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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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haben, veranlaßt werden, sich zu ihrem Verderben mit allerlei Wissenschaften
und Schriftstellereien befassen zu wollen, anstatt sich einfach an das zu halten,
was ihrem Stande und ihren allseitigen Verhältnissen angemessen ist und
ihnen und anderen zu wahrem Nutzen gereichen kann."") Man erkennt, wie
der Gebrauch der lateinischen Sprache hier, der vaterländischen dort, noch in
anderer Hinsicht charakteristisch ist. Der Katholicismus trägt einen esote¬
rischen aristokratischen Charakter, es sind die Priester, es ist der Klerus, der
das religiöse Wissen und Erkennen zu seinem Monopol bestimmt hat, es sind
die höheren Stände, die aus priesterlicher Hand die Bildung empfangen dür¬
fen, die dem priesterlichen Interesse entspricht, die Jesuiten haben höchst auf¬
fällig den elementaren Unterricht nur ausnahmsweise als ihre Aufgabe ange¬
sehen. Umgekehrt der Protestantismus besitzt einen eroterischen, im edelsten
Sinne demokratischen Charakter, die Idee des allgemeinen Priesterthums der
Gläubigen treibt dazu, das religiöse Wissen ,und Erkennen zu einem Besitz-
thum der Gemeinde zu machen. Ist aber das Recht des Volks auf religiös-
intellectuelle Bildung anerkannt, dann kann ihm item Gebiet der Erkenntniß
mehr entzogen werden, Es ist einer der schönsten und rührendsten Züge im
Bilde unseres, Luther, daß dieser Deutscheste aller Deutschen auf priesterlichem
Herzen das Wohl des Volkes getragen und in barmherziger Liebe sein Heil
und Wohl unablässig in das Auge gefaßt hat. Es ist gewiß kein Zufall,
daß das Volksschulwesen protestantischer Länder auf einer fo hohen, katho¬
lischer Länder auf so viel niederer Stufe steht. --

Besonders auffällig muß uns erscheinen, daß auf den jesuitischen Päda¬
gogien der Religionsunterricht eine sehr untergeordnete Stelle ein¬
nimmt. Nach dem alten Lehrplan wurde Freitag und den Sonnabend Nach¬
mittag in den vier unteren Classen zu Anfang der Lehrstunde außer gramma¬
tischen und poetischen Abschnitten auch der Katechismus hergesagt und in der
letzten halben Stunde erklärt.**) Der Landshuter Lehrplan hat dem Religions¬
unterricht einen etwas größeren, aber doch immer noch sehr geringen Raum
angewiesen. "Wöchentlich einmal, am Freitag nämlich, wird christliche Lehre
tradirt, und da nicht einmal eine Stunde, und an Samstagen wird eine halbe
Stunde lang das lateinische oder griechische Evangelium erplicirt." Diese
Zurücksetzung des Religionsunterrichts erscheint zuerst auffallend, und doch ist
es leicht, ihren Grund zu erkennen. Es soll der Laie eben durchaus nicht zu
einer eingehenden religiösen Durchbildung gelangen, er soll unmündig bleiben,
in Abhängigkeit vom Priester. Es ist durchaus genügend, daß die Priester
religiöse Einsicht besitzen, eignen die Laien sie an, so erwacht der Geist der
Kritik, und der darf nicht erwachen.




") Welcker a. a. O. S. 164--V5.
Welcker a. a. O. S. 1ö7. Zimgicbl a. a. O. S. Iss.

haben, veranlaßt werden, sich zu ihrem Verderben mit allerlei Wissenschaften
und Schriftstellereien befassen zu wollen, anstatt sich einfach an das zu halten,
was ihrem Stande und ihren allseitigen Verhältnissen angemessen ist und
ihnen und anderen zu wahrem Nutzen gereichen kann."") Man erkennt, wie
der Gebrauch der lateinischen Sprache hier, der vaterländischen dort, noch in
anderer Hinsicht charakteristisch ist. Der Katholicismus trägt einen esote¬
rischen aristokratischen Charakter, es sind die Priester, es ist der Klerus, der
das religiöse Wissen und Erkennen zu seinem Monopol bestimmt hat, es sind
die höheren Stände, die aus priesterlicher Hand die Bildung empfangen dür¬
fen, die dem priesterlichen Interesse entspricht, die Jesuiten haben höchst auf¬
fällig den elementaren Unterricht nur ausnahmsweise als ihre Aufgabe ange¬
sehen. Umgekehrt der Protestantismus besitzt einen eroterischen, im edelsten
Sinne demokratischen Charakter, die Idee des allgemeinen Priesterthums der
Gläubigen treibt dazu, das religiöse Wissen ,und Erkennen zu einem Besitz-
thum der Gemeinde zu machen. Ist aber das Recht des Volks auf religiös-
intellectuelle Bildung anerkannt, dann kann ihm item Gebiet der Erkenntniß
mehr entzogen werden, Es ist einer der schönsten und rührendsten Züge im
Bilde unseres, Luther, daß dieser Deutscheste aller Deutschen auf priesterlichem
Herzen das Wohl des Volkes getragen und in barmherziger Liebe sein Heil
und Wohl unablässig in das Auge gefaßt hat. Es ist gewiß kein Zufall,
daß das Volksschulwesen protestantischer Länder auf einer fo hohen, katho¬
lischer Länder auf so viel niederer Stufe steht. —

Besonders auffällig muß uns erscheinen, daß auf den jesuitischen Päda¬
gogien der Religionsunterricht eine sehr untergeordnete Stelle ein¬
nimmt. Nach dem alten Lehrplan wurde Freitag und den Sonnabend Nach¬
mittag in den vier unteren Classen zu Anfang der Lehrstunde außer gramma¬
tischen und poetischen Abschnitten auch der Katechismus hergesagt und in der
letzten halben Stunde erklärt.**) Der Landshuter Lehrplan hat dem Religions¬
unterricht einen etwas größeren, aber doch immer noch sehr geringen Raum
angewiesen. „Wöchentlich einmal, am Freitag nämlich, wird christliche Lehre
tradirt, und da nicht einmal eine Stunde, und an Samstagen wird eine halbe
Stunde lang das lateinische oder griechische Evangelium erplicirt." Diese
Zurücksetzung des Religionsunterrichts erscheint zuerst auffallend, und doch ist
es leicht, ihren Grund zu erkennen. Es soll der Laie eben durchaus nicht zu
einer eingehenden religiösen Durchbildung gelangen, er soll unmündig bleiben,
in Abhängigkeit vom Priester. Es ist durchaus genügend, daß die Priester
religiöse Einsicht besitzen, eignen die Laien sie an, so erwacht der Geist der
Kritik, und der darf nicht erwachen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/256>, abgerufen am 22.07.2024.