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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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standen, jetzt ist siezwar abgeschafft, aber dem armen Sünder geht es trotzdem
schlimm genug: er wird verdonnert zu ewiger Einsparung, verschärft durch
zwei Eßlöffel voll Castoröl täglich.

Andrerseits ist ein reicher Kaufmann und Börsenstammgast, bei dem unser
Berichterstatter sich eine Zeit aufhält, wegen seiner vortrefflichen Gesundheit
allgemein geachtet, muß sich aber wegen gewisser moralischer Mängel einer
ziemlich scharfen und schmerzhaften Cur unterziehen. Der wackere Herr Nos-
nibor leidet nämlich an einer Krankheit, die man bei uns etwa mit dem Worte
Kleptomanie bezeichnen würde, das Organ der Ehrlichkeit ist in Folge thörichter
Nachlässigkeit, welche die ersten Symptome des Uebels mißachtete, in bedenk¬
lichsten Grade, geschwächt oder von dem des Erwerbssinnes, welches man sich
in der Form eines Geldsacks zu denken hat, und welches bei ihm ähnlich wie
bei manchen Kranken die Fettleber, auf benachbarte edlere Organe drückt, ver¬
schoben und beengt. Das Buch erzählt uns von ihm:

"Es schien, daß er seit vielen Jahren an der Börse zu Hause gewesen
war und einen enormen Reichthum aufgehäuft hatte, ohne gerade die Grenzen
dessen zu überschreiten, was sich nach allgemeiner Ansicht rechtfertigen ließ
oder doch nach kaufmännischer Usance für erlaubt galt, daß er aber zuletzt bei
verschiedenen Gelegenheiten an sich ein Gelüsten bemerkt hatte, durch be¬
trügerische Borspiegelungen Geld zu verdienen. Mehrmals hatte er in Folge
dieses krankhaften Treibens erhebliche Summen in einer Weise gewonnen, die
ihn den Leuten recht unbequem machte. Unglücklicherweise hatte er das auf
die leichte Achsel genommen und die dafür geeignete Arznei verschmäht, bis
sich endlich Umstände darboten, die ihn in den Stand setzten, einen Betrug
im größten Maßstabe zu verüben. Er sagte mir, welcher Art sie waren, und
sie waren in der That so faul, als etwas sein kann, aber es ist nicht nöthig,
sie im Einzelnen auseinander zu setzen. Er ergriff leider die Gelegenheit und
wurde zu spät gewahr, daß bei ihm allen Ernstes etwas nicht in der richtigen
Ordnung sein mußte. Er hatte sich zu lange vernachlässigt. Jetzt besorgt
geworden, fuhr er unverzüglich nach Hause, theilte seinen Zustand vorsichtig
Frau und Kindern mit, und schickte dann nach einem der berühmtesten
Chirurgen des Landes, um ihn zu einer Prüfung des Falles in Gemeinschaft
mit dem Hausarzte bitten zu lassen. Als der Chirurg kam, erzählte er ihm
seine Krankheitsgeschichte, und drückte ihm seine Befürchtung aus, daß feine
moralische Constitution unheilbar zerrüttet sein möchte. Der berühmte Mann
tröstete ihn mit einigen Scherzen, dann ging er daran, ihn sorgsam zu unter¬
suchen und die Diagnose des Uebels zu stellen."

Auch die Freunde der schwer geprüften Familie drücken ihre wärmste
Theilnahme für den armen Leidenden aus und zeigen ihm so viel Wohlwollen


standen, jetzt ist siezwar abgeschafft, aber dem armen Sünder geht es trotzdem
schlimm genug: er wird verdonnert zu ewiger Einsparung, verschärft durch
zwei Eßlöffel voll Castoröl täglich.

Andrerseits ist ein reicher Kaufmann und Börsenstammgast, bei dem unser
Berichterstatter sich eine Zeit aufhält, wegen seiner vortrefflichen Gesundheit
allgemein geachtet, muß sich aber wegen gewisser moralischer Mängel einer
ziemlich scharfen und schmerzhaften Cur unterziehen. Der wackere Herr Nos-
nibor leidet nämlich an einer Krankheit, die man bei uns etwa mit dem Worte
Kleptomanie bezeichnen würde, das Organ der Ehrlichkeit ist in Folge thörichter
Nachlässigkeit, welche die ersten Symptome des Uebels mißachtete, in bedenk¬
lichsten Grade, geschwächt oder von dem des Erwerbssinnes, welches man sich
in der Form eines Geldsacks zu denken hat, und welches bei ihm ähnlich wie
bei manchen Kranken die Fettleber, auf benachbarte edlere Organe drückt, ver¬
schoben und beengt. Das Buch erzählt uns von ihm:

„Es schien, daß er seit vielen Jahren an der Börse zu Hause gewesen
war und einen enormen Reichthum aufgehäuft hatte, ohne gerade die Grenzen
dessen zu überschreiten, was sich nach allgemeiner Ansicht rechtfertigen ließ
oder doch nach kaufmännischer Usance für erlaubt galt, daß er aber zuletzt bei
verschiedenen Gelegenheiten an sich ein Gelüsten bemerkt hatte, durch be¬
trügerische Borspiegelungen Geld zu verdienen. Mehrmals hatte er in Folge
dieses krankhaften Treibens erhebliche Summen in einer Weise gewonnen, die
ihn den Leuten recht unbequem machte. Unglücklicherweise hatte er das auf
die leichte Achsel genommen und die dafür geeignete Arznei verschmäht, bis
sich endlich Umstände darboten, die ihn in den Stand setzten, einen Betrug
im größten Maßstabe zu verüben. Er sagte mir, welcher Art sie waren, und
sie waren in der That so faul, als etwas sein kann, aber es ist nicht nöthig,
sie im Einzelnen auseinander zu setzen. Er ergriff leider die Gelegenheit und
wurde zu spät gewahr, daß bei ihm allen Ernstes etwas nicht in der richtigen
Ordnung sein mußte. Er hatte sich zu lange vernachlässigt. Jetzt besorgt
geworden, fuhr er unverzüglich nach Hause, theilte seinen Zustand vorsichtig
Frau und Kindern mit, und schickte dann nach einem der berühmtesten
Chirurgen des Landes, um ihn zu einer Prüfung des Falles in Gemeinschaft
mit dem Hausarzte bitten zu lassen. Als der Chirurg kam, erzählte er ihm
seine Krankheitsgeschichte, und drückte ihm seine Befürchtung aus, daß feine
moralische Constitution unheilbar zerrüttet sein möchte. Der berühmte Mann
tröstete ihn mit einigen Scherzen, dann ging er daran, ihn sorgsam zu unter¬
suchen und die Diagnose des Uebels zu stellen."

Auch die Freunde der schwer geprüften Familie drücken ihre wärmste
Theilnahme für den armen Leidenden aus und zeigen ihm so viel Wohlwollen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/383>, abgerufen am 22.07.2024.