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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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hellblond, fast röthlich sein Haar, gebeugt seine Haltung; er hatte ein hervor¬
tretendes Kinn und stechende Augen: scheinbar apathisch und kalt, verbarg er doch
unter ruhigem Aeußern tiefe und heftige Leidenschaften: er war durchaus eine
nervöse reizbare Natur. Im Aerger war er furchtbar; schonungslos verfolgte
er die ihn beleidigt hatten: selten zur Milde geneigt, war er rachsüchtig und hart
gegen seine Freunde. Schon von dem Jüngling hieß es, er werde niemals
eine Beleidigung vergessen: wehe dem, der ihn einmal gereizt und sich zum
Feinde gemacht!

Er wurde unter Niederländern von Niederländern erzogen. Seine Spiel¬
genossen und Jugendfreunde waren aus dem niederländischen Adel gewählt.
Zum Hofmeister hatte man ihm einen Croy, den Herzog von Chiövres gegeben,
der nicht gerade ein hervorragender Staatslenker, wohl aber ein Lebemann von
gefälligen Formen war und auch von der Politik und den Geschäften so viel
verstand, daß er passende Werkzeuge in den Staatsangelegenheiten sich beordnete.
Dieser Herzog von Chievres hatte den Sinn des jungen Karl so eingenommen,
daß er in Allem, was er that, von Chievres' Willen abhängig und unter
seiner absoluten Herrschaft zu athmen schien. Als Schulmeister und Lehrer
diente dem Jüngling ein niederländischer Professor der Universität zu Löwen,
Adrian aus Utrecht. Der war ein ernster, strenger Theologe, als Lehrer eine Zierde
der Löwener Hochschule, ein einflußreicher Prediger, ein fruchtbarer Schrift¬
steller, dessen theologischen Werken sich weder Gelehrsamkeit noch sachlicher Ernst
absprechen läßt. Schon 1507 bestellte ihn Erzherzogin Margaretha zum
Pädagogen für ihren Neffen: grundgelehrt, gutmüthig, sittenstreng, aber etwas
pedantisch und nicht sonderlich weitblickend erwies er sich auch in dieser Stellung.
Und seine Schule ist gewiß nicht ohne Einfluß auf die Geistesrichtung des
zukünftigen Kaisers geblieben. Von ihm erhielt Karl Belehrung in der
Religion und in den kirchlichen Fragen. Ein entschlossener Vorfechter der
strengsten Dominikanischen Theorien, die er selbst wiederholt nicht ohne Erfolg
als Schriftsteller und Prediger und akademischer Lehrer gegen andere Richtungen
vertreten hatte, ein Geistlicher von fast asketischer Strenge, der mit den zelo¬
tischsten und eifrigsten Mönchen Spaniens durchaus über die Tendenzen der
als nothwendig erkannten Kirchenreformation übereinstimmte, ein Kirchenfürst
der zu der spanischen Inquisition die engsten Beziehungen pflegte und gern
nachher an die Spitze der spanischen Kirchenbewegung getreten ist, ein solcher
Mann ist es gewesen, der dem zukünftigen Gebieter über Europa den ersten
Einblick in die Religion eröffnet, die ihn selig machen sollte. Adrian von
Utrecht ist es unzweifelhaft gewesen, der in Karls Seele jene religiösen Ge¬
fühle und Gedanken eingegossen hat, die sein Leben ganz und mächtig erfüllt
und ihm die welthistorische Bedeutung recht eigentlich zugewiesen haben. Unter
den bildenden und formenden Händen dieses Lehrers wurde damals schon des


hellblond, fast röthlich sein Haar, gebeugt seine Haltung; er hatte ein hervor¬
tretendes Kinn und stechende Augen: scheinbar apathisch und kalt, verbarg er doch
unter ruhigem Aeußern tiefe und heftige Leidenschaften: er war durchaus eine
nervöse reizbare Natur. Im Aerger war er furchtbar; schonungslos verfolgte
er die ihn beleidigt hatten: selten zur Milde geneigt, war er rachsüchtig und hart
gegen seine Freunde. Schon von dem Jüngling hieß es, er werde niemals
eine Beleidigung vergessen: wehe dem, der ihn einmal gereizt und sich zum
Feinde gemacht!

Er wurde unter Niederländern von Niederländern erzogen. Seine Spiel¬
genossen und Jugendfreunde waren aus dem niederländischen Adel gewählt.
Zum Hofmeister hatte man ihm einen Croy, den Herzog von Chiövres gegeben,
der nicht gerade ein hervorragender Staatslenker, wohl aber ein Lebemann von
gefälligen Formen war und auch von der Politik und den Geschäften so viel
verstand, daß er passende Werkzeuge in den Staatsangelegenheiten sich beordnete.
Dieser Herzog von Chievres hatte den Sinn des jungen Karl so eingenommen,
daß er in Allem, was er that, von Chievres' Willen abhängig und unter
seiner absoluten Herrschaft zu athmen schien. Als Schulmeister und Lehrer
diente dem Jüngling ein niederländischer Professor der Universität zu Löwen,
Adrian aus Utrecht. Der war ein ernster, strenger Theologe, als Lehrer eine Zierde
der Löwener Hochschule, ein einflußreicher Prediger, ein fruchtbarer Schrift¬
steller, dessen theologischen Werken sich weder Gelehrsamkeit noch sachlicher Ernst
absprechen läßt. Schon 1507 bestellte ihn Erzherzogin Margaretha zum
Pädagogen für ihren Neffen: grundgelehrt, gutmüthig, sittenstreng, aber etwas
pedantisch und nicht sonderlich weitblickend erwies er sich auch in dieser Stellung.
Und seine Schule ist gewiß nicht ohne Einfluß auf die Geistesrichtung des
zukünftigen Kaisers geblieben. Von ihm erhielt Karl Belehrung in der
Religion und in den kirchlichen Fragen. Ein entschlossener Vorfechter der
strengsten Dominikanischen Theorien, die er selbst wiederholt nicht ohne Erfolg
als Schriftsteller und Prediger und akademischer Lehrer gegen andere Richtungen
vertreten hatte, ein Geistlicher von fast asketischer Strenge, der mit den zelo¬
tischsten und eifrigsten Mönchen Spaniens durchaus über die Tendenzen der
als nothwendig erkannten Kirchenreformation übereinstimmte, ein Kirchenfürst
der zu der spanischen Inquisition die engsten Beziehungen pflegte und gern
nachher an die Spitze der spanischen Kirchenbewegung getreten ist, ein solcher
Mann ist es gewesen, der dem zukünftigen Gebieter über Europa den ersten
Einblick in die Religion eröffnet, die ihn selig machen sollte. Adrian von
Utrecht ist es unzweifelhaft gewesen, der in Karls Seele jene religiösen Ge¬
fühle und Gedanken eingegossen hat, die sein Leben ganz und mächtig erfüllt
und ihm die welthistorische Bedeutung recht eigentlich zugewiesen haben. Unter
den bildenden und formenden Händen dieses Lehrers wurde damals schon des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/374>, abgerufen am 22.12.2024.