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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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doch, daß die politische Tagespresse bis setzt nur zu den unentbehrlichen Be-
sriedigungsmitteln der wohlhabenden Stände gehört. Was von der Tages¬
presse bis jetzt in die schwächeren Volksclassen Eingang findet, zählt wahrlich
selten in der Kategorie der Volksbildungsmittel. Ueberdies, mag man von
der Tagespresse so hoch denken wie man will: Belehrung schöpft aus ihr nur
der, dem sie nicht das einzige Bildungsmittel ist. Man muß wünschen, daß
eine die lauteren Bedürfnisse des Volkes in lauterer Weise befriedigende Tages¬
presse sich ausbildet, und dazu gehört die Möglichkeit einer wohlfeilsten Her¬
stellung der Preßerzeugnisse. Vorher aber ist nöthig, diejenigen Steuern zu
beseitigen, welche der wohlfeilen Herstellung der Nahrungsmittel im Wege
stehen, wie die Mahl- und Schlachtsteuer, die Salzsteuer und ähnliche. In
dieser Ueberzeugung kann man der Regierung nur beistimmen, und es ist kein
stichhaltiger Einwand, wenn gesagt wird: auf die Beseitigung der Armuth
warten, heiße alle schädlichen Steuern verewigen. Nicht auf die Beseitigung
der Armuth soll mit der Aufhebung der Zeitungssteuer gewartet werden, son¬
dern auf die Beseitigung der Steuern, welche die Armuth drücken.

An die Genehmigung des Gesetzes über den Ankauf der Taunusbahn
hatte der Abgeordnete von Benda die Resolution zu knüpfen beantragt: die
Uebertragung des Concessionswesens für Eisenbahnunternehmungen auf das
Reich sei eine dringende Nothwendigkeit. Die Resolution wurde nicht ange¬
nommen und nicht abgelehnt, sondern an die Handelscommission'verwiesen.

Am Schluß der Sitzung ward der Präsident des Hauses wiederholt er¬
mächtigt, die nächste Sitzung nach seinem Ermessen zu bestimmen: eine Voll¬
macht, von der er während der Dauer des Reichstags nur auf besondere Ver¬
anlassung Gebrauch machen wird.




Wir kehren zum Reichstag zurück. Die Sitzung vom 22. April begann
mit der Jnterpellation von Mitgliedern aller Fractionen mit Ausnahme des
Centrums und der äußersten Rechten- ob die Reichsregierung noch in der
laufenden Session ein Reichspreßgesetz vorzulegen beabsichtige. Der Präsident
Delbrück antwortete verneinend mit Bezugnahme auf den erst ganz kürzlich
erfolgten Eingang der Rückäußerungen der Bundesregierung über den Gegen¬
stand. Eine kurze Discussion knüpfte sich an die Antwort, ohne neue Ge¬
sichtspunkte zu ergeben. Man kann nur einverstanden damit sein, wenn die
liberalen Fractionen auf die vollständige Beseitigung aller Präventivmaßregeln
gegen die Presse dringen. Der präventivpolizeiliche Rest, welcher in dem Recht
der Beschlagnahme von Druckerzeugnissen vor der Ausgabe besteht, erlaubt
keine Rechtfertigung und gehört lediglich in das Capitel der gouvernementalen
Thorheiten. Viel bedenklicher ist die Beseitigung der Cautionsbestellung.


doch, daß die politische Tagespresse bis setzt nur zu den unentbehrlichen Be-
sriedigungsmitteln der wohlhabenden Stände gehört. Was von der Tages¬
presse bis jetzt in die schwächeren Volksclassen Eingang findet, zählt wahrlich
selten in der Kategorie der Volksbildungsmittel. Ueberdies, mag man von
der Tagespresse so hoch denken wie man will: Belehrung schöpft aus ihr nur
der, dem sie nicht das einzige Bildungsmittel ist. Man muß wünschen, daß
eine die lauteren Bedürfnisse des Volkes in lauterer Weise befriedigende Tages¬
presse sich ausbildet, und dazu gehört die Möglichkeit einer wohlfeilsten Her¬
stellung der Preßerzeugnisse. Vorher aber ist nöthig, diejenigen Steuern zu
beseitigen, welche der wohlfeilen Herstellung der Nahrungsmittel im Wege
stehen, wie die Mahl- und Schlachtsteuer, die Salzsteuer und ähnliche. In
dieser Ueberzeugung kann man der Regierung nur beistimmen, und es ist kein
stichhaltiger Einwand, wenn gesagt wird: auf die Beseitigung der Armuth
warten, heiße alle schädlichen Steuern verewigen. Nicht auf die Beseitigung
der Armuth soll mit der Aufhebung der Zeitungssteuer gewartet werden, son¬
dern auf die Beseitigung der Steuern, welche die Armuth drücken.

An die Genehmigung des Gesetzes über den Ankauf der Taunusbahn
hatte der Abgeordnete von Benda die Resolution zu knüpfen beantragt: die
Uebertragung des Concessionswesens für Eisenbahnunternehmungen auf das
Reich sei eine dringende Nothwendigkeit. Die Resolution wurde nicht ange¬
nommen und nicht abgelehnt, sondern an die Handelscommission'verwiesen.

Am Schluß der Sitzung ward der Präsident des Hauses wiederholt er¬
mächtigt, die nächste Sitzung nach seinem Ermessen zu bestimmen: eine Voll¬
macht, von der er während der Dauer des Reichstags nur auf besondere Ver¬
anlassung Gebrauch machen wird.




Wir kehren zum Reichstag zurück. Die Sitzung vom 22. April begann
mit der Jnterpellation von Mitgliedern aller Fractionen mit Ausnahme des
Centrums und der äußersten Rechten- ob die Reichsregierung noch in der
laufenden Session ein Reichspreßgesetz vorzulegen beabsichtige. Der Präsident
Delbrück antwortete verneinend mit Bezugnahme auf den erst ganz kürzlich
erfolgten Eingang der Rückäußerungen der Bundesregierung über den Gegen¬
stand. Eine kurze Discussion knüpfte sich an die Antwort, ohne neue Ge¬
sichtspunkte zu ergeben. Man kann nur einverstanden damit sein, wenn die
liberalen Fractionen auf die vollständige Beseitigung aller Präventivmaßregeln
gegen die Presse dringen. Der präventivpolizeiliche Rest, welcher in dem Recht
der Beschlagnahme von Druckerzeugnissen vor der Ausgabe besteht, erlaubt
keine Rechtfertigung und gehört lediglich in das Capitel der gouvernementalen
Thorheiten. Viel bedenklicher ist die Beseitigung der Cautionsbestellung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/245>, abgerufen am 22.12.2024.