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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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sogar der schriftlichen Uebung gegen 9 Uhr eine kurze Anrufung des heiligen
Geistes vorausgeschickt. Bestimmte Gebete täglich her zu sagen, wurden die
Jesuitenzöglinge besonders ermahnt. "Her zu sagen." wir gebrauchen dies
Wort mit Absicht; sagt doch der Landshuter Lehrplan ausdrücklich: die Schü¬
ler sollten die Gebete zur Vermeidung des Ekels bald aus einem Buche, bald
aus dem Gedächtniß recitiren, wohl auch sogar im Geiste denkend vollbringen.
Was wir also von jedem Gebet voraussetzen, daß es im Geiste und im Ge¬
danken vollzogen wird, das ist nach jesuitischer Ansicht nur ausnahmsweise
zulässig. Täglich wurde die Messe gehört, an allen Festtagen die Predigt, in
der Fastenzeit auch zweimal in der Woche, monatlich die Beichte abgelegt und
die Communion gefeiert, die Novizen mußten sogar alle acht Tage beichten
und communiciren. Auch hielten die Schüler der Oberclasse einmal wöchent¬
lich religiöse Vorträge, nach den Statuten theils zur Uebung des Styls, theils
zur Besserung der Sitten, wie denn auch die Lectüre des Katechismus zur
Aneignung der lateinischen Sprache verwerthet wurde. Die religiöse Uebung
ist zu allen Zwecken brauchbar, auch zur Strafe. Die Statuten sagen: "Wer
sich in der Andacht verfehlt hat, soll im Bethause einige Zeit dem Gebet ob¬
liegen oder, wenn ein Festtag einfällt, noch einer zweiten Messe beiwohnen
oder er soll zur ersten Messe oder zu einer der ersten am frühesten Morgen
in die Kirche kommen." Ja, die Frömmigkeit wurde auch belobt. "Die¬
jenigen, welche durch besondere Andacht leuchten, sollen belobt und öffentlich
ausgezeichnet werden." Wie äußerlich die Jesuiten die religiöse Bildung und
Erziehung auffaßten, zeigt auch der gute Rath, sich eine Besserungstabelle an¬
zulegen, "die Schüler sollten an jedem Morgen sich die Vermeidung einer be¬
stimmten Sünde vornehmen und am Mittag und Abend, wie oft sie dennoch
in dieselbe gefallen seien, mit Punkten jedesmal in einer neuen Zeile an¬
zeichnen und beachten, ob von der ersten bis zur zweiten Prüfung einige Bes¬
serung vorgegangen sei. Hiermit sollten sie sodann an den folgenden Tagen
fortfahren und die Punkte mit einander vergleichen, um so eine Rechnungs¬
übersicht über die erfolgte oder unterbliebene Besserung zu haben."*) So
hatte jeder seine Tugend schwarz auf weiß. Ein besonderes Mittel, den Geist
religiöser Uebung zu wecken, war die Stiftung von sogenannten Congregatio-
nen, freiwilliger, religiöser, statutarisch geordneter Vereine, einer Art von Or¬
den mit freierer Verfassung. In solche Congregationen die Aufnahme
nicht begehrt oder empfangen zu haben, galt als Schande. Der Ordensgeist
der katholischen Kirche regt sich auch hier. Es soll eine religiöse Aristokratie
geschaffen werden, ausgezeichnet durch Frömmigkeit. Von einer dieser Con¬
gregationen, vom heiligen Scapulier, erzählt sehr anziehend der Zögling des



-) Welcker a. a, O. S. 2Z9--40.

sogar der schriftlichen Uebung gegen 9 Uhr eine kurze Anrufung des heiligen
Geistes vorausgeschickt. Bestimmte Gebete täglich her zu sagen, wurden die
Jesuitenzöglinge besonders ermahnt. „Her zu sagen." wir gebrauchen dies
Wort mit Absicht; sagt doch der Landshuter Lehrplan ausdrücklich: die Schü¬
ler sollten die Gebete zur Vermeidung des Ekels bald aus einem Buche, bald
aus dem Gedächtniß recitiren, wohl auch sogar im Geiste denkend vollbringen.
Was wir also von jedem Gebet voraussetzen, daß es im Geiste und im Ge¬
danken vollzogen wird, das ist nach jesuitischer Ansicht nur ausnahmsweise
zulässig. Täglich wurde die Messe gehört, an allen Festtagen die Predigt, in
der Fastenzeit auch zweimal in der Woche, monatlich die Beichte abgelegt und
die Communion gefeiert, die Novizen mußten sogar alle acht Tage beichten
und communiciren. Auch hielten die Schüler der Oberclasse einmal wöchent¬
lich religiöse Vorträge, nach den Statuten theils zur Uebung des Styls, theils
zur Besserung der Sitten, wie denn auch die Lectüre des Katechismus zur
Aneignung der lateinischen Sprache verwerthet wurde. Die religiöse Uebung
ist zu allen Zwecken brauchbar, auch zur Strafe. Die Statuten sagen: „Wer
sich in der Andacht verfehlt hat, soll im Bethause einige Zeit dem Gebet ob¬
liegen oder, wenn ein Festtag einfällt, noch einer zweiten Messe beiwohnen
oder er soll zur ersten Messe oder zu einer der ersten am frühesten Morgen
in die Kirche kommen." Ja, die Frömmigkeit wurde auch belobt. „Die¬
jenigen, welche durch besondere Andacht leuchten, sollen belobt und öffentlich
ausgezeichnet werden." Wie äußerlich die Jesuiten die religiöse Bildung und
Erziehung auffaßten, zeigt auch der gute Rath, sich eine Besserungstabelle an¬
zulegen, „die Schüler sollten an jedem Morgen sich die Vermeidung einer be¬
stimmten Sünde vornehmen und am Mittag und Abend, wie oft sie dennoch
in dieselbe gefallen seien, mit Punkten jedesmal in einer neuen Zeile an¬
zeichnen und beachten, ob von der ersten bis zur zweiten Prüfung einige Bes¬
serung vorgegangen sei. Hiermit sollten sie sodann an den folgenden Tagen
fortfahren und die Punkte mit einander vergleichen, um so eine Rechnungs¬
übersicht über die erfolgte oder unterbliebene Besserung zu haben."*) So
hatte jeder seine Tugend schwarz auf weiß. Ein besonderes Mittel, den Geist
religiöser Uebung zu wecken, war die Stiftung von sogenannten Congregatio-
nen, freiwilliger, religiöser, statutarisch geordneter Vereine, einer Art von Or¬
den mit freierer Verfassung. In solche Congregationen die Aufnahme
nicht begehrt oder empfangen zu haben, galt als Schande. Der Ordensgeist
der katholischen Kirche regt sich auch hier. Es soll eine religiöse Aristokratie
geschaffen werden, ausgezeichnet durch Frömmigkeit. Von einer dieser Con¬
gregationen, vom heiligen Scapulier, erzählt sehr anziehend der Zögling des



-) Welcker a. a, O. S. 2Z9—40.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/266>, abgerufen am 22.07.2024.