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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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gedachte, welches der Reichstag angenommen hat. Das Amendement besagt,
daß jeder Reichsbeamte für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen
verantwortlich ist und daß die Anordnungen der Vorgesetzten den Unterbe-
beamten nur schützen, sofern sie innerhalb der amtlichen Zuständigkeit der
Vorgesetzten und in' gesetzlicher Form erlassen worden. Regierungsseitig
erkennt man in dieser Vorschrift die Unterstellung der höheren Beamten
unter die Controle ihrer Untergebenen. In einem letzten Berichte machte ich
bereits aufmerksam, daß das Bernuth'sche Amendement, wenn es die amtliche
Zuständigkeit nur formell versteht, gar nichts bedeutet, daß es aber nichts
mehr und nichts weniger, als eine Umwälzung des deutschen, insbesondere
des preußischen Beamtenthums bedeutet, wenn es die amtliche Zuständigkeit
materiell versteht. Die zweideutige Fassung des vom Reichstag angenommenen
Amendements ist unbedingt gefährlich und keinem Zweifel unterliegt, daß die
Reichsregierung, wenn diese Fassung in der dritten Lesung beibehalten wird,
das Gesetz zurückweist.

Weit tiefgreifender ist der Conflictskeim, welchen die Steuerfragen an
den Tag gebracht haben. Am 1. Mai kam ein Antrag v. Hoverbecks auf
Verminderung der Salzsteuer zur ersten Berathung. Ich halte mich nicht
dabei auf, daß diese Steuer ganz oder gar nicht abgeschafft werden muß. Die
unermeßliche mit der Salzsteuer verbundene Belästigung des Handels und des
consumirenden Publicums bei einem geringen Ertrag aufrecht zu halten, wäre
eine Finanzpolitik würdig der Bürger von Schilda. Der Präsident Delbrück
erklärte, daß die völlige Aufhebung der Salzsteuer, und nur die völlige Auf¬
hebung, für die Bundesregierung Gegenstand ernsthafter und beschleunigter
Erwägung sein müßte, aber nur unter der Bedingung, daß dem Reich andere
Einnahmequellen zum Ersatz eröffnet werden. Denn wer nicht auf die Auf¬
lösung des Reiches hinarbeiten will, darf nicht daran denken, die Erhaltung
der Reichsinstitutionen auf Matricularbeiträge anzuweisen. Er muß viel¬
mehr darauf hinarbeiten, die Reichseinnahmequellen so zu erhöhen, daß die
Matricularbeiträge gänzlich in Wegfall kommen. Es war dieser Gesichtspunkt
für welchen der Reichskanzler selbst in die Verhandlung eintrat und für
welchen er das ganze Gewicht seiner Person und seiner Ueberzeugung einlegte.
Er fügte hinzu, daß es schwer zu verantworten sei, die Salzsteuer, welche bis
jetzt eine Haupteinnahmequelle des Reiches bildet, mit Vorwürfen zu über¬
häufen, bevor man zu einem bestimmten Weg des Ersatzes entschlossen
und sicher ist, für diesen Weg die Mehrheit des Reichstags zu gewinnen.
Das Reich in den Quellen seines Bestandes anschwärzen ohne bessere Quellen
zu wissen, heißt sich am Reich vergreifen. Mit schmerzlich schwerer Betonung
schloß der Reichskanzler, daß er unter einem Antrag wie der gestellte, die


gedachte, welches der Reichstag angenommen hat. Das Amendement besagt,
daß jeder Reichsbeamte für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen
verantwortlich ist und daß die Anordnungen der Vorgesetzten den Unterbe-
beamten nur schützen, sofern sie innerhalb der amtlichen Zuständigkeit der
Vorgesetzten und in' gesetzlicher Form erlassen worden. Regierungsseitig
erkennt man in dieser Vorschrift die Unterstellung der höheren Beamten
unter die Controle ihrer Untergebenen. In einem letzten Berichte machte ich
bereits aufmerksam, daß das Bernuth'sche Amendement, wenn es die amtliche
Zuständigkeit nur formell versteht, gar nichts bedeutet, daß es aber nichts
mehr und nichts weniger, als eine Umwälzung des deutschen, insbesondere
des preußischen Beamtenthums bedeutet, wenn es die amtliche Zuständigkeit
materiell versteht. Die zweideutige Fassung des vom Reichstag angenommenen
Amendements ist unbedingt gefährlich und keinem Zweifel unterliegt, daß die
Reichsregierung, wenn diese Fassung in der dritten Lesung beibehalten wird,
das Gesetz zurückweist.

Weit tiefgreifender ist der Conflictskeim, welchen die Steuerfragen an
den Tag gebracht haben. Am 1. Mai kam ein Antrag v. Hoverbecks auf
Verminderung der Salzsteuer zur ersten Berathung. Ich halte mich nicht
dabei auf, daß diese Steuer ganz oder gar nicht abgeschafft werden muß. Die
unermeßliche mit der Salzsteuer verbundene Belästigung des Handels und des
consumirenden Publicums bei einem geringen Ertrag aufrecht zu halten, wäre
eine Finanzpolitik würdig der Bürger von Schilda. Der Präsident Delbrück
erklärte, daß die völlige Aufhebung der Salzsteuer, und nur die völlige Auf¬
hebung, für die Bundesregierung Gegenstand ernsthafter und beschleunigter
Erwägung sein müßte, aber nur unter der Bedingung, daß dem Reich andere
Einnahmequellen zum Ersatz eröffnet werden. Denn wer nicht auf die Auf¬
lösung des Reiches hinarbeiten will, darf nicht daran denken, die Erhaltung
der Reichsinstitutionen auf Matricularbeiträge anzuweisen. Er muß viel¬
mehr darauf hinarbeiten, die Reichseinnahmequellen so zu erhöhen, daß die
Matricularbeiträge gänzlich in Wegfall kommen. Es war dieser Gesichtspunkt
für welchen der Reichskanzler selbst in die Verhandlung eintrat und für
welchen er das ganze Gewicht seiner Person und seiner Ueberzeugung einlegte.
Er fügte hinzu, daß es schwer zu verantworten sei, die Salzsteuer, welche bis
jetzt eine Haupteinnahmequelle des Reiches bildet, mit Vorwürfen zu über¬
häufen, bevor man zu einem bestimmten Weg des Ersatzes entschlossen
und sicher ist, für diesen Weg die Mehrheit des Reichstags zu gewinnen.
Das Reich in den Quellen seines Bestandes anschwärzen ohne bessere Quellen
zu wissen, heißt sich am Reich vergreifen. Mit schmerzlich schwerer Betonung
schloß der Reichskanzler, daß er unter einem Antrag wie der gestellte, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/285>, abgerufen am 22.07.2024.