gäbe um so weniger entziehen sollten, als dieselbe den Strafzweck durchaus nicht vereitelt.
Gewöhnlich verlangt man von den Gefängnissen nur, daß sie die Ge¬ sundheit der Gefangenen möglichst wenig beschädigen, dies soll der ganze Tribut der Gefängnisse an die öffentliche Gesundheitspflege sein. Dem gegen¬ über wählen wir einen höheren Standpunkt, welcher den Gesichtskreis erwei¬ tert: der Tribut an die öffentliche Gesundheitspflege, welchen wir von den Gefängnissen verlangen, ist die Vorbereitung der Gefangenen für die Freiheit. Diese Vorbereitung soll die Gefangenen befähigen, nach der Entlassung durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Dieser Aus¬ fassung zufolge ist die Schonung der Gesundheit der Gefangenen nur die Eine von den verschiedenen Leistungen, welche die in Rede stehende Vorbereitung umfaßt; wenn die Gefängnisse diese Vorbereitung gewähren, werden sie jede Rücksicht, welche die Strafhaft nur irgend zulassen kann, auf die Gesundheit der Gefangenen nehmen, damit der aus der Haft Entlassene mit möglichst wenig geschwächtem Körper und Geiste in die Freiheit eintrete.
nachtheilig für die Gesundheit sind die Gefängnisse immer, sie können nicht anders, das müssen wir berücksichtigen. Die deprimirte Gemüthsstimmung, die veränderte Lebensweise, der Mangel an Bewegung, die strenge Disciplin, die durch das Beisammensein vieler Menschen verschlechterte Athmungsluft, die ge¬ ringe Nährkraft und der mangelnde Reiz der Beköstigung, die Zwangsarbeit u. s. w. sind an sich gesundheitsschädliche Momente, welche allen Gefängnissen eigen sind. In den Zuchthäusern wirken diese Momente noch schädlicher als in anderen Gefängnissen, weil in den Zuchthäusern die Strafe eine schwerere ist. Das häufige Vorkommen des Rheumatismus, namentlich in den Gelenken, des Scorbutes, des Wechselfiebers, der Scrophelsucht und anderer Krankheiten in den Zuchthäusern, besonders aber das häufige Vorkommen von Schwindsucht und Wassersucht, zeigt den Einfluß, welchen jene Momente auf die Gefangenen ausüben. Die Statistik liefert hierfür erschreckende Belege, selbst in solchen Zuchthäusern, in denen die Gesundheitsverhältnisse relativ günstig sind. In letzterer Hinsicht führe ich beispielsweise die Strafanstalt zu Naugard an, in welcher, wie Baer") berichtet, die Schwindsucht 40'60 Procent, die Wassersucht 14 - 78 Procent aller Todesursachen ist. Im Jahre 1869 starben eines natürlichen Todes in den preußischen Gefängnissen 547 Männer und 85 Weiber-, von ihnen erlagen der Schwindsucht 231 Männer (42-28 Proc.) und 44 Weiber (51-76 Proc.), der Wassersucht 65 Männer (11'88 Procent)
') Baer- Die Gefängnisse, Strafanstalten und Strafsysteme, ihre Einrichtung und Wirkung in hygienischer Beziehung, Berlin 1871, S. S4.
gäbe um so weniger entziehen sollten, als dieselbe den Strafzweck durchaus nicht vereitelt.
Gewöhnlich verlangt man von den Gefängnissen nur, daß sie die Ge¬ sundheit der Gefangenen möglichst wenig beschädigen, dies soll der ganze Tribut der Gefängnisse an die öffentliche Gesundheitspflege sein. Dem gegen¬ über wählen wir einen höheren Standpunkt, welcher den Gesichtskreis erwei¬ tert: der Tribut an die öffentliche Gesundheitspflege, welchen wir von den Gefängnissen verlangen, ist die Vorbereitung der Gefangenen für die Freiheit. Diese Vorbereitung soll die Gefangenen befähigen, nach der Entlassung durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Dieser Aus¬ fassung zufolge ist die Schonung der Gesundheit der Gefangenen nur die Eine von den verschiedenen Leistungen, welche die in Rede stehende Vorbereitung umfaßt; wenn die Gefängnisse diese Vorbereitung gewähren, werden sie jede Rücksicht, welche die Strafhaft nur irgend zulassen kann, auf die Gesundheit der Gefangenen nehmen, damit der aus der Haft Entlassene mit möglichst wenig geschwächtem Körper und Geiste in die Freiheit eintrete.
nachtheilig für die Gesundheit sind die Gefängnisse immer, sie können nicht anders, das müssen wir berücksichtigen. Die deprimirte Gemüthsstimmung, die veränderte Lebensweise, der Mangel an Bewegung, die strenge Disciplin, die durch das Beisammensein vieler Menschen verschlechterte Athmungsluft, die ge¬ ringe Nährkraft und der mangelnde Reiz der Beköstigung, die Zwangsarbeit u. s. w. sind an sich gesundheitsschädliche Momente, welche allen Gefängnissen eigen sind. In den Zuchthäusern wirken diese Momente noch schädlicher als in anderen Gefängnissen, weil in den Zuchthäusern die Strafe eine schwerere ist. Das häufige Vorkommen des Rheumatismus, namentlich in den Gelenken, des Scorbutes, des Wechselfiebers, der Scrophelsucht und anderer Krankheiten in den Zuchthäusern, besonders aber das häufige Vorkommen von Schwindsucht und Wassersucht, zeigt den Einfluß, welchen jene Momente auf die Gefangenen ausüben. Die Statistik liefert hierfür erschreckende Belege, selbst in solchen Zuchthäusern, in denen die Gesundheitsverhältnisse relativ günstig sind. In letzterer Hinsicht führe ich beispielsweise die Strafanstalt zu Naugard an, in welcher, wie Baer") berichtet, die Schwindsucht 40'60 Procent, die Wassersucht 14 - 78 Procent aller Todesursachen ist. Im Jahre 1869 starben eines natürlichen Todes in den preußischen Gefängnissen 547 Männer und 85 Weiber-, von ihnen erlagen der Schwindsucht 231 Männer (42-28 Proc.) und 44 Weiber (51-76 Proc.), der Wassersucht 65 Männer (11'88 Procent)
') Baer- Die Gefängnisse, Strafanstalten und Strafsysteme, ihre Einrichtung und Wirkung in hygienischer Beziehung, Berlin 1871, S. S4.
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[0291]
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nicht vereitelt.
Gewöhnlich verlangt man von den Gefängnissen nur, daß sie die Ge¬
sundheit der Gefangenen möglichst wenig beschädigen, dies soll der ganze
Tribut der Gefängnisse an die öffentliche Gesundheitspflege sein. Dem gegen¬
über wählen wir einen höheren Standpunkt, welcher den Gesichtskreis erwei¬
tert: der Tribut an die öffentliche Gesundheitspflege, welchen wir von den
Gefängnissen verlangen, ist die Vorbereitung der Gefangenen für die Freiheit.
Diese Vorbereitung soll die Gefangenen befähigen, nach der Entlassung durch
ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Dieser Aus¬
fassung zufolge ist die Schonung der Gesundheit der Gefangenen nur die Eine
von den verschiedenen Leistungen, welche die in Rede stehende Vorbereitung
umfaßt; wenn die Gefängnisse diese Vorbereitung gewähren, werden sie jede
Rücksicht, welche die Strafhaft nur irgend zulassen kann, auf die Gesundheit
der Gefangenen nehmen, damit der aus der Haft Entlassene mit möglichst
wenig geschwächtem Körper und Geiste in die Freiheit eintrete.
nachtheilig für die Gesundheit sind die Gefängnisse immer, sie können
nicht anders, das müssen wir berücksichtigen. Die deprimirte Gemüthsstimmung,
die veränderte Lebensweise, der Mangel an Bewegung, die strenge Disciplin,
die durch das Beisammensein vieler Menschen verschlechterte Athmungsluft, die ge¬
ringe Nährkraft und der mangelnde Reiz der Beköstigung, die Zwangsarbeit
u. s. w. sind an sich gesundheitsschädliche Momente, welche allen Gefängnissen
eigen sind. In den Zuchthäusern wirken diese Momente noch schädlicher als
in anderen Gefängnissen, weil in den Zuchthäusern die Strafe eine schwerere
ist. Das häufige Vorkommen des Rheumatismus, namentlich in den Gelenken,
des Scorbutes, des Wechselfiebers, der Scrophelsucht und anderer Krankheiten in
den Zuchthäusern, besonders aber das häufige Vorkommen von Schwindsucht und
Wassersucht, zeigt den Einfluß, welchen jene Momente auf die Gefangenen
ausüben. Die Statistik liefert hierfür erschreckende Belege, selbst in solchen
Zuchthäusern, in denen die Gesundheitsverhältnisse relativ günstig sind. In
letzterer Hinsicht führe ich beispielsweise die Strafanstalt zu Naugard an,
in welcher, wie Baer") berichtet, die Schwindsucht 40'60 Procent, die
Wassersucht 14 - 78 Procent aller Todesursachen ist. Im Jahre 1869 starben
eines natürlichen Todes in den preußischen Gefängnissen 547 Männer und
85 Weiber-, von ihnen erlagen der Schwindsucht 231 Männer (42-28 Proc.)
und 44 Weiber (51-76 Proc.), der Wassersucht 65 Männer (11'88 Procent)
') Baer- Die Gefängnisse, Strafanstalten und Strafsysteme, ihre Einrichtung und Wirkung
in hygienischer Beziehung, Berlin 1871, S. S4.
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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/291>, abgerufen am 02.01.2025.
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