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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Der Studienplan der Gesellschaft Jesu ist den Grundzügen nach das
Werk ihres Stifters, Ignaz von Loyola, der abschließenden Ausführung nach
unter dem Ordensgeneral Claudius Aquaviva von einer Commission ausge¬
arbeitet worden. Im Jahre 1899 wurde er veröffentlicht. Dieser Studien¬
plan ist noch gegenwärtig maßgebend. "Auch im neuesten officiellen Lehrplan
der Jesuiten, vom Jahre 1832, erklärt der Jesuitengeneral Rothaan: es handle
sich nicht um eine neue Gestaltung, sondern um jenen nämlichen alten Plan,
der unsrer Zeit nur angepaßt werden solle. An diesem Plane dürfe nicht
leichtfertig etwas geändert werden, da er von einer glücklichen Erfahrung von
beinahe zwei Jahrhunderten bewährt gefunden worden/') Wenn wir nun auf
die Vertheilung und BeHandlungsweise des Lehrstoffs achten, so kann es keinem
Zweifel unterworfen sein, daß die Jesuiten in der That den Spuren des
Mittelalters gefolgt sind. Wenden wir uns zuvörderst zu den höheren
Studien, welche die Jesuiten in die Hand genommen haben, zu den Universi¬
täten. Wie die Theologie des Mittelalters wesentlich darin aufging, dogma¬
tische Studien zu Pflegen, so beschränken sich die theologischen Lehranstalten
der Jesuiten auf den Vortrag und auf die Aneignung der Dogmatik. Der
dogmatische Cursus dauert vier Jahre, so lange als überhaupt der theologische
Cursus währt. Diese dogmatische Vorlesung hat fast alle anderen theologi¬
schen Wissenschaften absorbirt, sie nimmt das Kirchenrecht, die Moral, die
Dogmengeschichte in sich auf. Die Auslegung der heiligen Schrift tritt da¬
gegen völlig in den Hintergrund, ebenso wie die geschichtliche Theologie. Ein
früherer Zögling des LolloFinm liomanum in Rom berichtet: "die Exegese
einzelner Abschnitte der heiligen Schrift und das Studium der hebräischen
Sprache wurde erst im dritten Jahre des theologischen Cursus in wöchentlich
zwei Stunden vorgenommen und zwar nur während dieses einen Jahres. --
-- Es wurde auch etwas Kirchengeschichte getrieben, ich weiß nicht mehr, ob
in einer oder zwei Stunden wöchentlich, ich glaube das erstere".**) Und wie
in der Theologie des Mittelalters kein Lehrbuch so bevorzugt wurde, wie das
Werk des großen Scholastikers Thomas von Aquino, so war es dies, an
welches sich der dogmatische Vortrag der jesuitischen Dogmatik anschloß und
erst in neuerer Zeit ist dasselbe durch eigene Lehrbücher der Jesuiten ersetzt
worden.

Hand in Hand mit dem Vortrag der Dogmatik ging im Mittelalter,
geht aus den Universitäten der Jesuiten noch jetzt die Darstellung der C a sutstik,
eine unmittelbar praktische Vorbereitung für die seelsorgerliche Thätigkeit des
Geistlichen. Hervorgegangen aus dem Bedürfniß des Beichtvaters, auf die




') Raumer. Gesch. d. Pirdag. 1, 300.
") Erinnerungen eines ehemaligen Jesuiicnzogliugs. Leipzig, Brockhaus 1862. S, 267.

Der Studienplan der Gesellschaft Jesu ist den Grundzügen nach das
Werk ihres Stifters, Ignaz von Loyola, der abschließenden Ausführung nach
unter dem Ordensgeneral Claudius Aquaviva von einer Commission ausge¬
arbeitet worden. Im Jahre 1899 wurde er veröffentlicht. Dieser Studien¬
plan ist noch gegenwärtig maßgebend. „Auch im neuesten officiellen Lehrplan
der Jesuiten, vom Jahre 1832, erklärt der Jesuitengeneral Rothaan: es handle
sich nicht um eine neue Gestaltung, sondern um jenen nämlichen alten Plan,
der unsrer Zeit nur angepaßt werden solle. An diesem Plane dürfe nicht
leichtfertig etwas geändert werden, da er von einer glücklichen Erfahrung von
beinahe zwei Jahrhunderten bewährt gefunden worden/') Wenn wir nun auf
die Vertheilung und BeHandlungsweise des Lehrstoffs achten, so kann es keinem
Zweifel unterworfen sein, daß die Jesuiten in der That den Spuren des
Mittelalters gefolgt sind. Wenden wir uns zuvörderst zu den höheren
Studien, welche die Jesuiten in die Hand genommen haben, zu den Universi¬
täten. Wie die Theologie des Mittelalters wesentlich darin aufging, dogma¬
tische Studien zu Pflegen, so beschränken sich die theologischen Lehranstalten
der Jesuiten auf den Vortrag und auf die Aneignung der Dogmatik. Der
dogmatische Cursus dauert vier Jahre, so lange als überhaupt der theologische
Cursus währt. Diese dogmatische Vorlesung hat fast alle anderen theologi¬
schen Wissenschaften absorbirt, sie nimmt das Kirchenrecht, die Moral, die
Dogmengeschichte in sich auf. Die Auslegung der heiligen Schrift tritt da¬
gegen völlig in den Hintergrund, ebenso wie die geschichtliche Theologie. Ein
früherer Zögling des LolloFinm liomanum in Rom berichtet: „die Exegese
einzelner Abschnitte der heiligen Schrift und das Studium der hebräischen
Sprache wurde erst im dritten Jahre des theologischen Cursus in wöchentlich
zwei Stunden vorgenommen und zwar nur während dieses einen Jahres. —
— Es wurde auch etwas Kirchengeschichte getrieben, ich weiß nicht mehr, ob
in einer oder zwei Stunden wöchentlich, ich glaube das erstere".**) Und wie
in der Theologie des Mittelalters kein Lehrbuch so bevorzugt wurde, wie das
Werk des großen Scholastikers Thomas von Aquino, so war es dies, an
welches sich der dogmatische Vortrag der jesuitischen Dogmatik anschloß und
erst in neuerer Zeit ist dasselbe durch eigene Lehrbücher der Jesuiten ersetzt
worden.

Hand in Hand mit dem Vortrag der Dogmatik ging im Mittelalter,
geht aus den Universitäten der Jesuiten noch jetzt die Darstellung der C a sutstik,
eine unmittelbar praktische Vorbereitung für die seelsorgerliche Thätigkeit des
Geistlichen. Hervorgegangen aus dem Bedürfniß des Beichtvaters, auf die




') Raumer. Gesch. d. Pirdag. 1, 300.
") Erinnerungen eines ehemaligen Jesuiicnzogliugs. Leipzig, Brockhaus 1862. S, 267.
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[0250] Der Studienplan der Gesellschaft Jesu ist den Grundzügen nach das Werk ihres Stifters, Ignaz von Loyola, der abschließenden Ausführung nach unter dem Ordensgeneral Claudius Aquaviva von einer Commission ausge¬ arbeitet worden. Im Jahre 1899 wurde er veröffentlicht. Dieser Studien¬ plan ist noch gegenwärtig maßgebend. „Auch im neuesten officiellen Lehrplan der Jesuiten, vom Jahre 1832, erklärt der Jesuitengeneral Rothaan: es handle sich nicht um eine neue Gestaltung, sondern um jenen nämlichen alten Plan, der unsrer Zeit nur angepaßt werden solle. An diesem Plane dürfe nicht leichtfertig etwas geändert werden, da er von einer glücklichen Erfahrung von beinahe zwei Jahrhunderten bewährt gefunden worden/') Wenn wir nun auf die Vertheilung und BeHandlungsweise des Lehrstoffs achten, so kann es keinem Zweifel unterworfen sein, daß die Jesuiten in der That den Spuren des Mittelalters gefolgt sind. Wenden wir uns zuvörderst zu den höheren Studien, welche die Jesuiten in die Hand genommen haben, zu den Universi¬ täten. Wie die Theologie des Mittelalters wesentlich darin aufging, dogma¬ tische Studien zu Pflegen, so beschränken sich die theologischen Lehranstalten der Jesuiten auf den Vortrag und auf die Aneignung der Dogmatik. Der dogmatische Cursus dauert vier Jahre, so lange als überhaupt der theologische Cursus währt. Diese dogmatische Vorlesung hat fast alle anderen theologi¬ schen Wissenschaften absorbirt, sie nimmt das Kirchenrecht, die Moral, die Dogmengeschichte in sich auf. Die Auslegung der heiligen Schrift tritt da¬ gegen völlig in den Hintergrund, ebenso wie die geschichtliche Theologie. Ein früherer Zögling des LolloFinm liomanum in Rom berichtet: „die Exegese einzelner Abschnitte der heiligen Schrift und das Studium der hebräischen Sprache wurde erst im dritten Jahre des theologischen Cursus in wöchentlich zwei Stunden vorgenommen und zwar nur während dieses einen Jahres. — — Es wurde auch etwas Kirchengeschichte getrieben, ich weiß nicht mehr, ob in einer oder zwei Stunden wöchentlich, ich glaube das erstere".**) Und wie in der Theologie des Mittelalters kein Lehrbuch so bevorzugt wurde, wie das Werk des großen Scholastikers Thomas von Aquino, so war es dies, an welches sich der dogmatische Vortrag der jesuitischen Dogmatik anschloß und erst in neuerer Zeit ist dasselbe durch eigene Lehrbücher der Jesuiten ersetzt worden. Hand in Hand mit dem Vortrag der Dogmatik ging im Mittelalter, geht aus den Universitäten der Jesuiten noch jetzt die Darstellung der C a sutstik, eine unmittelbar praktische Vorbereitung für die seelsorgerliche Thätigkeit des Geistlichen. Hervorgegangen aus dem Bedürfniß des Beichtvaters, auf die ') Raumer. Gesch. d. Pirdag. 1, 300. ") Erinnerungen eines ehemaligen Jesuiicnzogliugs. Leipzig, Brockhaus 1862. S, 267.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/250>, abgerufen am 22.12.2024.