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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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dacteur der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" mit ihm verdorben. Dieser
hatte nämlich im Namen des Königs folgenden "Reichsbefehl" erlassen:


"Welcher meiner Unterthanen meine Verse mir scandirt,
Sei mit des Civilverdienstes Orden heut' noch decorirt."

Was der König für die bildenden Künste gethan, ist bekannt. Auch
nach seiner Abdankung noch setzte er diese Thätigkeit fort und verwandte da¬
für den größten Theil seines bedeutend geschmälerten Einkommens. Kert-
beny erzählt uns von einem Besuche des Königs bei Kaulbach, vom Herbst
1859. Der König kommt in das sehr geräumige Atelier und betrachtet die
Bilder. Lange Zeit hindurch nahmen er und Kaulbach gar keine Notiz von
einander. Endlich kehrte der greise König bei seinem Rundgang, aber stets
Zickzack, hastig und wie unsicher auf den Beinen schreitend, wieder zurück zu
Kaulbachs Staffelei, setzte sein Binocle auf die Nase und sah dem Meister,
der sich durchaus nicht rührte, über die Schulter, höchst aufmerksam die in
ihrem Suject noch schwer erkennbare Zeichnung betrachtend. Plötzlich, als
dutze ihm ein Gedanke durch den Kopf, rief der König in erstaunten Tone:
"Was machen Sie denn da, lieber Kaulbach?" -- "Den Entwurf zum Nc-
formationsbilde, Eure Majestät! Als sechstes Wandgemälde nach Berlin be¬
stimmt", erwiderte der Künstler sehr laut, um gehört zu werden, drehte sich
aber auch jetzt nicht um, sondern rauchte und kreidete weiter.

Als hätte den alten Herrn ein Wasserstrahl unversehens getroffen, so fuhr
der König bei diesen Worten empor, und schrie mit vibrirender Stimme:
"Was? Die Reformation? Und nun also doch? Wer hat denn das ent¬
schieden?" -- "Befehl aus Berlin", lautete die Antwort des ruhig fortkrei-
denden Künstlers. -- "Die Reformation?" schrie der alte Herr noch lauter.
"Und für Berlin? Und ein so großer Meister wie Kaulbach giebt sich dazu
her? Das ist das Aergste was ich erlebe! Pfui, pfui!" -- Rasch drehte sich
der Künstler um, erhob sich in ganzer Figur vom Schemel, auf dem er saß,
schob die Brille in die Höhe und die Sammetmütze nach rechts, und sagte
laut und mit ruhiger Bestimmtheit: "Majestät vergessen, daß ich selbst Pro¬
testant bin!"

König Ludwig, in höchster Aufregung die rechten Worte zu finden, *um
sich begreiflich zu machen, fiel dem Künstler in die Rede: "Nein, Sie mißver¬
stehen mich, Kaulbach! Ich will nicht auf die confessionelle Seite der Frage
anspielen; in meinem Lande waren die Protestanten stets frei, und ich habe
doch auch Luther in die Walhalla gestellt! Nein, meine Entrüstung gilt der
künstlerischen Aufgabe. Wie wollen Sie denn einen Gedanken malen,
eine geistige Meinung Plastisch darstellen? Es ist unwürdig eines so großen
Künstlers, sich zu solch' einer artistischen Verirrung herzugeben!" Und
der König redete sich so in Eifer, daß er im Atelier hinab und hinauf lief,


dacteur der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" mit ihm verdorben. Dieser
hatte nämlich im Namen des Königs folgenden „Reichsbefehl" erlassen:


„Welcher meiner Unterthanen meine Verse mir scandirt,
Sei mit des Civilverdienstes Orden heut' noch decorirt."

Was der König für die bildenden Künste gethan, ist bekannt. Auch
nach seiner Abdankung noch setzte er diese Thätigkeit fort und verwandte da¬
für den größten Theil seines bedeutend geschmälerten Einkommens. Kert-
beny erzählt uns von einem Besuche des Königs bei Kaulbach, vom Herbst
1859. Der König kommt in das sehr geräumige Atelier und betrachtet die
Bilder. Lange Zeit hindurch nahmen er und Kaulbach gar keine Notiz von
einander. Endlich kehrte der greise König bei seinem Rundgang, aber stets
Zickzack, hastig und wie unsicher auf den Beinen schreitend, wieder zurück zu
Kaulbachs Staffelei, setzte sein Binocle auf die Nase und sah dem Meister,
der sich durchaus nicht rührte, über die Schulter, höchst aufmerksam die in
ihrem Suject noch schwer erkennbare Zeichnung betrachtend. Plötzlich, als
dutze ihm ein Gedanke durch den Kopf, rief der König in erstaunten Tone:
„Was machen Sie denn da, lieber Kaulbach?" — „Den Entwurf zum Nc-
formationsbilde, Eure Majestät! Als sechstes Wandgemälde nach Berlin be¬
stimmt", erwiderte der Künstler sehr laut, um gehört zu werden, drehte sich
aber auch jetzt nicht um, sondern rauchte und kreidete weiter.

Als hätte den alten Herrn ein Wasserstrahl unversehens getroffen, so fuhr
der König bei diesen Worten empor, und schrie mit vibrirender Stimme:
„Was? Die Reformation? Und nun also doch? Wer hat denn das ent¬
schieden?" — „Befehl aus Berlin", lautete die Antwort des ruhig fortkrei-
denden Künstlers. — „Die Reformation?" schrie der alte Herr noch lauter.
„Und für Berlin? Und ein so großer Meister wie Kaulbach giebt sich dazu
her? Das ist das Aergste was ich erlebe! Pfui, pfui!" — Rasch drehte sich
der Künstler um, erhob sich in ganzer Figur vom Schemel, auf dem er saß,
schob die Brille in die Höhe und die Sammetmütze nach rechts, und sagte
laut und mit ruhiger Bestimmtheit: „Majestät vergessen, daß ich selbst Pro¬
testant bin!"

König Ludwig, in höchster Aufregung die rechten Worte zu finden, *um
sich begreiflich zu machen, fiel dem Künstler in die Rede: „Nein, Sie mißver¬
stehen mich, Kaulbach! Ich will nicht auf die confessionelle Seite der Frage
anspielen; in meinem Lande waren die Protestanten stets frei, und ich habe
doch auch Luther in die Walhalla gestellt! Nein, meine Entrüstung gilt der
künstlerischen Aufgabe. Wie wollen Sie denn einen Gedanken malen,
eine geistige Meinung Plastisch darstellen? Es ist unwürdig eines so großen
Künstlers, sich zu solch' einer artistischen Verirrung herzugeben!" Und
der König redete sich so in Eifer, daß er im Atelier hinab und hinauf lief,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/197>, abgerufen am 22.12.2024.