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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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lernen als des Lebens ungemischte Freude an Naturschönheiten und als sonst
die üblichen Touristenfeuilletons uns über Sitten, Wirthschaft und Denkweise
der von den Verfassern heimgesuchten Länder und Völker erzählen. Denn in der
That reizt in Böhmen jede Schloßruine oder sonstige Reliquie aus alten Tagen,
jede Dampfesse, die aus dem Thale steigt, jedes herrschaftliche Besitzthum, jedes
Dorf schon und jeder Acker in seinem äußern Gepräge zu der Frage: welchem
der tödtlich verfeindeten Völker an dieser Stelle Vergangenheit und Gegen¬
wart angehört, und welchem von beiden die Zukunft. Die eine wie die an¬
dere Nation kann nur über die vernichtete Existenz der andern hinweg zum
Siege schreiten; deshalb wird hier um jeden Fußbreit Erde, um jede Ge¬
markung des Dorfes, um jede öffentliche Stelle der Gemeinde mit derselben
Erbitterung gestritten, als darum, ob die Hoheitsrechte der Krone Böhmen in
deutscher oder tschechischer Hand ruhen sollen.'

Für die Deutschen ist aber der Kampf außerdem ein Kampf um die
höchsten Güter deutscher Art, der Cultur gegen die Uncultur, der deutschen
Bildung gegen die Barbarei des tschechischen Sprachenzwangs und der
tschechischen Schule, der modernen religiösen und politischen Freiheit, gegen die
slavische Staats- und Glaubenseinheit, der Wahrheit gegen die Lüge. Ueber¬
aus anschaulich, interessant und vielseitig schildert Andree den culturfeindlichen
barbarischen Schritt aller "tschechischen Gänge." Der Artikel "die Tschechen
und die Schule" zeigt uns das erschreckliche Vordringen slavischer Verdum¬
mung, unter der k. k. Mißregierung von der Volksschule aufwärts bis zum
Prager Polytechnikum und der Universität Prag, während die Abhandlung
über "Slavische Annectirungen" uns nachweist bis zu welchem Grade sich
heut schon die Phantasie "tschechischer Wissenschaft" erhitzt hat. Die Abschnitte
"Hussiüsches und Kirchliches" und "Juden und Tschechen" schildern die wüsten
Ausbrüche, welche die Verbindung zwischen tschechischen Racenhaß und
tschechischen Fanatismus verschuldet hat. Endlich in den Artikeln "der Adel
und seine Herrschaften" und "die Unsicherheit und die fahrenden Leute in
Böhmen" sehen wir das alte Unheil der Latifundien in seiner Anwendung
auf Böhmenund die Deutschen. Ein besitzloses, sittenloses und willenloses länd-
liches Proletariat und Beamtentum wächst auf den Riesengütern heran, die
großentheils im Besitze tschechisirter deutscher Adelsgeschlechter stehen. Wje der
Herr so der Knecht. Erst neulich ist in diesen Blättern der Geschichte und des mora-
lischen Werthes der Erwerbstitel dieser Adelsgeschlechter gedacht worden. Der
Sieg der deutschen Partei bei den jüngsten Wahlen des böhmischen Großgrund¬
besitzes ist zwar ein erfreuliches Zeichen. Aber nur eine starke, freie und vor allem
consequente Regierung vermöchte dem tschechisirenden Culturverfall des reichen
Landes Einhalt zu gebieten. Wird man von den Leitern Cisleithaniens sie er¬
hoffen dürfen? _




lernen als des Lebens ungemischte Freude an Naturschönheiten und als sonst
die üblichen Touristenfeuilletons uns über Sitten, Wirthschaft und Denkweise
der von den Verfassern heimgesuchten Länder und Völker erzählen. Denn in der
That reizt in Böhmen jede Schloßruine oder sonstige Reliquie aus alten Tagen,
jede Dampfesse, die aus dem Thale steigt, jedes herrschaftliche Besitzthum, jedes
Dorf schon und jeder Acker in seinem äußern Gepräge zu der Frage: welchem
der tödtlich verfeindeten Völker an dieser Stelle Vergangenheit und Gegen¬
wart angehört, und welchem von beiden die Zukunft. Die eine wie die an¬
dere Nation kann nur über die vernichtete Existenz der andern hinweg zum
Siege schreiten; deshalb wird hier um jeden Fußbreit Erde, um jede Ge¬
markung des Dorfes, um jede öffentliche Stelle der Gemeinde mit derselben
Erbitterung gestritten, als darum, ob die Hoheitsrechte der Krone Böhmen in
deutscher oder tschechischer Hand ruhen sollen.'

Für die Deutschen ist aber der Kampf außerdem ein Kampf um die
höchsten Güter deutscher Art, der Cultur gegen die Uncultur, der deutschen
Bildung gegen die Barbarei des tschechischen Sprachenzwangs und der
tschechischen Schule, der modernen religiösen und politischen Freiheit, gegen die
slavische Staats- und Glaubenseinheit, der Wahrheit gegen die Lüge. Ueber¬
aus anschaulich, interessant und vielseitig schildert Andree den culturfeindlichen
barbarischen Schritt aller „tschechischen Gänge." Der Artikel „die Tschechen
und die Schule" zeigt uns das erschreckliche Vordringen slavischer Verdum¬
mung, unter der k. k. Mißregierung von der Volksschule aufwärts bis zum
Prager Polytechnikum und der Universität Prag, während die Abhandlung
über „Slavische Annectirungen" uns nachweist bis zu welchem Grade sich
heut schon die Phantasie „tschechischer Wissenschaft" erhitzt hat. Die Abschnitte
„Hussiüsches und Kirchliches" und „Juden und Tschechen" schildern die wüsten
Ausbrüche, welche die Verbindung zwischen tschechischen Racenhaß und
tschechischen Fanatismus verschuldet hat. Endlich in den Artikeln „der Adel
und seine Herrschaften" und „die Unsicherheit und die fahrenden Leute in
Böhmen" sehen wir das alte Unheil der Latifundien in seiner Anwendung
auf Böhmenund die Deutschen. Ein besitzloses, sittenloses und willenloses länd-
liches Proletariat und Beamtentum wächst auf den Riesengütern heran, die
großentheils im Besitze tschechisirter deutscher Adelsgeschlechter stehen. Wje der
Herr so der Knecht. Erst neulich ist in diesen Blättern der Geschichte und des mora-
lischen Werthes der Erwerbstitel dieser Adelsgeschlechter gedacht worden. Der
Sieg der deutschen Partei bei den jüngsten Wahlen des böhmischen Großgrund¬
besitzes ist zwar ein erfreuliches Zeichen. Aber nur eine starke, freie und vor allem
consequente Regierung vermöchte dem tschechisirenden Culturverfall des reichen
Landes Einhalt zu gebieten. Wird man von den Leitern Cisleithaniens sie er¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/243>, abgerufen am 22.12.2024.