahne für die Erhaltung ihrer nationalen wie bürger¬<lb/>
lichen Selbständigkeit mit großen Opfern in den Jahren 1848 und 1849 ge¬<lb/>
stritten, sahen letztere ebenso beseitigt, wie die Ungarn, welche gegen die kaiser¬<lb/>
liche Herrschaft gekämpft hatten. Man hatte ihnen eine kurze Zeit hindurch sogar<lb/>
die Hoffnung gemacht, als ein eigenes Kronland im allgemeinen österreichischen<lb/>
Völkervcrband eine besondere Stelle einnehmen zu dürfen. Und um sahen sie<lb/>
sich nicht nur dieser Hoffnung beraubt, sondern einfach der allgemeinen abso¬<lb/>
lutistischen Schablone, welche keine besonderen Völker und Stammesgenossen<lb/>
im weiten Kaiserreich anerkannte, angepaßt. Und noch hätten sie sich deutsch¬<lb/>
nationaler Ursachen halber, wiewohl schmerzlich berührt, dieser Anordnung<lb/>
fügen können, hätten sie nur vermocht, in dem absolutistischen Regiment,<lb/>
eine wirkliche Neigung, deutsche Cultur und Sitte in der edelsten Gestalt zu<lb/>
hegen und zu pflegen, zu erkennen. Davon war aber keine Rede, das Deutsch-<lb/>
thum gelangte nur dazu dem österreichischen gesammtstaatlichen Bureaukatismus<lb/>
zum Fußschemel zu dienen. Wir übergehen die traurige Zeit das Concor-<lb/>
dates, des Knmtriegs und; des 1859er Feldzugs bis zum Octoberdiplom<lb/>
des Jahres 1860.j</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0388] von Geisa und Andreas verliehene Freibrief Schutz und Schirm ihrer Gerecht¬ same für alle Ewigkeit sein würde. In der That schützten sie sich die Jahr¬ hunderte hindurch gegen die innern Angriffe der ihrem republikanischen Bürger- thum abgeneigten ungarischen Feudalen wie der spätern katholischen habsburgischen Priesterherrschaft wie auch gegen die Angriffe äußerer Feinde, der Walachen, Tataren und Türken mit größter Kraft und Zähigkeit. Ihnen verblieb bis zum Jahre 1848, bis zu dem nur zu sehr mit tauben Blüthen gesegneten Völkerfrühling, in der Hauptsache das kostbare Gut ihrer nationalen und municipalen Selbständigkeit, und das Recht, was veraltet erschien, mit eigener Kraft zu verjüngen. Der Zustand ihres inneren Verfassungslebens befand sich um eben diese Zeit vollkommen auf dem Wege der Reform. Was die März¬ stürme in Wien und Pest ihnen an bürgerlicher Freiheit bieten konnten, besaßen sie bereits zumeist seit alten Zeiten. So erfüllte sie die sehr hervortretende nationale Bedeutung der freiheitlichen Bewegung jener Zeit in Ungarn mit Vorsicht für die Wahrung ihrer eignen deutschen Nationalität. Man weiß, daß sich 1848 die nicht magyarischen Stämmen Ungarns, die Slaven und Rumänen, gegen die, in der Wiener Hofburg wenigstens, als re¬ volutionär bezeichnete Negierung in Pest erhoben, daß sich die sieben¬ bürger Sachsen ihnen angeschlossen, und daß es mit russischer Beihilfe 1840 gelang, der ungarischen Bewegung Herr zu werden. Aber nur zu sehr hat man vergessen, daß der „Dank vom Hause Oesterreich," selbst unter der abso¬ luten Herrschaft des Kaisers Franz Josef in seinem ersten Regierungs- jahre, sehr viel zu wünschen übrig ließ. Die siebenbürger Sachsen, welche unter der schwarzgelben Fahne für die Erhaltung ihrer nationalen wie bürger¬ lichen Selbständigkeit mit großen Opfern in den Jahren 1848 und 1849 ge¬ stritten, sahen letztere ebenso beseitigt, wie die Ungarn, welche gegen die kaiser¬ liche Herrschaft gekämpft hatten. Man hatte ihnen eine kurze Zeit hindurch sogar die Hoffnung gemacht, als ein eigenes Kronland im allgemeinen österreichischen Völkervcrband eine besondere Stelle einnehmen zu dürfen. Und um sahen sie sich nicht nur dieser Hoffnung beraubt, sondern einfach der allgemeinen abso¬ lutistischen Schablone, welche keine besonderen Völker und Stammesgenossen im weiten Kaiserreich anerkannte, angepaßt. Und noch hätten sie sich deutsch¬ nationaler Ursachen halber, wiewohl schmerzlich berührt, dieser Anordnung fügen können, hätten sie nur vermocht, in dem absolutistischen Regiment, eine wirkliche Neigung, deutsche Cultur und Sitte in der edelsten Gestalt zu hegen und zu pflegen, zu erkennen. Davon war aber keine Rede, das Deutsch- thum gelangte nur dazu dem österreichischen gesammtstaatlichen Bureaukatismus zum Fußschemel zu dienen. Wir übergehen die traurige Zeit das Concor- dates, des Knmtriegs und; des 1859er Feldzugs bis zum Octoberdiplom des Jahres 1860.j

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/388
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/388>, abgerufen am 22.12.2024.