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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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mus dagegen hat vielmehr die Neigung, die eigne Kraft der individuellen Per¬
sönlichkeiten zu überschätzen, die Selbsterlösung, wenn auch mit Hülfe der
Kirche und der göttlichen Gnade, zu billigen. Die Seligsprechungen und
Heiligsprechungen des Katholicismus liefern den Beleg; und wenn wir auch
weit davon entfernt sind, den Katholicismus für diese jesuitischen Entartungen
verantwortlich zu machen, so müssen wir doch gestehen, daß er ihnen Vorschub
geleistet hat. --

Die Strafen der Jesuiten ruhen meistens auf demselben Grundsatz,
den Ehrgeiz zu wecken, das Schamgefühl zu reizen. Der Landshuter Lehrplan
sagt: Einige stellen in Mitte der Schule d. h. Klasse oder in irgend einen
Winkel eine Unglücksbank und benennen sie mit einem Schmachnamen, z. B.
die Höllenleiter. Wer an diesem Platze sitzt, dem sei die Note der Schmach
eingebrannt und eine literarische Strafe auferlegt, doch nichts desto weniger
ihm Gelegenheit sie zu tilgen gegeben, wenn er entweder durch Hersagung
einer Vorlesung oder eine bessere Ausarbeitung der schriftlichen Aufgabe einen
Andern besiegt hat."*) Körperliche Züchtigung trat sehr selten ein, und
wurden dann nie durch ein Mitglied der Societät selbst ausgeübt. Bekanntlich
wurden die Käzer von der mittelalterlichen Kirche verurtheilt, aber das Ge¬
hässige der Execution übernahm der Staat, da die Kirche nicht nach Blut
dürstet. Ja der mit der körperlichen Züchtigung betraute Diener war selbst
während der Procedur maskirt, um nicht erkannt oder Gegenstand des Hasses
zu werden. Die Gesellschaft Jesu ist sehr klug und sehr vorsichtig, so wie die
römische Curie, in deren Dienst sie steht. In diesem Sinne ermahnt der
Landshuter Lehrplan: Der Lehrer erwäge beständig dieses: diejenigen, deren
Alter und Zustand er jetzt schwach und unbedeutend und vielleicht verächtlich
sieht, werden in Kurzem Jünglinge und Männer und werden (wie es das
Schicksal menschlicher Dinge ist) vielleicht zu Würden, Gütern und Macht ge¬
langen, so daß man ihre Gunst werde suchen und von ihrem Winke und
Willen abhängen müssen, daher also ermesse man auch, welche Weise in Wort
und That anzuwenden sich schicke."**)

Der Jesuitenorden hat keine große Neigung, natürliche Gemeinschaf¬
ten anzuerkennen, zu schützen, zu fördern. Das Interesse für die sichtbare
Kirche, die mit ihrem unsichtbaren Haupte identificirt wird, soll die Liebe zu
irdischen Gemeinschaften tilgen. Die natürliche Liebe soll nicht veredelt und
geweiht, nein, sie soll vernichtet werden. Wundern wir uns daher nicht
darüber, daß die Jesuiten als Erzieher keine Freundschaften unter den
Schülern dulden. Schüler der Jesuiten im engeren Sinne, Novizen, durften
auf dem Schulwege nur mit einem ihnen zugewiesenen Genossen gehen, mit




") Derselbe a. a. O. S. ZIS-ti.
") Nenner a. c>. O, S. 31S.

mus dagegen hat vielmehr die Neigung, die eigne Kraft der individuellen Per¬
sönlichkeiten zu überschätzen, die Selbsterlösung, wenn auch mit Hülfe der
Kirche und der göttlichen Gnade, zu billigen. Die Seligsprechungen und
Heiligsprechungen des Katholicismus liefern den Beleg; und wenn wir auch
weit davon entfernt sind, den Katholicismus für diese jesuitischen Entartungen
verantwortlich zu machen, so müssen wir doch gestehen, daß er ihnen Vorschub
geleistet hat. —

Die Strafen der Jesuiten ruhen meistens auf demselben Grundsatz,
den Ehrgeiz zu wecken, das Schamgefühl zu reizen. Der Landshuter Lehrplan
sagt: Einige stellen in Mitte der Schule d. h. Klasse oder in irgend einen
Winkel eine Unglücksbank und benennen sie mit einem Schmachnamen, z. B.
die Höllenleiter. Wer an diesem Platze sitzt, dem sei die Note der Schmach
eingebrannt und eine literarische Strafe auferlegt, doch nichts desto weniger
ihm Gelegenheit sie zu tilgen gegeben, wenn er entweder durch Hersagung
einer Vorlesung oder eine bessere Ausarbeitung der schriftlichen Aufgabe einen
Andern besiegt hat."*) Körperliche Züchtigung trat sehr selten ein, und
wurden dann nie durch ein Mitglied der Societät selbst ausgeübt. Bekanntlich
wurden die Käzer von der mittelalterlichen Kirche verurtheilt, aber das Ge¬
hässige der Execution übernahm der Staat, da die Kirche nicht nach Blut
dürstet. Ja der mit der körperlichen Züchtigung betraute Diener war selbst
während der Procedur maskirt, um nicht erkannt oder Gegenstand des Hasses
zu werden. Die Gesellschaft Jesu ist sehr klug und sehr vorsichtig, so wie die
römische Curie, in deren Dienst sie steht. In diesem Sinne ermahnt der
Landshuter Lehrplan: Der Lehrer erwäge beständig dieses: diejenigen, deren
Alter und Zustand er jetzt schwach und unbedeutend und vielleicht verächtlich
sieht, werden in Kurzem Jünglinge und Männer und werden (wie es das
Schicksal menschlicher Dinge ist) vielleicht zu Würden, Gütern und Macht ge¬
langen, so daß man ihre Gunst werde suchen und von ihrem Winke und
Willen abhängen müssen, daher also ermesse man auch, welche Weise in Wort
und That anzuwenden sich schicke."**)

Der Jesuitenorden hat keine große Neigung, natürliche Gemeinschaf¬
ten anzuerkennen, zu schützen, zu fördern. Das Interesse für die sichtbare
Kirche, die mit ihrem unsichtbaren Haupte identificirt wird, soll die Liebe zu
irdischen Gemeinschaften tilgen. Die natürliche Liebe soll nicht veredelt und
geweiht, nein, sie soll vernichtet werden. Wundern wir uns daher nicht
darüber, daß die Jesuiten als Erzieher keine Freundschaften unter den
Schülern dulden. Schüler der Jesuiten im engeren Sinne, Novizen, durften
auf dem Schulwege nur mit einem ihnen zugewiesenen Genossen gehen, mit




") Derselbe a. a. O. S. ZIS-ti.
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[0263] mus dagegen hat vielmehr die Neigung, die eigne Kraft der individuellen Per¬ sönlichkeiten zu überschätzen, die Selbsterlösung, wenn auch mit Hülfe der Kirche und der göttlichen Gnade, zu billigen. Die Seligsprechungen und Heiligsprechungen des Katholicismus liefern den Beleg; und wenn wir auch weit davon entfernt sind, den Katholicismus für diese jesuitischen Entartungen verantwortlich zu machen, so müssen wir doch gestehen, daß er ihnen Vorschub geleistet hat. — Die Strafen der Jesuiten ruhen meistens auf demselben Grundsatz, den Ehrgeiz zu wecken, das Schamgefühl zu reizen. Der Landshuter Lehrplan sagt: Einige stellen in Mitte der Schule d. h. Klasse oder in irgend einen Winkel eine Unglücksbank und benennen sie mit einem Schmachnamen, z. B. die Höllenleiter. Wer an diesem Platze sitzt, dem sei die Note der Schmach eingebrannt und eine literarische Strafe auferlegt, doch nichts desto weniger ihm Gelegenheit sie zu tilgen gegeben, wenn er entweder durch Hersagung einer Vorlesung oder eine bessere Ausarbeitung der schriftlichen Aufgabe einen Andern besiegt hat."*) Körperliche Züchtigung trat sehr selten ein, und wurden dann nie durch ein Mitglied der Societät selbst ausgeübt. Bekanntlich wurden die Käzer von der mittelalterlichen Kirche verurtheilt, aber das Ge¬ hässige der Execution übernahm der Staat, da die Kirche nicht nach Blut dürstet. Ja der mit der körperlichen Züchtigung betraute Diener war selbst während der Procedur maskirt, um nicht erkannt oder Gegenstand des Hasses zu werden. Die Gesellschaft Jesu ist sehr klug und sehr vorsichtig, so wie die römische Curie, in deren Dienst sie steht. In diesem Sinne ermahnt der Landshuter Lehrplan: Der Lehrer erwäge beständig dieses: diejenigen, deren Alter und Zustand er jetzt schwach und unbedeutend und vielleicht verächtlich sieht, werden in Kurzem Jünglinge und Männer und werden (wie es das Schicksal menschlicher Dinge ist) vielleicht zu Würden, Gütern und Macht ge¬ langen, so daß man ihre Gunst werde suchen und von ihrem Winke und Willen abhängen müssen, daher also ermesse man auch, welche Weise in Wort und That anzuwenden sich schicke."**) Der Jesuitenorden hat keine große Neigung, natürliche Gemeinschaf¬ ten anzuerkennen, zu schützen, zu fördern. Das Interesse für die sichtbare Kirche, die mit ihrem unsichtbaren Haupte identificirt wird, soll die Liebe zu irdischen Gemeinschaften tilgen. Die natürliche Liebe soll nicht veredelt und geweiht, nein, sie soll vernichtet werden. Wundern wir uns daher nicht darüber, daß die Jesuiten als Erzieher keine Freundschaften unter den Schülern dulden. Schüler der Jesuiten im engeren Sinne, Novizen, durften auf dem Schulwege nur mit einem ihnen zugewiesenen Genossen gehen, mit ") Derselbe a. a. O. S. ZIS-ti. ") Nenner a. c>. O, S. 31S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/263>, abgerufen am 24.08.2024.