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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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gewesen; und er löst es endlich ganz, da die Frau einer Abenteurerin gegen¬
über das Recht der Herrin des Hauses zur Geltung bringen wollte. Sie
verläßt das Haus; den Trotz des Sohnes, der nicht umsonst bei einem solchen
Vater in die Schule gegangen ist, der aber keine Ahnung von seiner Ille¬
gitimität hat, schmettert Montjoye durch die Eröffnung nieder, daß er an
ihn als Vater gar keine Ansprüche habe und stößt ihn aus seinem Hause;
die geliebte Tochter, an der er mit wirklicher Zärtlichkeit hängt, folgt der
Mutter. Bor allen diesen auf ihn eindringenden Ereignissen vermag sein
Starrsinn nicht Stand zu halten. Die Kraft seiner Selbstsucht bricht zu¬
sammen. Er opfert sein Vermögen, um die Ehre eines alten Handelsassocies,
auf dessen durch ihn verschuldeten Bankerott er den Bau seines Glückes be¬
gründet, und den die Verzweiflung zum Selbstmord getrieben hatte, wieder
herzustellen. An seinem Herzen und Gewissen erfährt er die Nichtigkeit seines
Standpunktes; aber in der Energie, mit der er den Entschluß durchführt,
eine neue Bahn zu beschreiten, bewährt sich die Kraft seines Willens. Er
geht geläutert aus der Katastrophe hervor, die ihm die Thorheit seines bis¬
herigen Strebens zum Bewußtsein bringt; er führt seinen frevelhaften Ueber¬
muth, und diese Sühne bringt ihm die Versöhnung mit sich selbst und auch
mit den Seinen, die in der Anerkennung seiner Frau und Kinder, sowie in
der Verlobung seiner Tochter mit dem Sohne seines von ihm ins Unglück
gestürzten Geschäftsgenossen ihren äußeren Ausdruck findet.

Feuillets Montjoye gehört ohne Zweifel zu den besseren der neueren
französischen Dramen, wie er auch das beste Werk des Dichters selbst ist.
Die wohlwollenden, mit der Härte seines Systems im Widerspruch stehenden
Regungen des Helden scheinen von Anfang an durch die Rinde der Selbst¬
sucht, die sich um sein Herz gelegt hat, durch alle Sophismen, mit denen er
sein System als höchste Lebensweisheit zu rechtfertigen sucht, deutlich genug
hindurch, um sein Verhalten während und nach der Katastrophe wahrschein¬
lich zu machen. Conflict und Lösung sind in befriedigender Weise psy¬
chologisch motivirt und das ist mehr, als sich der großen Mehrzahl der neuen
Dramen nachrühmen läßt. Die Nebenfiguren, selbst Cäcilie, Montjoyes Toch¬
ter, der gute Geist der Familie, sind dagegen schon mehr nach der Schablone
gezeichnet und keineswegs ganz frei von der etwas langweiligen Monotonie
der Pariser Herren- und Damenwelt.

Diese Monotonie, dieser Mangel an Erfindungsgabe, ist, wie schon er¬
wähnt, charakteristisch. Ganz besonders leiden unter dieser Schablonenhaften
Einförmigkeit die Mädchencharaktere: eine Schwäche, auf die Rutenberg mit
Recht nachdrücklich hinweist. Die halb unschuldige, halb kokette Naivetät
dieser zwar verliebten, aber jeder wahren Leidenschaft unfähigen Pensions-
fräule-ins macht einen geradezu widrigen Eindruck. In einem Stücke Sardous


Grenzboten II. 1872. 42

gewesen; und er löst es endlich ganz, da die Frau einer Abenteurerin gegen¬
über das Recht der Herrin des Hauses zur Geltung bringen wollte. Sie
verläßt das Haus; den Trotz des Sohnes, der nicht umsonst bei einem solchen
Vater in die Schule gegangen ist, der aber keine Ahnung von seiner Ille¬
gitimität hat, schmettert Montjoye durch die Eröffnung nieder, daß er an
ihn als Vater gar keine Ansprüche habe und stößt ihn aus seinem Hause;
die geliebte Tochter, an der er mit wirklicher Zärtlichkeit hängt, folgt der
Mutter. Bor allen diesen auf ihn eindringenden Ereignissen vermag sein
Starrsinn nicht Stand zu halten. Die Kraft seiner Selbstsucht bricht zu¬
sammen. Er opfert sein Vermögen, um die Ehre eines alten Handelsassocies,
auf dessen durch ihn verschuldeten Bankerott er den Bau seines Glückes be¬
gründet, und den die Verzweiflung zum Selbstmord getrieben hatte, wieder
herzustellen. An seinem Herzen und Gewissen erfährt er die Nichtigkeit seines
Standpunktes; aber in der Energie, mit der er den Entschluß durchführt,
eine neue Bahn zu beschreiten, bewährt sich die Kraft seines Willens. Er
geht geläutert aus der Katastrophe hervor, die ihm die Thorheit seines bis¬
herigen Strebens zum Bewußtsein bringt; er führt seinen frevelhaften Ueber¬
muth, und diese Sühne bringt ihm die Versöhnung mit sich selbst und auch
mit den Seinen, die in der Anerkennung seiner Frau und Kinder, sowie in
der Verlobung seiner Tochter mit dem Sohne seines von ihm ins Unglück
gestürzten Geschäftsgenossen ihren äußeren Ausdruck findet.

Feuillets Montjoye gehört ohne Zweifel zu den besseren der neueren
französischen Dramen, wie er auch das beste Werk des Dichters selbst ist.
Die wohlwollenden, mit der Härte seines Systems im Widerspruch stehenden
Regungen des Helden scheinen von Anfang an durch die Rinde der Selbst¬
sucht, die sich um sein Herz gelegt hat, durch alle Sophismen, mit denen er
sein System als höchste Lebensweisheit zu rechtfertigen sucht, deutlich genug
hindurch, um sein Verhalten während und nach der Katastrophe wahrschein¬
lich zu machen. Conflict und Lösung sind in befriedigender Weise psy¬
chologisch motivirt und das ist mehr, als sich der großen Mehrzahl der neuen
Dramen nachrühmen läßt. Die Nebenfiguren, selbst Cäcilie, Montjoyes Toch¬
ter, der gute Geist der Familie, sind dagegen schon mehr nach der Schablone
gezeichnet und keineswegs ganz frei von der etwas langweiligen Monotonie
der Pariser Herren- und Damenwelt.

Diese Monotonie, dieser Mangel an Erfindungsgabe, ist, wie schon er¬
wähnt, charakteristisch. Ganz besonders leiden unter dieser Schablonenhaften
Einförmigkeit die Mädchencharaktere: eine Schwäche, auf die Rutenberg mit
Recht nachdrücklich hinweist. Die halb unschuldige, halb kokette Naivetät
dieser zwar verliebten, aber jeder wahren Leidenschaft unfähigen Pensions-
fräule-ins macht einen geradezu widrigen Eindruck. In einem Stücke Sardous


Grenzboten II. 1872. 42
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[0337] gewesen; und er löst es endlich ganz, da die Frau einer Abenteurerin gegen¬ über das Recht der Herrin des Hauses zur Geltung bringen wollte. Sie verläßt das Haus; den Trotz des Sohnes, der nicht umsonst bei einem solchen Vater in die Schule gegangen ist, der aber keine Ahnung von seiner Ille¬ gitimität hat, schmettert Montjoye durch die Eröffnung nieder, daß er an ihn als Vater gar keine Ansprüche habe und stößt ihn aus seinem Hause; die geliebte Tochter, an der er mit wirklicher Zärtlichkeit hängt, folgt der Mutter. Bor allen diesen auf ihn eindringenden Ereignissen vermag sein Starrsinn nicht Stand zu halten. Die Kraft seiner Selbstsucht bricht zu¬ sammen. Er opfert sein Vermögen, um die Ehre eines alten Handelsassocies, auf dessen durch ihn verschuldeten Bankerott er den Bau seines Glückes be¬ gründet, und den die Verzweiflung zum Selbstmord getrieben hatte, wieder herzustellen. An seinem Herzen und Gewissen erfährt er die Nichtigkeit seines Standpunktes; aber in der Energie, mit der er den Entschluß durchführt, eine neue Bahn zu beschreiten, bewährt sich die Kraft seines Willens. Er geht geläutert aus der Katastrophe hervor, die ihm die Thorheit seines bis¬ herigen Strebens zum Bewußtsein bringt; er führt seinen frevelhaften Ueber¬ muth, und diese Sühne bringt ihm die Versöhnung mit sich selbst und auch mit den Seinen, die in der Anerkennung seiner Frau und Kinder, sowie in der Verlobung seiner Tochter mit dem Sohne seines von ihm ins Unglück gestürzten Geschäftsgenossen ihren äußeren Ausdruck findet. Feuillets Montjoye gehört ohne Zweifel zu den besseren der neueren französischen Dramen, wie er auch das beste Werk des Dichters selbst ist. Die wohlwollenden, mit der Härte seines Systems im Widerspruch stehenden Regungen des Helden scheinen von Anfang an durch die Rinde der Selbst¬ sucht, die sich um sein Herz gelegt hat, durch alle Sophismen, mit denen er sein System als höchste Lebensweisheit zu rechtfertigen sucht, deutlich genug hindurch, um sein Verhalten während und nach der Katastrophe wahrschein¬ lich zu machen. Conflict und Lösung sind in befriedigender Weise psy¬ chologisch motivirt und das ist mehr, als sich der großen Mehrzahl der neuen Dramen nachrühmen läßt. Die Nebenfiguren, selbst Cäcilie, Montjoyes Toch¬ ter, der gute Geist der Familie, sind dagegen schon mehr nach der Schablone gezeichnet und keineswegs ganz frei von der etwas langweiligen Monotonie der Pariser Herren- und Damenwelt. Diese Monotonie, dieser Mangel an Erfindungsgabe, ist, wie schon er¬ wähnt, charakteristisch. Ganz besonders leiden unter dieser Schablonenhaften Einförmigkeit die Mädchencharaktere: eine Schwäche, auf die Rutenberg mit Recht nachdrücklich hinweist. Die halb unschuldige, halb kokette Naivetät dieser zwar verliebten, aber jeder wahren Leidenschaft unfähigen Pensions- fräule-ins macht einen geradezu widrigen Eindruck. In einem Stücke Sardous Grenzboten II. 1872. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/337>, abgerufen am 22.07.2024.