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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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gwsen Lebens konnte entstehen. Die Richtung auf eine äußere Werkgerechtig¬
keit, welche der Katholicismus an sich begünstigt, wurde von den Jesuiten
rücksichtslos befolgt. Können wir uns dann wundern, wenn die Zöglinge,
gehorsam ihren Lehrern, das Heiligthum der Religion entweihten, wenn harm¬
los ein Zögling an seinen Vater schreibt: "Ich gewann auf dem Billarde
zwölf Avemarias, die Strottmann, und auf dem Bosselplatze wiederum fünf
andere, die Pober für mich beten mußte."*)

Daß der Heiligencultus auch in das Schullebm eindrang, besondere Hei¬
lige als Patrone der Schüler ausersehen wurden, wie die Heiligen Joseph,
Katharina, Nikolaus, Ignatius, Aloysius, Stanislaus, daß in Königgrätz jede
Classe ihren besonderen Heiligen zum Schutzpatron wählte, mag hier nur er¬
wähnt werden.

Es bleibt hier nur übrig, eine Spieglung des Katholicismus in der jesui¬
tischen Pädagogik zu beachten die hierarchische Verfassung. Der Jesuiten¬
orden ist in der Verfassung ein Mikrokosmus der katholischen Kirche, wie sie
sich nach dem System des Ultramontanismus ausgebaut hat, nur daß der
Zügel hier straffer angezogen ist als dort. Der Geist der Brüderlichkeit, der
Kollegialität, des Vertrauens, der Freiheit und Selbstständigkeir kann hier
nicht erwachen, nur für den Geist des Mißtrauens, der Furcht, der Abhängig¬
keit wird Raum gelassen. Ein vollständig durchgeführtes System der Spio¬
nage muß alle edleren Gefühle vernichten, eine freie Gesinnung zerstören. Die
Oberen müssen über die Untergeordneten und die Untergeordneten über die
Oberen berichten. Ja selbst die Schüler werden über ihre Lehrer und Vor¬
steher ausgeforscht. Und welcher Art diese Berichte sind, geht aus der Frage
hervor, die an die Beamten des Collegiums gerichtet wird, ob sie wüßten,
wie ihr Vorgesetzter von ihm, dem höheren Vorgesetzten, denke. Jeder Jesuit
ist der Spion des andern, keiner darf sich dem andern anvertrauen, jeder
muß etwas anderes scheinen als er ist.

Der Widerspruch, den wir durchgängig gegen die Grundsätze der jesui¬
tischen Pädagogik erhoben haben, ruht nicht sowohl auf abweichenden wissen¬
schaftlichen Ueberzeugungen, als vielmehr aus einem religiösen und sittlichen
Gegensatz. Es ist der protestantische Sinn und Geist, es ist der evangelische
Character, welcher der jesuitischen Pädagogik den Fehdehandschuh hinwirft.
Es ist der protestantische Geist, welcher sich gegen die Entweihung der Reli¬
gion, gegen die Unterdrückung der persönlichen Freiheit, gegen die Mißachtung
der von Gott geknüpften Bande der Verwandtschaft und Freundschaft wendet,
es ist der protestantische Geist, welcher gegen die Beschränkung der Wissenschaft,
die Abwehr fortschreitender Erkenntniß, die Ablichtung der Tugend, die Miß-



') Welcker a. a, O. S. 2S9.

gwsen Lebens konnte entstehen. Die Richtung auf eine äußere Werkgerechtig¬
keit, welche der Katholicismus an sich begünstigt, wurde von den Jesuiten
rücksichtslos befolgt. Können wir uns dann wundern, wenn die Zöglinge,
gehorsam ihren Lehrern, das Heiligthum der Religion entweihten, wenn harm¬
los ein Zögling an seinen Vater schreibt: „Ich gewann auf dem Billarde
zwölf Avemarias, die Strottmann, und auf dem Bosselplatze wiederum fünf
andere, die Pober für mich beten mußte."*)

Daß der Heiligencultus auch in das Schullebm eindrang, besondere Hei¬
lige als Patrone der Schüler ausersehen wurden, wie die Heiligen Joseph,
Katharina, Nikolaus, Ignatius, Aloysius, Stanislaus, daß in Königgrätz jede
Classe ihren besonderen Heiligen zum Schutzpatron wählte, mag hier nur er¬
wähnt werden.

Es bleibt hier nur übrig, eine Spieglung des Katholicismus in der jesui¬
tischen Pädagogik zu beachten die hierarchische Verfassung. Der Jesuiten¬
orden ist in der Verfassung ein Mikrokosmus der katholischen Kirche, wie sie
sich nach dem System des Ultramontanismus ausgebaut hat, nur daß der
Zügel hier straffer angezogen ist als dort. Der Geist der Brüderlichkeit, der
Kollegialität, des Vertrauens, der Freiheit und Selbstständigkeir kann hier
nicht erwachen, nur für den Geist des Mißtrauens, der Furcht, der Abhängig¬
keit wird Raum gelassen. Ein vollständig durchgeführtes System der Spio¬
nage muß alle edleren Gefühle vernichten, eine freie Gesinnung zerstören. Die
Oberen müssen über die Untergeordneten und die Untergeordneten über die
Oberen berichten. Ja selbst die Schüler werden über ihre Lehrer und Vor¬
steher ausgeforscht. Und welcher Art diese Berichte sind, geht aus der Frage
hervor, die an die Beamten des Collegiums gerichtet wird, ob sie wüßten,
wie ihr Vorgesetzter von ihm, dem höheren Vorgesetzten, denke. Jeder Jesuit
ist der Spion des andern, keiner darf sich dem andern anvertrauen, jeder
muß etwas anderes scheinen als er ist.

Der Widerspruch, den wir durchgängig gegen die Grundsätze der jesui¬
tischen Pädagogik erhoben haben, ruht nicht sowohl auf abweichenden wissen¬
schaftlichen Ueberzeugungen, als vielmehr aus einem religiösen und sittlichen
Gegensatz. Es ist der protestantische Sinn und Geist, es ist der evangelische
Character, welcher der jesuitischen Pädagogik den Fehdehandschuh hinwirft.
Es ist der protestantische Geist, welcher sich gegen die Entweihung der Reli¬
gion, gegen die Unterdrückung der persönlichen Freiheit, gegen die Mißachtung
der von Gott geknüpften Bande der Verwandtschaft und Freundschaft wendet,
es ist der protestantische Geist, welcher gegen die Beschränkung der Wissenschaft,
die Abwehr fortschreitender Erkenntniß, die Ablichtung der Tugend, die Miß-



') Welcker a. a, O. S. 2S9.
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[0268] gwsen Lebens konnte entstehen. Die Richtung auf eine äußere Werkgerechtig¬ keit, welche der Katholicismus an sich begünstigt, wurde von den Jesuiten rücksichtslos befolgt. Können wir uns dann wundern, wenn die Zöglinge, gehorsam ihren Lehrern, das Heiligthum der Religion entweihten, wenn harm¬ los ein Zögling an seinen Vater schreibt: „Ich gewann auf dem Billarde zwölf Avemarias, die Strottmann, und auf dem Bosselplatze wiederum fünf andere, die Pober für mich beten mußte."*) Daß der Heiligencultus auch in das Schullebm eindrang, besondere Hei¬ lige als Patrone der Schüler ausersehen wurden, wie die Heiligen Joseph, Katharina, Nikolaus, Ignatius, Aloysius, Stanislaus, daß in Königgrätz jede Classe ihren besonderen Heiligen zum Schutzpatron wählte, mag hier nur er¬ wähnt werden. Es bleibt hier nur übrig, eine Spieglung des Katholicismus in der jesui¬ tischen Pädagogik zu beachten die hierarchische Verfassung. Der Jesuiten¬ orden ist in der Verfassung ein Mikrokosmus der katholischen Kirche, wie sie sich nach dem System des Ultramontanismus ausgebaut hat, nur daß der Zügel hier straffer angezogen ist als dort. Der Geist der Brüderlichkeit, der Kollegialität, des Vertrauens, der Freiheit und Selbstständigkeir kann hier nicht erwachen, nur für den Geist des Mißtrauens, der Furcht, der Abhängig¬ keit wird Raum gelassen. Ein vollständig durchgeführtes System der Spio¬ nage muß alle edleren Gefühle vernichten, eine freie Gesinnung zerstören. Die Oberen müssen über die Untergeordneten und die Untergeordneten über die Oberen berichten. Ja selbst die Schüler werden über ihre Lehrer und Vor¬ steher ausgeforscht. Und welcher Art diese Berichte sind, geht aus der Frage hervor, die an die Beamten des Collegiums gerichtet wird, ob sie wüßten, wie ihr Vorgesetzter von ihm, dem höheren Vorgesetzten, denke. Jeder Jesuit ist der Spion des andern, keiner darf sich dem andern anvertrauen, jeder muß etwas anderes scheinen als er ist. Der Widerspruch, den wir durchgängig gegen die Grundsätze der jesui¬ tischen Pädagogik erhoben haben, ruht nicht sowohl auf abweichenden wissen¬ schaftlichen Ueberzeugungen, als vielmehr aus einem religiösen und sittlichen Gegensatz. Es ist der protestantische Sinn und Geist, es ist der evangelische Character, welcher der jesuitischen Pädagogik den Fehdehandschuh hinwirft. Es ist der protestantische Geist, welcher sich gegen die Entweihung der Reli¬ gion, gegen die Unterdrückung der persönlichen Freiheit, gegen die Mißachtung der von Gott geknüpften Bande der Verwandtschaft und Freundschaft wendet, es ist der protestantische Geist, welcher gegen die Beschränkung der Wissenschaft, die Abwehr fortschreitender Erkenntniß, die Ablichtung der Tugend, die Miß- ') Welcker a. a, O. S. 2S9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/268>, abgerufen am 22.12.2024.