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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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tag betrifft, so war die Gefechtsweise der ultramontanen Redner die bekannte.
Die welthistorischen Thaten des Jesuitenordens wurden in das Gebiet der
Fabel verwiesen, und dafür Zeugnisse gegen den 'Orden verlangt, die seine
Schädlichkeit aus Vorkommnissen' von heute und gestern beweisen. Bei diesem
Verfahren ist es leicht, den Orden als unschuldiges Lamm darzustellen. Be¬
merkenswerth war, daß der Domherr Dr. Moufang unter die unverfänglichen
Dinge auch die Vorschriften des Moralcompendiums von Gury rechnete.
Der hochwürdige Herr fand es natürlich, daß der Beichtvater einen Deserteur
zum Weiterlaufen ermuthigt und einen Lügner zum Verweilen unter dem
Lügenmantel so lange derselbe vorhält. Er wurde sogar witzig und bezog
sich auf die Diplomatie, ohne zu bedenken, daß die diplomatische List im
Kriegszustand angewandt wird, dessen Rechte und Gebräuche der Ueberlistete
ebensogut kennt und benutzt wie der Sieger; und ohne zu bedenken, daß die
Lüge in der Diplomatie längst zu den veralteten Waffen gehört. Uebrigens
kommt es auch nicht darauf an, ob eine Privatperson als Beurtheiler oder
Rathgeber in gewissen Fällen sich des sittlichen Rigorismus entschlagen kann.
Wenn aber die höchste sittliche Autorität es thun dürfte, dann wäre es mit
dem Reich der Sittlichkeit auf Erden zu Ende.

Wir wollen dem ganzen Gang der Verhandlungen nicht folgen, und
nur die im Reichstag sehr bemerkte Thatsache hervorheben, daß der Abge¬
ordnete Wagener der Antragsteller war, welcher die Ausdehnung des Commissions¬
antrages von der Regelung des Ordenswesens auf die Regelung des Schutzes gegen
die Uebergriffe der geistlichen Gewalt überhaupt herbeigeführt hat. Seine
Mitantragsteller waren u. A. die Herren v. Blankenburg und v. Keudell.
Der Gipfel der Verhandlung war das Schlußwort des Abgeordneten Gneist.
Das Beiwort "schlagend" reicht nicht hin, um den Grad zu bezeichnen, mit
welchem der Gegner den Contrast verdeutlichte zwischen der Ausschließung
des Staates durch die katholische Kirche mit den Diensten, welche sie von
demselben Staat verlangt und empfängt. Der Staat erzwingt die katho¬
lische Taufe der Kinder aus katholischen Ehen, aber er darf sich nicht um
das Glaubensbekenntniß und um die Pflichten der Taufzeugen bekümmern.
Der Staat erzwingt die Zahlung der katholischen Kirchensteuern und zahlt
große Dotationen an die Kirche, ohne Controle der Verwendung. Der Staat
erzwingt den katholischen Unterricht der katholischen Kinder, ohne Controle
der ertheilten Lehren. Der Staat erzwingt die katholische Trauung der
katholischen Unterthanen, ohne Frage um die Geltung seines Ehegesetzes für
die so geschlossenen Ehen. Der Staat erzwingt die Vollstreckung der geist¬
lichen Disciplinarstrafen, ohne Einfluß auf diese Disciplin. Der Staat her äst
alle Eingriffe in das kirchliche Amt, ohne sich um die Aenderung der Ver¬
fassung, des Cultus und des Dogma kümmern zu dürfen.

Gegenüber diesem Zustand ist das Mindeste, was der Staat wiederer¬
langen muß, das Recht, die Kirche und alle ihre Anstalten an der Ueberein¬
stimmung mit seinem Gesetz zu prüfen und zu der Uebereinstimmung mit
demselben nöthigenfalls durch Zwang, Strafe und einschränkende Bestimm¬
ungen anzuhalten.


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tag betrifft, so war die Gefechtsweise der ultramontanen Redner die bekannte.
Die welthistorischen Thaten des Jesuitenordens wurden in das Gebiet der
Fabel verwiesen, und dafür Zeugnisse gegen den 'Orden verlangt, die seine
Schädlichkeit aus Vorkommnissen' von heute und gestern beweisen. Bei diesem
Verfahren ist es leicht, den Orden als unschuldiges Lamm darzustellen. Be¬
merkenswerth war, daß der Domherr Dr. Moufang unter die unverfänglichen
Dinge auch die Vorschriften des Moralcompendiums von Gury rechnete.
Der hochwürdige Herr fand es natürlich, daß der Beichtvater einen Deserteur
zum Weiterlaufen ermuthigt und einen Lügner zum Verweilen unter dem
Lügenmantel so lange derselbe vorhält. Er wurde sogar witzig und bezog
sich auf die Diplomatie, ohne zu bedenken, daß die diplomatische List im
Kriegszustand angewandt wird, dessen Rechte und Gebräuche der Ueberlistete
ebensogut kennt und benutzt wie der Sieger; und ohne zu bedenken, daß die
Lüge in der Diplomatie längst zu den veralteten Waffen gehört. Uebrigens
kommt es auch nicht darauf an, ob eine Privatperson als Beurtheiler oder
Rathgeber in gewissen Fällen sich des sittlichen Rigorismus entschlagen kann.
Wenn aber die höchste sittliche Autorität es thun dürfte, dann wäre es mit
dem Reich der Sittlichkeit auf Erden zu Ende.

Wir wollen dem ganzen Gang der Verhandlungen nicht folgen, und
nur die im Reichstag sehr bemerkte Thatsache hervorheben, daß der Abge¬
ordnete Wagener der Antragsteller war, welcher die Ausdehnung des Commissions¬
antrages von der Regelung des Ordenswesens auf die Regelung des Schutzes gegen
die Uebergriffe der geistlichen Gewalt überhaupt herbeigeführt hat. Seine
Mitantragsteller waren u. A. die Herren v. Blankenburg und v. Keudell.
Der Gipfel der Verhandlung war das Schlußwort des Abgeordneten Gneist.
Das Beiwort „schlagend" reicht nicht hin, um den Grad zu bezeichnen, mit
welchem der Gegner den Contrast verdeutlichte zwischen der Ausschließung
des Staates durch die katholische Kirche mit den Diensten, welche sie von
demselben Staat verlangt und empfängt. Der Staat erzwingt die katho¬
lische Taufe der Kinder aus katholischen Ehen, aber er darf sich nicht um
das Glaubensbekenntniß und um die Pflichten der Taufzeugen bekümmern.
Der Staat erzwingt die Zahlung der katholischen Kirchensteuern und zahlt
große Dotationen an die Kirche, ohne Controle der Verwendung. Der Staat
erzwingt den katholischen Unterricht der katholischen Kinder, ohne Controle
der ertheilten Lehren. Der Staat erzwingt die katholische Trauung der
katholischen Unterthanen, ohne Frage um die Geltung seines Ehegesetzes für
die so geschlossenen Ehen. Der Staat erzwingt die Vollstreckung der geist¬
lichen Disciplinarstrafen, ohne Einfluß auf diese Disciplin. Der Staat her äst
alle Eingriffe in das kirchliche Amt, ohne sich um die Aenderung der Ver¬
fassung, des Cultus und des Dogma kümmern zu dürfen.

Gegenüber diesem Zustand ist das Mindeste, was der Staat wiederer¬
langen muß, das Recht, die Kirche und alle ihre Anstalten an der Ueberein¬
stimmung mit seinem Gesetz zu prüfen und zu der Uebereinstimmung mit
demselben nöthigenfalls durch Zwang, Strafe und einschränkende Bestimm¬
ungen anzuhalten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/367>, abgerufen am 22.12.2024.