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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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bisher von officiösen "Preßerzeugnissen" gehabt hat. Brach schon bei dieser
Gelegenheit einige Reizbarkeit hervor,,so kam es zu einer vollen Scandalsccne
als Pfarrer Mähr, der jetzt das eigentliche erkant temblc- seiner Partei ist,
eine aggressive Bemerkung über eine jüngst erfolgte überraschende Beförderung
sich herausnahm und dann mit Bezug auf die Abstimmung in der Bischofs¬
beschwerde meinte, es würden damals wohl auch "ministerielle Silberlinge" in
Scene gesetzt worden sein, (Der Betreffende, ein Mitglied der Rechten, hatte
damals für die Regierung gestimmt. Die Entrüstung über diese Insulte war
eine beispiellose und wurde selbst von den Mitgliedern der eigenen Partei
getheilt; eine Ordnungsruf (der einzige während der Session) erfolgte. Da
durch die Aufhebung des Handelsministeriums ein großer Theil von dessen
Competenz an das Portefeuille des Innern übergegangen war, so erschien der
Umfang des Bedarfs, wie jener der Berathungen diesmal beträchtlich größer,
als sonst, und die Wirksamkeit der neuen Geschäftsordnung, die ebenfalls
während dieser Session zu Stand gekommen war und die immerhin bedeutende
Kürzungen ermöglicht, ward dankbar empfunden.

Denn unter den vielen Fragen, die die Deputirten beschäftigten, begann
allmälig die Zeitfrage eine der brennendsten zu werden. Der Landtag war
über seine normale Dauer schon unendlich weit hinausgegangen und hatte
eine abermalige Verlängerung bis zum 13. April durch königliches Decret
erhalten; am 8. sollte geschehenermaßen der Reichstag eröffnet werden. So
lag denn der Fall für die bayrische Negierung, wie für die Deputirten, welche
Mitglieder beider Parlamente sind, ziemlich betrüblich. Schon bei guter Zeit
hatte Herz das Ministerium interpellier, wie es diese Collision zu beseitigen
gedenke, allein Bismarck konnte wegen des Präjudices in die nachgesuchte Ver¬
zögerung des Reichstags nicht willigen und für Bayern war es zur Lebens¬
frage geworden, daß der Landtag seine Geschäfte zu Ende führe und endlich
einmal ein correctes Budget zu Stände komme. Der Entschluß mußte schnell
gefaßt werden und man mußte dabei mehr auf die Sache als auf die Form
sehen. Der Form freilich lief es peinlich zuwider, daß etwa 24 Deputirte,
die im bayrischen Landtage sitzen, dem Reichstag ferne blieben, aber der Sache,
der nationalen Sache ward sicher damit mehr genützt, daß man in München
blieb. Denn hier war die Position am meisten gefährdet, zwei Dritttheile
jener Doppel-Deputirten gehörten zur Fortschrittspartei und durch ihren Ab¬
gang würden die Klerikalen in München die entschiedene Majorität erlangt
haben.

Wenn es auch übertrieben ist, was manche Blätter damals meldeten,
daß diese Majorität zur Budgetverweigerung benützt worden wäre, so stand
doch soviel fest, daß noch höchst wichtige Theile des Budgets zur Berathung
aufstanden und daß man dieselben unmöglich der Willkür der "Patrioten"


bisher von officiösen „Preßerzeugnissen" gehabt hat. Brach schon bei dieser
Gelegenheit einige Reizbarkeit hervor,,so kam es zu einer vollen Scandalsccne
als Pfarrer Mähr, der jetzt das eigentliche erkant temblc- seiner Partei ist,
eine aggressive Bemerkung über eine jüngst erfolgte überraschende Beförderung
sich herausnahm und dann mit Bezug auf die Abstimmung in der Bischofs¬
beschwerde meinte, es würden damals wohl auch „ministerielle Silberlinge" in
Scene gesetzt worden sein, (Der Betreffende, ein Mitglied der Rechten, hatte
damals für die Regierung gestimmt. Die Entrüstung über diese Insulte war
eine beispiellose und wurde selbst von den Mitgliedern der eigenen Partei
getheilt; eine Ordnungsruf (der einzige während der Session) erfolgte. Da
durch die Aufhebung des Handelsministeriums ein großer Theil von dessen
Competenz an das Portefeuille des Innern übergegangen war, so erschien der
Umfang des Bedarfs, wie jener der Berathungen diesmal beträchtlich größer,
als sonst, und die Wirksamkeit der neuen Geschäftsordnung, die ebenfalls
während dieser Session zu Stand gekommen war und die immerhin bedeutende
Kürzungen ermöglicht, ward dankbar empfunden.

Denn unter den vielen Fragen, die die Deputirten beschäftigten, begann
allmälig die Zeitfrage eine der brennendsten zu werden. Der Landtag war
über seine normale Dauer schon unendlich weit hinausgegangen und hatte
eine abermalige Verlängerung bis zum 13. April durch königliches Decret
erhalten; am 8. sollte geschehenermaßen der Reichstag eröffnet werden. So
lag denn der Fall für die bayrische Negierung, wie für die Deputirten, welche
Mitglieder beider Parlamente sind, ziemlich betrüblich. Schon bei guter Zeit
hatte Herz das Ministerium interpellier, wie es diese Collision zu beseitigen
gedenke, allein Bismarck konnte wegen des Präjudices in die nachgesuchte Ver¬
zögerung des Reichstags nicht willigen und für Bayern war es zur Lebens¬
frage geworden, daß der Landtag seine Geschäfte zu Ende führe und endlich
einmal ein correctes Budget zu Stände komme. Der Entschluß mußte schnell
gefaßt werden und man mußte dabei mehr auf die Sache als auf die Form
sehen. Der Form freilich lief es peinlich zuwider, daß etwa 24 Deputirte,
die im bayrischen Landtage sitzen, dem Reichstag ferne blieben, aber der Sache,
der nationalen Sache ward sicher damit mehr genützt, daß man in München
blieb. Denn hier war die Position am meisten gefährdet, zwei Dritttheile
jener Doppel-Deputirten gehörten zur Fortschrittspartei und durch ihren Ab¬
gang würden die Klerikalen in München die entschiedene Majorität erlangt
haben.

Wenn es auch übertrieben ist, was manche Blätter damals meldeten,
daß diese Majorität zur Budgetverweigerung benützt worden wäre, so stand
doch soviel fest, daß noch höchst wichtige Theile des Budgets zur Berathung
aufstanden und daß man dieselben unmöglich der Willkür der „Patrioten"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/203>, abgerufen am 02.10.2024.