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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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der Esperance . . . Bis jetzt war noch nichts Unangenehmes vorgekommen.
Aber die vornehmen Herren dieser Orte, welche beim Anblick von drei oder
vier zusammengetretenen Arbeitern verrückt vor Furcht werden, ein Beweis,
daß sie kein ganz ruhiges Gewissen haben, lassen Truppen kommen und führen
mit ihnen, wie immer, Unordnung und Blutvergießen herbei."

Man hatte 1867 in Roubaix gesehen, wie viel Schaden eine verführte
Menge in ein paar Stunden anrichten kann, wenn es an Truppen fehlt, um
sie davon abzuhalten. Wenn die Soldaten die Ordnung beschützen, um Gut
und Leben friedlicher Bürger vertheidigen, so sind sie von den Unterdrückern
des Volkes gedungene Mordknechte. In Seraing aber waren die Soldaten
nicht so sehr um des Schutzes der Fabrikanten und ihrer Werkstätten willen
als wegen ihrer eignen Vertheidigung gegen die wüthenden Arbeitermassen
gezwungen, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Wir lassen uns den
Beweis dafür nicht von den "Bourgeois-Blättern", sondern von dem schon
wiederholt erwähnten officiellen Organ des Bundes, der "Internationale",
führen; denn die Wahrheit leuchtet auch hier durch, trotz der Lügen, mit denen
sie in dem betreffenden Berichte verdeckt ist. Es ist der "Gesell Eugene Hins"
einer der bedeutendsten Führer der Genossenschaft in Belgien, welcher dem
Blatte über die Ereignisse Mittheilungen macht. Er erzählt dieselben wie folgt:

"Am Abend des Freitags hatte sich ein zahlreicher Menschenhaufe in der
Straße Cockerill aufgestellt. Wurde von der Menge Anlaß zu Gewaltthätig¬
keiten gegeben? Wurde gleich Anfangs mit Steinen geworfen? Wir wissen
es nicht, aber wir machen darauf aufmerksam, daß, wenn die Truppen sich
nicht ganz unnützer Weise gezeigt hätten, man sie nicht mit Steinen beworfen
haben würde, und. ferner, daß, wenn unter Hunderten von Personen einige
übelberathene mit Steinen warfen, das kein Grund ist, die andern zu ver¬
dammen. Die drei üblichen Aufforderungen zum Auseinandergehen wurden
gemacht. Es ist nichts, was so gehässig wäre, als diese Manier, sich das
Aussehen zu geben, als verführe man gesetzlich. Kann eine compacte Men¬
schenmasse sich bei dieser Procedur in wenigen Minuten verlaufen? Dann
aber glaubt das Volk noch nicht hinreichend an die Verderblichkeit derer, die
es regieren, es meint immer, das seien nur lächerliche Drohungen. In diesem
Augenblick war es stockfinster geworden, zehn Uhr Abends. Plötzlich setzte
sich die Reiterei in Bewegung und fegte die Mitte der Straße, während die
Infanterie mit gefälltem Bayonnet auf den Trottoirs vorging. Denke man
sich das Blutbad, welches in dieser dichten Menge angerichtet werden mußte,
die angefallen wurde, bevor sie hatte fliehen können. Es ist unmöglich, die
Zahl der Verwundeten anzugeben, aber dieselbe muß sehr beträchtlich sein.
Was die Todten betrifft, so spricht man von Zweien, aber wie viele Unglück-


der Esperance . . . Bis jetzt war noch nichts Unangenehmes vorgekommen.
Aber die vornehmen Herren dieser Orte, welche beim Anblick von drei oder
vier zusammengetretenen Arbeitern verrückt vor Furcht werden, ein Beweis,
daß sie kein ganz ruhiges Gewissen haben, lassen Truppen kommen und führen
mit ihnen, wie immer, Unordnung und Blutvergießen herbei."

Man hatte 1867 in Roubaix gesehen, wie viel Schaden eine verführte
Menge in ein paar Stunden anrichten kann, wenn es an Truppen fehlt, um
sie davon abzuhalten. Wenn die Soldaten die Ordnung beschützen, um Gut
und Leben friedlicher Bürger vertheidigen, so sind sie von den Unterdrückern
des Volkes gedungene Mordknechte. In Seraing aber waren die Soldaten
nicht so sehr um des Schutzes der Fabrikanten und ihrer Werkstätten willen
als wegen ihrer eignen Vertheidigung gegen die wüthenden Arbeitermassen
gezwungen, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Wir lassen uns den
Beweis dafür nicht von den „Bourgeois-Blättern", sondern von dem schon
wiederholt erwähnten officiellen Organ des Bundes, der „Internationale",
führen; denn die Wahrheit leuchtet auch hier durch, trotz der Lügen, mit denen
sie in dem betreffenden Berichte verdeckt ist. Es ist der „Gesell Eugene Hins"
einer der bedeutendsten Führer der Genossenschaft in Belgien, welcher dem
Blatte über die Ereignisse Mittheilungen macht. Er erzählt dieselben wie folgt:

„Am Abend des Freitags hatte sich ein zahlreicher Menschenhaufe in der
Straße Cockerill aufgestellt. Wurde von der Menge Anlaß zu Gewaltthätig¬
keiten gegeben? Wurde gleich Anfangs mit Steinen geworfen? Wir wissen
es nicht, aber wir machen darauf aufmerksam, daß, wenn die Truppen sich
nicht ganz unnützer Weise gezeigt hätten, man sie nicht mit Steinen beworfen
haben würde, und. ferner, daß, wenn unter Hunderten von Personen einige
übelberathene mit Steinen warfen, das kein Grund ist, die andern zu ver¬
dammen. Die drei üblichen Aufforderungen zum Auseinandergehen wurden
gemacht. Es ist nichts, was so gehässig wäre, als diese Manier, sich das
Aussehen zu geben, als verführe man gesetzlich. Kann eine compacte Men¬
schenmasse sich bei dieser Procedur in wenigen Minuten verlaufen? Dann
aber glaubt das Volk noch nicht hinreichend an die Verderblichkeit derer, die
es regieren, es meint immer, das seien nur lächerliche Drohungen. In diesem
Augenblick war es stockfinster geworden, zehn Uhr Abends. Plötzlich setzte
sich die Reiterei in Bewegung und fegte die Mitte der Straße, während die
Infanterie mit gefälltem Bayonnet auf den Trottoirs vorging. Denke man
sich das Blutbad, welches in dieser dichten Menge angerichtet werden mußte,
die angefallen wurde, bevor sie hatte fliehen können. Es ist unmöglich, die
Zahl der Verwundeten anzugeben, aber dieselbe muß sehr beträchtlich sein.
Was die Todten betrifft, so spricht man von Zweien, aber wie viele Unglück-


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[0146] der Esperance . . . Bis jetzt war noch nichts Unangenehmes vorgekommen. Aber die vornehmen Herren dieser Orte, welche beim Anblick von drei oder vier zusammengetretenen Arbeitern verrückt vor Furcht werden, ein Beweis, daß sie kein ganz ruhiges Gewissen haben, lassen Truppen kommen und führen mit ihnen, wie immer, Unordnung und Blutvergießen herbei." Man hatte 1867 in Roubaix gesehen, wie viel Schaden eine verführte Menge in ein paar Stunden anrichten kann, wenn es an Truppen fehlt, um sie davon abzuhalten. Wenn die Soldaten die Ordnung beschützen, um Gut und Leben friedlicher Bürger vertheidigen, so sind sie von den Unterdrückern des Volkes gedungene Mordknechte. In Seraing aber waren die Soldaten nicht so sehr um des Schutzes der Fabrikanten und ihrer Werkstätten willen als wegen ihrer eignen Vertheidigung gegen die wüthenden Arbeitermassen gezwungen, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Wir lassen uns den Beweis dafür nicht von den „Bourgeois-Blättern", sondern von dem schon wiederholt erwähnten officiellen Organ des Bundes, der „Internationale", führen; denn die Wahrheit leuchtet auch hier durch, trotz der Lügen, mit denen sie in dem betreffenden Berichte verdeckt ist. Es ist der „Gesell Eugene Hins" einer der bedeutendsten Führer der Genossenschaft in Belgien, welcher dem Blatte über die Ereignisse Mittheilungen macht. Er erzählt dieselben wie folgt: „Am Abend des Freitags hatte sich ein zahlreicher Menschenhaufe in der Straße Cockerill aufgestellt. Wurde von der Menge Anlaß zu Gewaltthätig¬ keiten gegeben? Wurde gleich Anfangs mit Steinen geworfen? Wir wissen es nicht, aber wir machen darauf aufmerksam, daß, wenn die Truppen sich nicht ganz unnützer Weise gezeigt hätten, man sie nicht mit Steinen beworfen haben würde, und. ferner, daß, wenn unter Hunderten von Personen einige übelberathene mit Steinen warfen, das kein Grund ist, die andern zu ver¬ dammen. Die drei üblichen Aufforderungen zum Auseinandergehen wurden gemacht. Es ist nichts, was so gehässig wäre, als diese Manier, sich das Aussehen zu geben, als verführe man gesetzlich. Kann eine compacte Men¬ schenmasse sich bei dieser Procedur in wenigen Minuten verlaufen? Dann aber glaubt das Volk noch nicht hinreichend an die Verderblichkeit derer, die es regieren, es meint immer, das seien nur lächerliche Drohungen. In diesem Augenblick war es stockfinster geworden, zehn Uhr Abends. Plötzlich setzte sich die Reiterei in Bewegung und fegte die Mitte der Straße, während die Infanterie mit gefälltem Bayonnet auf den Trottoirs vorging. Denke man sich das Blutbad, welches in dieser dichten Menge angerichtet werden mußte, die angefallen wurde, bevor sie hatte fliehen können. Es ist unmöglich, die Zahl der Verwundeten anzugeben, aber dieselbe muß sehr beträchtlich sein. Was die Todten betrifft, so spricht man von Zweien, aber wie viele Unglück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/146>, abgerufen am 04.11.2024.