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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Centralcomite an alle Föderationen zu schreiben, um sofortige Geldunter¬
stützung zu fordern. Die Sache war dringend: man legte den höchsten Werth
darauf, nicht schon bei dein ersten großen Versuche, den der Bund in der
Schweiz unternahm, eine Niederlage zu erleiden. Einer der Secretäre, Jules
Paillard, erklärte das rund heraus in einem Schreiben an Varlin, in dem er
sagte:

"Wir haben da drei Tausend arbeitslose Arbeiter vor uns, deren größtes
Verbrechen in den Augen dieser Herren darin besteht, daß sie dem internatio¬
nalen Bunde angehören, den jene zu Falle zu bringen geschworen haben, da
er eine fremdländische Gesellschaft sei, welche Befehle von London, Paris,
Brüssel empfange, und welche erklären, daß sie ihr Möglichstes thun wollen,
um die Solidarität unter den Arbeitern zu verhindern. Die Frage ist sehr
ernst, es handelt sich um den Triumph des Bundes in unserem Lande oder
um seinen Untergang. Deshalb hat das Centralcomite' einen dringenden
Aufruf an den Generalrats in London erlassen, alle Sectionen in England,
Frankreich, Belgien und Deutschland anzuweisen, daß sie ihren Brüdern in
Genf zu Hülfe kommen. Von raschem und entschiedenem Handeln hängt der
Erfolg der Sache ab."

Ein Delegirter von Genf, Namens Graglia, der beauftragt war, die
Hülfe des englischen Zweiges zu erbitten, schrieb in Verzweiflung am 7. April
an Varlin:

"Diese englischen Vereine sind wahre Festungen, und ich fürchte sehr, daß
wir in dieser Woche nicht dahin gelangen werden, eine genügend große Summe
zusammenzubringen, um unsern Landsleuten zu Hülfe zu kommen.
Ohne Zweifel, ich bin der erste, das anzuerkennen, würden diese selben Gesell¬
schaften uns in einigen Wochen Summen größer als wir sie bedürfen, liefern,
aber, wie ich mehreren dieser Herren begreiflich gemacht habe, wir brauchen
sofortigen Beistand. Aber was wollen Sie machen? Die Statuten verbieten
ihnen das unbedingt. Man muß sich fügen."

Während die Engländer die eilige Angelegenheit erst durch die ihnen vor¬
geschriebenen Formalitäten filtrirten, steckten die französischen Internationalen
sofort die Hand in die Tasche. Am S. April veröffentlichte Varlin in der
"Opinion Nationale", daß in den Bureaux der Genossenschaft Subscriptions-
listen für die Unterstützung des Genfer Strikes auslägen, und nach Verlauf
von vierzehn Tagen konnte er einen Beitrag von mehr als 10,000 Franken
abschicken, zu welchem nicht blos die Bauhandwerker, sondern auch die Buch¬
drucker, die Lithographen und die Blechschmiede beigesteuert hatten.

Darauf schrieb ihm am 9. April Graglia:

"Ihr Brief hat mir herzliche Freude gemacht; denn er hat mir wieder
einmal bewiesen, daß die Solidarität kein leeres Wort unter der arbeitenden


Centralcomite an alle Föderationen zu schreiben, um sofortige Geldunter¬
stützung zu fordern. Die Sache war dringend: man legte den höchsten Werth
darauf, nicht schon bei dein ersten großen Versuche, den der Bund in der
Schweiz unternahm, eine Niederlage zu erleiden. Einer der Secretäre, Jules
Paillard, erklärte das rund heraus in einem Schreiben an Varlin, in dem er
sagte:

„Wir haben da drei Tausend arbeitslose Arbeiter vor uns, deren größtes
Verbrechen in den Augen dieser Herren darin besteht, daß sie dem internatio¬
nalen Bunde angehören, den jene zu Falle zu bringen geschworen haben, da
er eine fremdländische Gesellschaft sei, welche Befehle von London, Paris,
Brüssel empfange, und welche erklären, daß sie ihr Möglichstes thun wollen,
um die Solidarität unter den Arbeitern zu verhindern. Die Frage ist sehr
ernst, es handelt sich um den Triumph des Bundes in unserem Lande oder
um seinen Untergang. Deshalb hat das Centralcomite' einen dringenden
Aufruf an den Generalrats in London erlassen, alle Sectionen in England,
Frankreich, Belgien und Deutschland anzuweisen, daß sie ihren Brüdern in
Genf zu Hülfe kommen. Von raschem und entschiedenem Handeln hängt der
Erfolg der Sache ab."

Ein Delegirter von Genf, Namens Graglia, der beauftragt war, die
Hülfe des englischen Zweiges zu erbitten, schrieb in Verzweiflung am 7. April
an Varlin:

„Diese englischen Vereine sind wahre Festungen, und ich fürchte sehr, daß
wir in dieser Woche nicht dahin gelangen werden, eine genügend große Summe
zusammenzubringen, um unsern Landsleuten zu Hülfe zu kommen.
Ohne Zweifel, ich bin der erste, das anzuerkennen, würden diese selben Gesell¬
schaften uns in einigen Wochen Summen größer als wir sie bedürfen, liefern,
aber, wie ich mehreren dieser Herren begreiflich gemacht habe, wir brauchen
sofortigen Beistand. Aber was wollen Sie machen? Die Statuten verbieten
ihnen das unbedingt. Man muß sich fügen."

Während die Engländer die eilige Angelegenheit erst durch die ihnen vor¬
geschriebenen Formalitäten filtrirten, steckten die französischen Internationalen
sofort die Hand in die Tasche. Am S. April veröffentlichte Varlin in der
„Opinion Nationale", daß in den Bureaux der Genossenschaft Subscriptions-
listen für die Unterstützung des Genfer Strikes auslägen, und nach Verlauf
von vierzehn Tagen konnte er einen Beitrag von mehr als 10,000 Franken
abschicken, zu welchem nicht blos die Bauhandwerker, sondern auch die Buch¬
drucker, die Lithographen und die Blechschmiede beigesteuert hatten.

Darauf schrieb ihm am 9. April Graglia:

„Ihr Brief hat mir herzliche Freude gemacht; denn er hat mir wieder
einmal bewiesen, daß die Solidarität kein leeres Wort unter der arbeitenden


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[0034] Centralcomite an alle Föderationen zu schreiben, um sofortige Geldunter¬ stützung zu fordern. Die Sache war dringend: man legte den höchsten Werth darauf, nicht schon bei dein ersten großen Versuche, den der Bund in der Schweiz unternahm, eine Niederlage zu erleiden. Einer der Secretäre, Jules Paillard, erklärte das rund heraus in einem Schreiben an Varlin, in dem er sagte: „Wir haben da drei Tausend arbeitslose Arbeiter vor uns, deren größtes Verbrechen in den Augen dieser Herren darin besteht, daß sie dem internatio¬ nalen Bunde angehören, den jene zu Falle zu bringen geschworen haben, da er eine fremdländische Gesellschaft sei, welche Befehle von London, Paris, Brüssel empfange, und welche erklären, daß sie ihr Möglichstes thun wollen, um die Solidarität unter den Arbeitern zu verhindern. Die Frage ist sehr ernst, es handelt sich um den Triumph des Bundes in unserem Lande oder um seinen Untergang. Deshalb hat das Centralcomite' einen dringenden Aufruf an den Generalrats in London erlassen, alle Sectionen in England, Frankreich, Belgien und Deutschland anzuweisen, daß sie ihren Brüdern in Genf zu Hülfe kommen. Von raschem und entschiedenem Handeln hängt der Erfolg der Sache ab." Ein Delegirter von Genf, Namens Graglia, der beauftragt war, die Hülfe des englischen Zweiges zu erbitten, schrieb in Verzweiflung am 7. April an Varlin: „Diese englischen Vereine sind wahre Festungen, und ich fürchte sehr, daß wir in dieser Woche nicht dahin gelangen werden, eine genügend große Summe zusammenzubringen, um unsern Landsleuten zu Hülfe zu kommen. Ohne Zweifel, ich bin der erste, das anzuerkennen, würden diese selben Gesell¬ schaften uns in einigen Wochen Summen größer als wir sie bedürfen, liefern, aber, wie ich mehreren dieser Herren begreiflich gemacht habe, wir brauchen sofortigen Beistand. Aber was wollen Sie machen? Die Statuten verbieten ihnen das unbedingt. Man muß sich fügen." Während die Engländer die eilige Angelegenheit erst durch die ihnen vor¬ geschriebenen Formalitäten filtrirten, steckten die französischen Internationalen sofort die Hand in die Tasche. Am S. April veröffentlichte Varlin in der „Opinion Nationale", daß in den Bureaux der Genossenschaft Subscriptions- listen für die Unterstützung des Genfer Strikes auslägen, und nach Verlauf von vierzehn Tagen konnte er einen Beitrag von mehr als 10,000 Franken abschicken, zu welchem nicht blos die Bauhandwerker, sondern auch die Buch¬ drucker, die Lithographen und die Blechschmiede beigesteuert hatten. Darauf schrieb ihm am 9. April Graglia: „Ihr Brief hat mir herzliche Freude gemacht; denn er hat mir wieder einmal bewiesen, daß die Solidarität kein leeres Wort unter der arbeitenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/34>, abgerufen am 22.07.2024.