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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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soll, und daß die Commission, welche das Nähere zu vereinbaren hat. und an
deren Spitze von preußischer Seite der Regierungspräsident von Aachen, von
belgischer der Gouverneur der Provinz Lüttich gestellt worden ist, ihre Arbei¬
ten bereits begonnen hat.

Wir knüpfen hieran gleich noch ein paar Notizen über die nun allein
noch übrigbleibende völkerrechtliche Abnormität an den preußischen Grenzen,
das Rittergut Wolde. Dasselbe ist*) zwischen Preußen und Mecklenburg
streitig und liegt zwischen Treptow an der Tollense und dem durch Fritz
Reuter berühmt gewordenen mecklenburgischen Städtchen Stavenhagen. Die
Regenten dieses seltsamen Miniaturstaates waren früher die Herren von
Maltzahn-Soraw, in späterer Zeit ging das Rittergut in die Hände eines
Herrn von Fabrice-Roggendorf über, der es noch jetzt besitzt. Schon vor vier
Hundert Jahren stritten sich die Herzöge von Mecklenburg mit denen von
Pommern darüber, wem die Landeshoheit über dieses Gebiet zukomme. Doch
erhoben die ersteren hier die Steuern, bis im dreißigjährigen Kriege Pommern
von den Schweden in Besitz genommen wurde. General Torstensohn soll es
gewesen sein, der hier die Steuererhebung durch die Mecklenburger gehindert
hätte, da erst noch entschieden werden müsse, wer von den Nachbarn dazu be¬
rechtigt sei. Diese Entscheidung ist aber damals nicht erfolgt und ebenso
wenig später, als Altvorpommern durch König Friedrich Wilhelm den Ersten
preußisch wurde. In neuester Zeit ist von beiden Grenzstaaten wiederholt der
Versuch gemacht worden, die Frage über den Besitz des streitigen Gebietes zu
erledigen. Die Sache ist aber bis diesen Tag noch nicht gelungen. Eine
Geldsumme, welche Preußen bot, wurde von Mecklenburg abgelehnt. Ebenso
wenig konnte man sich über eine entsprechende Theilung der Landeshoheit
einigen, und so haben sich die abnormen Verhältnisse der Bewohner dieses
Stückes Land bis jetzt erhalten.

Vom 17. Jahrhundert an haben weder Mecklenburg noch Schweden, noch
Preußen in diesem Gebiete Steuern erhoben oder die Woldischen zur Ab¬
leistung der Militärpflicht angehalten. Die Gerichtsbarkeit wurde von den
Rittergutsbesitzern verwaltet, zum Patrimonialrichter ernannten dieselben in
der Regel einen mecklenburgischen Advocaten, und wer appelliren zu müssen
meinte, ging an das Tribunal in Stettin, bei dem auch der Besitzer von
Wolde seinen Privilegirten Gerichtsstand hatte. Die Polizeigewalt übten die
Eigenthümer des Rittergutes selbst aus, doch mischten sich in wichtigeren
Fällen die preußischen und die mecklenburgischen Verwaltungsbeamten ein,
was widersprechende Befehle zur Folge hatte. Nur in kirchlicher Beziehung



') Vergl. Der preußische Staat von Fr. Eduard Keller. 1. Bd. S. 553, dem wir auch
in den vorhergehenden Mittheilungen vorzugsweise folgten.

soll, und daß die Commission, welche das Nähere zu vereinbaren hat. und an
deren Spitze von preußischer Seite der Regierungspräsident von Aachen, von
belgischer der Gouverneur der Provinz Lüttich gestellt worden ist, ihre Arbei¬
ten bereits begonnen hat.

Wir knüpfen hieran gleich noch ein paar Notizen über die nun allein
noch übrigbleibende völkerrechtliche Abnormität an den preußischen Grenzen,
das Rittergut Wolde. Dasselbe ist*) zwischen Preußen und Mecklenburg
streitig und liegt zwischen Treptow an der Tollense und dem durch Fritz
Reuter berühmt gewordenen mecklenburgischen Städtchen Stavenhagen. Die
Regenten dieses seltsamen Miniaturstaates waren früher die Herren von
Maltzahn-Soraw, in späterer Zeit ging das Rittergut in die Hände eines
Herrn von Fabrice-Roggendorf über, der es noch jetzt besitzt. Schon vor vier
Hundert Jahren stritten sich die Herzöge von Mecklenburg mit denen von
Pommern darüber, wem die Landeshoheit über dieses Gebiet zukomme. Doch
erhoben die ersteren hier die Steuern, bis im dreißigjährigen Kriege Pommern
von den Schweden in Besitz genommen wurde. General Torstensohn soll es
gewesen sein, der hier die Steuererhebung durch die Mecklenburger gehindert
hätte, da erst noch entschieden werden müsse, wer von den Nachbarn dazu be¬
rechtigt sei. Diese Entscheidung ist aber damals nicht erfolgt und ebenso
wenig später, als Altvorpommern durch König Friedrich Wilhelm den Ersten
preußisch wurde. In neuester Zeit ist von beiden Grenzstaaten wiederholt der
Versuch gemacht worden, die Frage über den Besitz des streitigen Gebietes zu
erledigen. Die Sache ist aber bis diesen Tag noch nicht gelungen. Eine
Geldsumme, welche Preußen bot, wurde von Mecklenburg abgelehnt. Ebenso
wenig konnte man sich über eine entsprechende Theilung der Landeshoheit
einigen, und so haben sich die abnormen Verhältnisse der Bewohner dieses
Stückes Land bis jetzt erhalten.

Vom 17. Jahrhundert an haben weder Mecklenburg noch Schweden, noch
Preußen in diesem Gebiete Steuern erhoben oder die Woldischen zur Ab¬
leistung der Militärpflicht angehalten. Die Gerichtsbarkeit wurde von den
Rittergutsbesitzern verwaltet, zum Patrimonialrichter ernannten dieselben in
der Regel einen mecklenburgischen Advocaten, und wer appelliren zu müssen
meinte, ging an das Tribunal in Stettin, bei dem auch der Besitzer von
Wolde seinen Privilegirten Gerichtsstand hatte. Die Polizeigewalt übten die
Eigenthümer des Rittergutes selbst aus, doch mischten sich in wichtigeren
Fällen die preußischen und die mecklenburgischen Verwaltungsbeamten ein,
was widersprechende Befehle zur Folge hatte. Nur in kirchlicher Beziehung



') Vergl. Der preußische Staat von Fr. Eduard Keller. 1. Bd. S. 553, dem wir auch
in den vorhergehenden Mittheilungen vorzugsweise folgten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/310>, abgerufen am 02.10.2024.