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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Im Februar 1870 war Frankreich noch nicht so krank. Die Naben der
Internationale hielten den Augenblick noch nicht für gekommen, sich auf diesen
hinsiechenden Körper zu stürzen. Sie blieben den .Aufruhrscenen fern, zu
denen die Verhaftung Rocheforts Anlaß gab. Während die Jacobiner, die
Bourgeois-Republikaner den Boulevard du Temple verbcirrikadirten und Flou-
rens seine berühmte Expedition zur Eroberung der hölzernen Säbel und der
blechernen Pistolen des Theaters von Belleville unternahm, erließen Varlin,
Malon und Cambault eine mit ihren Namen unterzeichnete Proclamation,
in welcher der heftige Stil nur dazu diente, den Ungeduldigen den friedfertigen
Entschluß annehmbar zu machen, den sie gefaßt hatten. "Vor allem ist noth¬
wendig", so sagten sie ihren Leuten, "den Erfolg der Revolution sicher zu
stellen, und indem wir unsere Stärke kennen, sammeln wir uns. Die Schale
ist voll. Bald wird sie überlaufen. Aber die Revolution muß ihre Stunde
wählen können."

Während dieser Zeit wurde die Aufregung, welche das Verbrechen von
Auteuil in allen Theilen der Bevölkerung hervorgerufen hatte, in der arbei¬
tenden Classe durch die Arbeitseinstellungen erhalten und gesteigert, die man
allenthalben zu organisiren bemüht war. Die berühmteste von denen, welche
in dieser Zeit ausbrachen, ist die von Creuzot, welche von einem damals un¬
bekannten Menschen angestiftet wurde, dessen Name seitdem sehr oft genannt
worden ist. Was war der wirkliche Beweggrund dieses von dem Maschinen¬
bauer Asfi, dem spätern Mitglied der Commune, hervorgerufenen Ereignisses?
Hatte die Internationale, die seit einiger Zeit überall die Arbeiter anregte,
ihre Unterstützungscassen von der Leitung oder Beaufsichtigung der Arbeit¬
geber zu befreien, ganz besondere Begierde nach der reichlich gefüllten Casse
von Creuzot empfunden? Darf man das glauben, was damals behauptet
wurde, und in Asfi das bewußte oder unbewußte Werkzeug einer aus den
Reihen der absolutistischen Bonapartisten stammenden Intrigue erblicken, mit
der sich jene dafür rächen wollten, daß sie vom Ministerium des 2. Januar
gestürzt worden? Das ist eine oft gehörte Vermuthung, die aber noch heute
des Beweises ermangelt. Gewiß ist nur, daß diese Arbeitseinstellung und die
wutherfüllten Declamationen, zu denen sie Anlaß gab, die Volksmassen gegen
den Director von Creuzot einnahmen, und daß sie dem Politiker mindestens
ebenso viel schadeten als dem großen Industriellen. Aber in demselben Maße,
in dem sie Herrn Schneider persönlich verletzten, mußten sie auch beitragen, in
ihm den Vorsitzenden eines der großen Staatskörper und weiter wirkend selbst
die Versammlung, deren Präsident er war, herabzusetzen. Sie schürten also
noch mehr die ohnehin schon brennenden Leidenschaften der Arbeiterklasse gegen
das Kaiserthum und die Bourgeoisie.


Im Februar 1870 war Frankreich noch nicht so krank. Die Naben der
Internationale hielten den Augenblick noch nicht für gekommen, sich auf diesen
hinsiechenden Körper zu stürzen. Sie blieben den .Aufruhrscenen fern, zu
denen die Verhaftung Rocheforts Anlaß gab. Während die Jacobiner, die
Bourgeois-Republikaner den Boulevard du Temple verbcirrikadirten und Flou-
rens seine berühmte Expedition zur Eroberung der hölzernen Säbel und der
blechernen Pistolen des Theaters von Belleville unternahm, erließen Varlin,
Malon und Cambault eine mit ihren Namen unterzeichnete Proclamation,
in welcher der heftige Stil nur dazu diente, den Ungeduldigen den friedfertigen
Entschluß annehmbar zu machen, den sie gefaßt hatten. „Vor allem ist noth¬
wendig", so sagten sie ihren Leuten, „den Erfolg der Revolution sicher zu
stellen, und indem wir unsere Stärke kennen, sammeln wir uns. Die Schale
ist voll. Bald wird sie überlaufen. Aber die Revolution muß ihre Stunde
wählen können."

Während dieser Zeit wurde die Aufregung, welche das Verbrechen von
Auteuil in allen Theilen der Bevölkerung hervorgerufen hatte, in der arbei¬
tenden Classe durch die Arbeitseinstellungen erhalten und gesteigert, die man
allenthalben zu organisiren bemüht war. Die berühmteste von denen, welche
in dieser Zeit ausbrachen, ist die von Creuzot, welche von einem damals un¬
bekannten Menschen angestiftet wurde, dessen Name seitdem sehr oft genannt
worden ist. Was war der wirkliche Beweggrund dieses von dem Maschinen¬
bauer Asfi, dem spätern Mitglied der Commune, hervorgerufenen Ereignisses?
Hatte die Internationale, die seit einiger Zeit überall die Arbeiter anregte,
ihre Unterstützungscassen von der Leitung oder Beaufsichtigung der Arbeit¬
geber zu befreien, ganz besondere Begierde nach der reichlich gefüllten Casse
von Creuzot empfunden? Darf man das glauben, was damals behauptet
wurde, und in Asfi das bewußte oder unbewußte Werkzeug einer aus den
Reihen der absolutistischen Bonapartisten stammenden Intrigue erblicken, mit
der sich jene dafür rächen wollten, daß sie vom Ministerium des 2. Januar
gestürzt worden? Das ist eine oft gehörte Vermuthung, die aber noch heute
des Beweises ermangelt. Gewiß ist nur, daß diese Arbeitseinstellung und die
wutherfüllten Declamationen, zu denen sie Anlaß gab, die Volksmassen gegen
den Director von Creuzot einnahmen, und daß sie dem Politiker mindestens
ebenso viel schadeten als dem großen Industriellen. Aber in demselben Maße,
in dem sie Herrn Schneider persönlich verletzten, mußten sie auch beitragen, in
ihm den Vorsitzenden eines der großen Staatskörper und weiter wirkend selbst
die Versammlung, deren Präsident er war, herabzusetzen. Sie schürten also
noch mehr die ohnehin schon brennenden Leidenschaften der Arbeiterklasse gegen
das Kaiserthum und die Bourgeoisie.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/187>, abgerufen am 22.12.2024.