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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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verschieden, und ebensowenig stechen die Menschen durch äußere Eigenschaften,
Größe, Gesichtsbildung und tgi. irgendwie von uns ab. Weder Centauren
noch Cyklopen, sind sie uns europäischen Sterblichen vielmehr in diesen Be¬
ziehungen so ähnlich wie nur möglich. Selbst ihre Sitten gleichen den unsern
in vielen Stücken. Sie essen und trinken gern was Gutes wie wir, sie freien und
lassen sich freien, wie wir, sie speculiren in Papierchen wir wir, sie halten ganz
wie wir die Stiefelwichse nicht für eßbar und dünken keine Fensterladen in
ihren Morgenkaffee.

Und dennoch sind sie gar wunderliche Käuze und ein ganz entschiedenes
Zubehör zur verkehrten Welt, wie wir sogleich sehen werden.

Unser Reisender fand es zunächst auffallend, daß die Leute, denen er
begegnete, fast ausnahmslos von außerordentlicher Schönheit waren und durch-
gehends ein gesundes Aussehen hatten. Als er aber nähere Bekanntschaft
mit ihnen machte, erfuhr er, daß dieß die Folge einer eigenthümlichen Verwirrung
in ihren Borstellungen war. Er hatte eben nur die Gesunden zu sehen be¬
kommen, die Kranken und Krüppel saßen im Gefängniß. Unter den Ere-
wohniten hatten nämlich Verbrechen und Krankheit die Stellen vertauscht. Sie
betrachteten Kranksein als Sünde, und einen schlechten Charakter haben,
einfach als eine Folge von Unwohlsein. Einen Dieb schickte man deshalb
zum Arzte, einen Erkrankten zum Richter. Die Gesundheit, so sagte man
dem darüber verwunderten Reisenden, ist in unsre eigne Hand gelegt, jeder
kann sich vor Fieber, Erkältung, selbst vor Schwindsucht hüten, wenn er nur
lernen will, was diese Uebel veranlaßt, und dann nach seiner Kenntniß handelt.
Allerdings mag es erbliche physische Fehler geben, aber die bürgerliche Gesell¬
schaft kann davon keine Notiz nehmen; denn das wäre gerade so, wie wenn
sie dem Mörder gestatten wollte, sich zur Entschuldigung seiner That auf den
phrenologischen Schädelbuckel zu berufen, in welchem der Mordsinn sitzen soll.
Mit dem Verbrechen verhielte es sich anders. Das wäre das Symptom einer
erkrankten Natur, die ihrerseits ihre Ursachen in Dingen hätte, von denen der
Patient nichts wüßte, weshalb es eine Monstrosität sein würde, ihn dafür
in Strafe zu nehmen.

Hieraus ergeben sich in dem Buche eine Menge zum Theil recht ergötzlicher
Situationen. Der Reisende wird bald nach seiner Ankunft beim Kragen genommen
und eingesteckt, vorzüglich, weil er in Folge seiner Reisestrapatzen ein kränkliches
Aussehen hat, und man läßt ihn nicht eher wieder los, als bis er sich voll¬
ständig erholt hat.

Später wohnt er dem Verhör und der Aburtheilung eines Erewohniten
bei, der angeklagt ist, die Lungenschwindsucht zu haben, und sein Bericht
von der Rede, die der Richter bei dieser Gelegenheit hält, ist das Lustigste,
was man lesen kann. Früher hat auf dieses Verbrechen die Todesstrafe ge-


verschieden, und ebensowenig stechen die Menschen durch äußere Eigenschaften,
Größe, Gesichtsbildung und tgi. irgendwie von uns ab. Weder Centauren
noch Cyklopen, sind sie uns europäischen Sterblichen vielmehr in diesen Be¬
ziehungen so ähnlich wie nur möglich. Selbst ihre Sitten gleichen den unsern
in vielen Stücken. Sie essen und trinken gern was Gutes wie wir, sie freien und
lassen sich freien, wie wir, sie speculiren in Papierchen wir wir, sie halten ganz
wie wir die Stiefelwichse nicht für eßbar und dünken keine Fensterladen in
ihren Morgenkaffee.

Und dennoch sind sie gar wunderliche Käuze und ein ganz entschiedenes
Zubehör zur verkehrten Welt, wie wir sogleich sehen werden.

Unser Reisender fand es zunächst auffallend, daß die Leute, denen er
begegnete, fast ausnahmslos von außerordentlicher Schönheit waren und durch-
gehends ein gesundes Aussehen hatten. Als er aber nähere Bekanntschaft
mit ihnen machte, erfuhr er, daß dieß die Folge einer eigenthümlichen Verwirrung
in ihren Borstellungen war. Er hatte eben nur die Gesunden zu sehen be¬
kommen, die Kranken und Krüppel saßen im Gefängniß. Unter den Ere-
wohniten hatten nämlich Verbrechen und Krankheit die Stellen vertauscht. Sie
betrachteten Kranksein als Sünde, und einen schlechten Charakter haben,
einfach als eine Folge von Unwohlsein. Einen Dieb schickte man deshalb
zum Arzte, einen Erkrankten zum Richter. Die Gesundheit, so sagte man
dem darüber verwunderten Reisenden, ist in unsre eigne Hand gelegt, jeder
kann sich vor Fieber, Erkältung, selbst vor Schwindsucht hüten, wenn er nur
lernen will, was diese Uebel veranlaßt, und dann nach seiner Kenntniß handelt.
Allerdings mag es erbliche physische Fehler geben, aber die bürgerliche Gesell¬
schaft kann davon keine Notiz nehmen; denn das wäre gerade so, wie wenn
sie dem Mörder gestatten wollte, sich zur Entschuldigung seiner That auf den
phrenologischen Schädelbuckel zu berufen, in welchem der Mordsinn sitzen soll.
Mit dem Verbrechen verhielte es sich anders. Das wäre das Symptom einer
erkrankten Natur, die ihrerseits ihre Ursachen in Dingen hätte, von denen der
Patient nichts wüßte, weshalb es eine Monstrosität sein würde, ihn dafür
in Strafe zu nehmen.

Hieraus ergeben sich in dem Buche eine Menge zum Theil recht ergötzlicher
Situationen. Der Reisende wird bald nach seiner Ankunft beim Kragen genommen
und eingesteckt, vorzüglich, weil er in Folge seiner Reisestrapatzen ein kränkliches
Aussehen hat, und man läßt ihn nicht eher wieder los, als bis er sich voll¬
ständig erholt hat.

Später wohnt er dem Verhör und der Aburtheilung eines Erewohniten
bei, der angeklagt ist, die Lungenschwindsucht zu haben, und sein Bericht
von der Rede, die der Richter bei dieser Gelegenheit hält, ist das Lustigste,
was man lesen kann. Früher hat auf dieses Verbrechen die Todesstrafe ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/382>, abgerufen am 22.07.2024.