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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Uebrigen waren meist Belgier, Preußen und Holländer. Fast alle gehörten
der katholischen Kirche an.

Die Souveränetät über das Gebiet besaßen bisher die Kronen von
Preußen und Belgien gemeinsam, dasselbe war also nicht "herrenlos." Sonst
war es ein völlig selbstständiges Ländchen von etwa 3 Quadratkilometer Aus¬
dehnung, dessen Bewohner weder Preußen noch Belgier waren und somit auch
der Militärpflicht nicht unterlagen. Die Verwaltung wurde nicht von preu¬
ßischen und ebensowenig von belgischen Behörden, sondern durch Jmmediat-
commissäre beider Staaten kraft königlicher Vollmachten geführt. Von Fort¬
schritten in der Gesetzgebung konnte unter solchen Umständen nicht die Rede
sein und dieselbe ist in Folge dessen bei dem Stande von 1813 verblieben.

Dasselbe gilt auch von den Staatssteuern (daß es hier keine Abgaben
gäbe, ist ebenso unrichtig als die Behauptung der Herrenlofigkeit des Ge¬
bietes), die zur einen Hälfte an die iRegierungshauptcasse in Aachen, zur an¬
dern an das belgische Zollamt in Henri la Chapelle abgeliefert werden. Die¬
selben bestehen, ganz wie vor sechszig Jahren in der französischen Zeit, aus
der Grund-, der Personal-, der Mobiliar-, der Thür- und Fenstersteuer sowie
aus der Patcntsteuer. Die drei erstgenannten Steuern werden noch immer
nach dem Maßstabe von 1816 auf die einzelnen steuerpflichtigen Gegenstände
und Personen vertheilt. Die Patentsteuer wird von den zum Betriebe von
Handwerken und Gewerben patentirter Einwohnern nach den alten franzö¬
sischen Gesetzen von 1791 und 1798 erhoben. Zölle gibt es in dem neutralen
Gebiete nicht. Alle Waaren gehen frei in dasselbe ein und unterliegen erst
wenn sie in einen der beiden benachbarten Staaten eingeführt werden und
dort in die Classe der zollpflichtigen Gegenstände fallen, dem Eingangszölle,
weshalb sich auch dicht beim neutralen Gebiete ein preußisches Zollamt in
Tüllje und ein belgisches in Henri la Chapelle befindet.

Die Gemeindeverwaltung des neutralen Theils von Moresnet führt der¬
malen ein Bürgermeister mit einem Beigeordneten. Ersterer wird von den
Immediatcommisfciren, letzterer auf Vorschlag des Bürgermeisters ebenfalls von
diesen ernannt. Beiden ist ein aus 10 Mitgliedern bestehender Gemeinderath
an die Seite gestellt, welcher vom Bürgermeister aus der Zahl der Meist¬
begüterten gewählt und von den Commisfären bestätigt wird. Das Gemeinde¬
budget wird jedes Jahr vom Bürgermeister des belgischen Theils Moresncts
für alle drei Theile des Dorfes gemeinsam festgestellt und von den Gemeinde¬
räthen begutachtet. Die Revision liegt der permanenten Deputation der
Provinzialstände in Lüttich ob, und die Gemeindecasse führt ein belgischer
Rendant. Das Vermögen von Gesammt-Moresnet besteht vorzüglich in 1970
Morgen Wald, von denen 320 auf neutral-Moresnet kommen. Die Ge¬
meindeschulden beliefen sich 1837 auf etwa 18,000 Francs.


Uebrigen waren meist Belgier, Preußen und Holländer. Fast alle gehörten
der katholischen Kirche an.

Die Souveränetät über das Gebiet besaßen bisher die Kronen von
Preußen und Belgien gemeinsam, dasselbe war also nicht „herrenlos." Sonst
war es ein völlig selbstständiges Ländchen von etwa 3 Quadratkilometer Aus¬
dehnung, dessen Bewohner weder Preußen noch Belgier waren und somit auch
der Militärpflicht nicht unterlagen. Die Verwaltung wurde nicht von preu¬
ßischen und ebensowenig von belgischen Behörden, sondern durch Jmmediat-
commissäre beider Staaten kraft königlicher Vollmachten geführt. Von Fort¬
schritten in der Gesetzgebung konnte unter solchen Umständen nicht die Rede
sein und dieselbe ist in Folge dessen bei dem Stande von 1813 verblieben.

Dasselbe gilt auch von den Staatssteuern (daß es hier keine Abgaben
gäbe, ist ebenso unrichtig als die Behauptung der Herrenlofigkeit des Ge¬
bietes), die zur einen Hälfte an die iRegierungshauptcasse in Aachen, zur an¬
dern an das belgische Zollamt in Henri la Chapelle abgeliefert werden. Die¬
selben bestehen, ganz wie vor sechszig Jahren in der französischen Zeit, aus
der Grund-, der Personal-, der Mobiliar-, der Thür- und Fenstersteuer sowie
aus der Patcntsteuer. Die drei erstgenannten Steuern werden noch immer
nach dem Maßstabe von 1816 auf die einzelnen steuerpflichtigen Gegenstände
und Personen vertheilt. Die Patentsteuer wird von den zum Betriebe von
Handwerken und Gewerben patentirter Einwohnern nach den alten franzö¬
sischen Gesetzen von 1791 und 1798 erhoben. Zölle gibt es in dem neutralen
Gebiete nicht. Alle Waaren gehen frei in dasselbe ein und unterliegen erst
wenn sie in einen der beiden benachbarten Staaten eingeführt werden und
dort in die Classe der zollpflichtigen Gegenstände fallen, dem Eingangszölle,
weshalb sich auch dicht beim neutralen Gebiete ein preußisches Zollamt in
Tüllje und ein belgisches in Henri la Chapelle befindet.

Die Gemeindeverwaltung des neutralen Theils von Moresnet führt der¬
malen ein Bürgermeister mit einem Beigeordneten. Ersterer wird von den
Immediatcommisfciren, letzterer auf Vorschlag des Bürgermeisters ebenfalls von
diesen ernannt. Beiden ist ein aus 10 Mitgliedern bestehender Gemeinderath
an die Seite gestellt, welcher vom Bürgermeister aus der Zahl der Meist¬
begüterten gewählt und von den Commisfären bestätigt wird. Das Gemeinde¬
budget wird jedes Jahr vom Bürgermeister des belgischen Theils Moresncts
für alle drei Theile des Dorfes gemeinsam festgestellt und von den Gemeinde¬
räthen begutachtet. Die Revision liegt der permanenten Deputation der
Provinzialstände in Lüttich ob, und die Gemeindecasse führt ein belgischer
Rendant. Das Vermögen von Gesammt-Moresnet besteht vorzüglich in 1970
Morgen Wald, von denen 320 auf neutral-Moresnet kommen. Die Ge¬
meindeschulden beliefen sich 1837 auf etwa 18,000 Francs.


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[0308] Uebrigen waren meist Belgier, Preußen und Holländer. Fast alle gehörten der katholischen Kirche an. Die Souveränetät über das Gebiet besaßen bisher die Kronen von Preußen und Belgien gemeinsam, dasselbe war also nicht „herrenlos." Sonst war es ein völlig selbstständiges Ländchen von etwa 3 Quadratkilometer Aus¬ dehnung, dessen Bewohner weder Preußen noch Belgier waren und somit auch der Militärpflicht nicht unterlagen. Die Verwaltung wurde nicht von preu¬ ßischen und ebensowenig von belgischen Behörden, sondern durch Jmmediat- commissäre beider Staaten kraft königlicher Vollmachten geführt. Von Fort¬ schritten in der Gesetzgebung konnte unter solchen Umständen nicht die Rede sein und dieselbe ist in Folge dessen bei dem Stande von 1813 verblieben. Dasselbe gilt auch von den Staatssteuern (daß es hier keine Abgaben gäbe, ist ebenso unrichtig als die Behauptung der Herrenlofigkeit des Ge¬ bietes), die zur einen Hälfte an die iRegierungshauptcasse in Aachen, zur an¬ dern an das belgische Zollamt in Henri la Chapelle abgeliefert werden. Die¬ selben bestehen, ganz wie vor sechszig Jahren in der französischen Zeit, aus der Grund-, der Personal-, der Mobiliar-, der Thür- und Fenstersteuer sowie aus der Patcntsteuer. Die drei erstgenannten Steuern werden noch immer nach dem Maßstabe von 1816 auf die einzelnen steuerpflichtigen Gegenstände und Personen vertheilt. Die Patentsteuer wird von den zum Betriebe von Handwerken und Gewerben patentirter Einwohnern nach den alten franzö¬ sischen Gesetzen von 1791 und 1798 erhoben. Zölle gibt es in dem neutralen Gebiete nicht. Alle Waaren gehen frei in dasselbe ein und unterliegen erst wenn sie in einen der beiden benachbarten Staaten eingeführt werden und dort in die Classe der zollpflichtigen Gegenstände fallen, dem Eingangszölle, weshalb sich auch dicht beim neutralen Gebiete ein preußisches Zollamt in Tüllje und ein belgisches in Henri la Chapelle befindet. Die Gemeindeverwaltung des neutralen Theils von Moresnet führt der¬ malen ein Bürgermeister mit einem Beigeordneten. Ersterer wird von den Immediatcommisfciren, letzterer auf Vorschlag des Bürgermeisters ebenfalls von diesen ernannt. Beiden ist ein aus 10 Mitgliedern bestehender Gemeinderath an die Seite gestellt, welcher vom Bürgermeister aus der Zahl der Meist¬ begüterten gewählt und von den Commisfären bestätigt wird. Das Gemeinde¬ budget wird jedes Jahr vom Bürgermeister des belgischen Theils Moresncts für alle drei Theile des Dorfes gemeinsam festgestellt und von den Gemeinde¬ räthen begutachtet. Die Revision liegt der permanenten Deputation der Provinzialstände in Lüttich ob, und die Gemeindecasse führt ein belgischer Rendant. Das Vermögen von Gesammt-Moresnet besteht vorzüglich in 1970 Morgen Wald, von denen 320 auf neutral-Moresnet kommen. Die Ge¬ meindeschulden beliefen sich 1837 auf etwa 18,000 Francs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/308>, abgerufen am 22.07.2024.