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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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in verschiedenen Ländern verbessert worden ist. Nach dieser Methode der
Einzelhaft soll der Gefangene in einer gesundheitsgemäß beschaffenen Zelle
ununterbrochen gegen den Verkehr mit anderen Gefangenen sicher gestellt
werden, während ihn der Verkehr mit den Anstaltsbeamten, mit dem Geist¬
lichen und Lehrer, eine sür ihn passende Arbeit und die Erholung in einem
kleinen Spazierhofe gewährt wird. Es leuchtet ein, daß bei dieser Einrich¬
tung der Einzelhaft alle diejenigen Maßregeln sich leichter und wirksamer
durchführen lassen, welche die Vorbereitung des Gefangenen für die Freiheit
erheischt. Die Gegner der Einzelhaft verwerfen dieselbe aus solchen Gründen,
welche aus den statistischen Ergebnissen des früheren Systems der Einzelhaft
hergenommen sind, für das verbesserte neue System aber nicht zutreffen. Indeß
auch gegen das letztere machen sich Bedenken geltend, namentlich behauptet
man, daß die Einzelhaft trotz ihrer modernen verbesserten Einrichtung, der
geistigen und leiblichen Gesundheit viel nachtheiliger sei, als die gemeinsame
Haft. Ist diese Behauptung berechtigt?

Gegen die Annahme, daß durch die Einzelhaft mehr als durch die ge¬
meinsame Haft die körperliche Gesundheit geschädigt werde, spricht schon der
Umstand, daß in der Einzelhaft viel leichter als in der gemeinsamen Haft
eine gesundheitsgemäße Athmungsluft sich herstellen läßt. In Uebereinstim¬
mung mit dieser Erwägung zeigt uns die Statistik, daß die Sterblichkeit
bei der Einzelhaft viel geringer ist, als bei der gemeinsamen Haft; so beträgt
z. B. nach einer Berechnung von Dietz") die Sterblichkeit auf je 100 Köpfe
der täglichen Durchschnittsbevölkerung bei gemeinsamer Hast 4'14, bei der
Einzelhaft nur 2-40. -- Den Einwand, daß die Einzelhaft viel häufiger, als
die gemeinsame Hast Geisteskrankheiten erzeuge, werden wir nur in einem
gewissen Sinne für begründet erachten. Zunächst müssen wir.erwägen, daß bei den
Sträflingen, überhaupt, sei es in der gemeinsamen Haft oder in der Einzel¬
haft, Momente sich vorfinden, welche zu Geisteskrankheiten disponiren. Zu
diesen Momenten gehören das ungeregelte Denken und die ungezügelte Lei¬
denschaft, die Aufregung zur Zeit der verbrecherischen That und während
des gerichtlichen Verfahrens. Ferner gehört hierher die Erinnerung an das
Verbrechen, welche namentlich diejenigen Sträflinge, welche ein Menschenleben
auf dem Gewissen haben, zu Geisteskrankheiten disponirt; so waren z. B. in
Bruchsal, wie Gutsch^) angibt, unter 206 Verbrechern gegen das Leben 21, also
10-24 pCt. geisteskrank, während von 1364 Verbrechern gegen das Eigen¬
thum nur 24, also 1-77 pCt. geisteskrank waren. Die Reue kann um so




") o. ". O.
A. Gutsch: Ueber Seelenstörungen in Einzelhaft. Nach den im Zellengefängnisse
Bruchsal in 12 Jahren gewonnenen Erfahrungen. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 1""2.
Bd. 1!>. S. 12.

in verschiedenen Ländern verbessert worden ist. Nach dieser Methode der
Einzelhaft soll der Gefangene in einer gesundheitsgemäß beschaffenen Zelle
ununterbrochen gegen den Verkehr mit anderen Gefangenen sicher gestellt
werden, während ihn der Verkehr mit den Anstaltsbeamten, mit dem Geist¬
lichen und Lehrer, eine sür ihn passende Arbeit und die Erholung in einem
kleinen Spazierhofe gewährt wird. Es leuchtet ein, daß bei dieser Einrich¬
tung der Einzelhaft alle diejenigen Maßregeln sich leichter und wirksamer
durchführen lassen, welche die Vorbereitung des Gefangenen für die Freiheit
erheischt. Die Gegner der Einzelhaft verwerfen dieselbe aus solchen Gründen,
welche aus den statistischen Ergebnissen des früheren Systems der Einzelhaft
hergenommen sind, für das verbesserte neue System aber nicht zutreffen. Indeß
auch gegen das letztere machen sich Bedenken geltend, namentlich behauptet
man, daß die Einzelhaft trotz ihrer modernen verbesserten Einrichtung, der
geistigen und leiblichen Gesundheit viel nachtheiliger sei, als die gemeinsame
Haft. Ist diese Behauptung berechtigt?

Gegen die Annahme, daß durch die Einzelhaft mehr als durch die ge¬
meinsame Haft die körperliche Gesundheit geschädigt werde, spricht schon der
Umstand, daß in der Einzelhaft viel leichter als in der gemeinsamen Haft
eine gesundheitsgemäße Athmungsluft sich herstellen läßt. In Uebereinstim¬
mung mit dieser Erwägung zeigt uns die Statistik, daß die Sterblichkeit
bei der Einzelhaft viel geringer ist, als bei der gemeinsamen Haft; so beträgt
z. B. nach einer Berechnung von Dietz") die Sterblichkeit auf je 100 Köpfe
der täglichen Durchschnittsbevölkerung bei gemeinsamer Hast 4'14, bei der
Einzelhaft nur 2-40. — Den Einwand, daß die Einzelhaft viel häufiger, als
die gemeinsame Hast Geisteskrankheiten erzeuge, werden wir nur in einem
gewissen Sinne für begründet erachten. Zunächst müssen wir.erwägen, daß bei den
Sträflingen, überhaupt, sei es in der gemeinsamen Haft oder in der Einzel¬
haft, Momente sich vorfinden, welche zu Geisteskrankheiten disponiren. Zu
diesen Momenten gehören das ungeregelte Denken und die ungezügelte Lei¬
denschaft, die Aufregung zur Zeit der verbrecherischen That und während
des gerichtlichen Verfahrens. Ferner gehört hierher die Erinnerung an das
Verbrechen, welche namentlich diejenigen Sträflinge, welche ein Menschenleben
auf dem Gewissen haben, zu Geisteskrankheiten disponirt; so waren z. B. in
Bruchsal, wie Gutsch^) angibt, unter 206 Verbrechern gegen das Leben 21, also
10-24 pCt. geisteskrank, während von 1364 Verbrechern gegen das Eigen¬
thum nur 24, also 1-77 pCt. geisteskrank waren. Die Reue kann um so




») o. «. O.
A. Gutsch: Ueber Seelenstörungen in Einzelhaft. Nach den im Zellengefängnisse
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[0343] in verschiedenen Ländern verbessert worden ist. Nach dieser Methode der Einzelhaft soll der Gefangene in einer gesundheitsgemäß beschaffenen Zelle ununterbrochen gegen den Verkehr mit anderen Gefangenen sicher gestellt werden, während ihn der Verkehr mit den Anstaltsbeamten, mit dem Geist¬ lichen und Lehrer, eine sür ihn passende Arbeit und die Erholung in einem kleinen Spazierhofe gewährt wird. Es leuchtet ein, daß bei dieser Einrich¬ tung der Einzelhaft alle diejenigen Maßregeln sich leichter und wirksamer durchführen lassen, welche die Vorbereitung des Gefangenen für die Freiheit erheischt. Die Gegner der Einzelhaft verwerfen dieselbe aus solchen Gründen, welche aus den statistischen Ergebnissen des früheren Systems der Einzelhaft hergenommen sind, für das verbesserte neue System aber nicht zutreffen. Indeß auch gegen das letztere machen sich Bedenken geltend, namentlich behauptet man, daß die Einzelhaft trotz ihrer modernen verbesserten Einrichtung, der geistigen und leiblichen Gesundheit viel nachtheiliger sei, als die gemeinsame Haft. Ist diese Behauptung berechtigt? Gegen die Annahme, daß durch die Einzelhaft mehr als durch die ge¬ meinsame Haft die körperliche Gesundheit geschädigt werde, spricht schon der Umstand, daß in der Einzelhaft viel leichter als in der gemeinsamen Haft eine gesundheitsgemäße Athmungsluft sich herstellen läßt. In Uebereinstim¬ mung mit dieser Erwägung zeigt uns die Statistik, daß die Sterblichkeit bei der Einzelhaft viel geringer ist, als bei der gemeinsamen Haft; so beträgt z. B. nach einer Berechnung von Dietz") die Sterblichkeit auf je 100 Köpfe der täglichen Durchschnittsbevölkerung bei gemeinsamer Hast 4'14, bei der Einzelhaft nur 2-40. — Den Einwand, daß die Einzelhaft viel häufiger, als die gemeinsame Hast Geisteskrankheiten erzeuge, werden wir nur in einem gewissen Sinne für begründet erachten. Zunächst müssen wir.erwägen, daß bei den Sträflingen, überhaupt, sei es in der gemeinsamen Haft oder in der Einzel¬ haft, Momente sich vorfinden, welche zu Geisteskrankheiten disponiren. Zu diesen Momenten gehören das ungeregelte Denken und die ungezügelte Lei¬ denschaft, die Aufregung zur Zeit der verbrecherischen That und während des gerichtlichen Verfahrens. Ferner gehört hierher die Erinnerung an das Verbrechen, welche namentlich diejenigen Sträflinge, welche ein Menschenleben auf dem Gewissen haben, zu Geisteskrankheiten disponirt; so waren z. B. in Bruchsal, wie Gutsch^) angibt, unter 206 Verbrechern gegen das Leben 21, also 10-24 pCt. geisteskrank, während von 1364 Verbrechern gegen das Eigen¬ thum nur 24, also 1-77 pCt. geisteskrank waren. Die Reue kann um so ») o. «. O. A. Gutsch: Ueber Seelenstörungen in Einzelhaft. Nach den im Zellengefängnisse Bruchsal in 12 Jahren gewonnenen Erfahrungen. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 1««2. Bd. 1!>. S. 12.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/343>, abgerufen am 22.07.2024.