Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

(cknssö as resistance) errichtet, daß mit einem Worte das in diesem Sinne
von der Internationale unternommene Werk fortgesetzt werden und man sich
bemühen muß, das Proletariat zum massenhaften Eintritt in diesen Bund zu
bewegen, daß man endlich in jeder Föderation "ein Schiedsgericht einsetzen
muß, um über die Zeitgemäßheit und Rechtmäßigkeit der vorkommenden Ar¬
beitseinstellungen zu befinden."

Wenn die Internationale, die hier ihre Gedanken ziemlich deutlich aus¬
spricht, sich lange Zeit in ihren Erklärungen so reservirt über diesen Punkt
gezeigt hat, so liegt der Grund darin, daß Arbeitseinstellungen häufig von
Ruhestörungen begleitet sind und damit die Regierungen bedenklich machen,
und weil man keine Lust hatte, gleich in den ersten Jahren des Bestehens der
internationalen Genossenschaft die letzteren aufstützig werden zu lassen. Ein
anderer Grund ist der, daß die Arbeitseinstellung unter den Arbeitern selbst,
da sie dieselben zu langem Feiern und allerlei Entbehrungen verurtheilt, nicht
eben beliebt ist, und dieselben -- wir reden von der Masse, nicht von den
Führern -- sich dazu nur im äußersten Nothfall entschließen. Dennoch war,
soweit wir die geheimen Gedanken der Gründer des Bundes zu errathen ver¬
mögen, der Hauptzweck, vielleicht ihr einziger Zweck Anfangs, ein Einver-
ständniß der Arbeiter aller Länder zu Stande zu bringen, um sie zu verhin¬
dern, sich ferner einander Concurrenz zu machen, und ihnen im Gegentheil
die Möglichkeit zu verschaffen, durch allgemeine Coalition oder, wie es im
Jargon des Bundes heißt, Solidarisation den nicht coalirten oder nicht "so-
lidarisirten" Arbeitgebern ihr Gesetz aufzunöthigen.

Die Idee war einfach und praktisch. Man erkennt darin die Einwirkung
des englischen Geistes auf die Deutschen und Franzosen, welche die Interna¬
tionale gründeten, und deren Bekanntschaft mit den Trade-Unions. Der
Zweck des Bundes wird anfänglich im Wesentlichen der gewesen sein, eine
große Gesellschaft zu sein, welche den isolirten "Bourgeois" ihre Gesetze auf¬
zwänge, und zwar durch gewaltige Arbeitseinstellungen, die alle Arbeiter Eu¬
ropas unter einander geeinigt zeigten. Die Einwirkung von Marx mit seiner
"Schwefelbande" einerseits und der Franzosen andererseits, sowie die rasche
Zunahme der Mitgliederzahl in Frankreich, der Schweiz, Belgien und Deutsch¬
land machten die Führer kühner und ließen sie sich höhere Ziele stecken. Man
dachte fortan weniger an die reale Gegenwart, als an eine ideale Zukunft.
Man fand es ordinär, sich auf die Erhöhung des Arbeitslohnes um ein paar
Groschen, Sous oder Pence pro Tag zu beschränken. Das bloße Wort Lohn
klang fortan vulgär. Die Republik der Zukunft war jetzt herbeizuführen, in
der es keine Bourgeois, keine Lohnarbeiter, keine Ausbeuter und keine Ausge¬
beuteten gibt, wo die vollkommenste Gleichheit herrscht, wo selbst die Ungleich-


Grenzbotm II. 1872. 17

(cknssö as resistance) errichtet, daß mit einem Worte das in diesem Sinne
von der Internationale unternommene Werk fortgesetzt werden und man sich
bemühen muß, das Proletariat zum massenhaften Eintritt in diesen Bund zu
bewegen, daß man endlich in jeder Föderation „ein Schiedsgericht einsetzen
muß, um über die Zeitgemäßheit und Rechtmäßigkeit der vorkommenden Ar¬
beitseinstellungen zu befinden."

Wenn die Internationale, die hier ihre Gedanken ziemlich deutlich aus¬
spricht, sich lange Zeit in ihren Erklärungen so reservirt über diesen Punkt
gezeigt hat, so liegt der Grund darin, daß Arbeitseinstellungen häufig von
Ruhestörungen begleitet sind und damit die Regierungen bedenklich machen,
und weil man keine Lust hatte, gleich in den ersten Jahren des Bestehens der
internationalen Genossenschaft die letzteren aufstützig werden zu lassen. Ein
anderer Grund ist der, daß die Arbeitseinstellung unter den Arbeitern selbst,
da sie dieselben zu langem Feiern und allerlei Entbehrungen verurtheilt, nicht
eben beliebt ist, und dieselben — wir reden von der Masse, nicht von den
Führern — sich dazu nur im äußersten Nothfall entschließen. Dennoch war,
soweit wir die geheimen Gedanken der Gründer des Bundes zu errathen ver¬
mögen, der Hauptzweck, vielleicht ihr einziger Zweck Anfangs, ein Einver-
ständniß der Arbeiter aller Länder zu Stande zu bringen, um sie zu verhin¬
dern, sich ferner einander Concurrenz zu machen, und ihnen im Gegentheil
die Möglichkeit zu verschaffen, durch allgemeine Coalition oder, wie es im
Jargon des Bundes heißt, Solidarisation den nicht coalirten oder nicht „so-
lidarisirten" Arbeitgebern ihr Gesetz aufzunöthigen.

Die Idee war einfach und praktisch. Man erkennt darin die Einwirkung
des englischen Geistes auf die Deutschen und Franzosen, welche die Interna¬
tionale gründeten, und deren Bekanntschaft mit den Trade-Unions. Der
Zweck des Bundes wird anfänglich im Wesentlichen der gewesen sein, eine
große Gesellschaft zu sein, welche den isolirten „Bourgeois" ihre Gesetze auf¬
zwänge, und zwar durch gewaltige Arbeitseinstellungen, die alle Arbeiter Eu¬
ropas unter einander geeinigt zeigten. Die Einwirkung von Marx mit seiner
„Schwefelbande" einerseits und der Franzosen andererseits, sowie die rasche
Zunahme der Mitgliederzahl in Frankreich, der Schweiz, Belgien und Deutsch¬
land machten die Führer kühner und ließen sie sich höhere Ziele stecken. Man
dachte fortan weniger an die reale Gegenwart, als an eine ideale Zukunft.
Man fand es ordinär, sich auf die Erhöhung des Arbeitslohnes um ein paar
Groschen, Sous oder Pence pro Tag zu beschränken. Das bloße Wort Lohn
klang fortan vulgär. Die Republik der Zukunft war jetzt herbeizuführen, in
der es keine Bourgeois, keine Lohnarbeiter, keine Ausbeuter und keine Ausge¬
beuteten gibt, wo die vollkommenste Gleichheit herrscht, wo selbst die Ungleich-


Grenzbotm II. 1872. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127533"/>
            <p xml:id="ID_417" prev="#ID_416"> (cknssö as resistance) errichtet, daß mit einem Worte das in diesem Sinne<lb/>
von der Internationale unternommene Werk fortgesetzt werden und man sich<lb/>
bemühen muß, das Proletariat zum massenhaften Eintritt in diesen Bund zu<lb/>
bewegen, daß man endlich in jeder Föderation &#x201E;ein Schiedsgericht einsetzen<lb/>
muß, um über die Zeitgemäßheit und Rechtmäßigkeit der vorkommenden Ar¬<lb/>
beitseinstellungen zu befinden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_418"> Wenn die Internationale, die hier ihre Gedanken ziemlich deutlich aus¬<lb/>
spricht, sich lange Zeit in ihren Erklärungen so reservirt über diesen Punkt<lb/>
gezeigt hat, so liegt der Grund darin, daß Arbeitseinstellungen häufig von<lb/>
Ruhestörungen begleitet sind und damit die Regierungen bedenklich machen,<lb/>
und weil man keine Lust hatte, gleich in den ersten Jahren des Bestehens der<lb/>
internationalen Genossenschaft die letzteren aufstützig werden zu lassen. Ein<lb/>
anderer Grund ist der, daß die Arbeitseinstellung unter den Arbeitern selbst,<lb/>
da sie dieselben zu langem Feiern und allerlei Entbehrungen verurtheilt, nicht<lb/>
eben beliebt ist, und dieselben &#x2014; wir reden von der Masse, nicht von den<lb/>
Führern &#x2014; sich dazu nur im äußersten Nothfall entschließen. Dennoch war,<lb/>
soweit wir die geheimen Gedanken der Gründer des Bundes zu errathen ver¬<lb/>
mögen, der Hauptzweck, vielleicht ihr einziger Zweck Anfangs, ein Einver-<lb/>
ständniß der Arbeiter aller Länder zu Stande zu bringen, um sie zu verhin¬<lb/>
dern, sich ferner einander Concurrenz zu machen, und ihnen im Gegentheil<lb/>
die Möglichkeit zu verschaffen, durch allgemeine Coalition oder, wie es im<lb/>
Jargon des Bundes heißt, Solidarisation den nicht coalirten oder nicht &#x201E;so-<lb/>
lidarisirten" Arbeitgebern ihr Gesetz aufzunöthigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_419" next="#ID_420"> Die Idee war einfach und praktisch. Man erkennt darin die Einwirkung<lb/>
des englischen Geistes auf die Deutschen und Franzosen, welche die Interna¬<lb/>
tionale gründeten, und deren Bekanntschaft mit den Trade-Unions. Der<lb/>
Zweck des Bundes wird anfänglich im Wesentlichen der gewesen sein, eine<lb/>
große Gesellschaft zu sein, welche den isolirten &#x201E;Bourgeois" ihre Gesetze auf¬<lb/>
zwänge, und zwar durch gewaltige Arbeitseinstellungen, die alle Arbeiter Eu¬<lb/>
ropas unter einander geeinigt zeigten. Die Einwirkung von Marx mit seiner<lb/>
&#x201E;Schwefelbande" einerseits und der Franzosen andererseits, sowie die rasche<lb/>
Zunahme der Mitgliederzahl in Frankreich, der Schweiz, Belgien und Deutsch¬<lb/>
land machten die Führer kühner und ließen sie sich höhere Ziele stecken. Man<lb/>
dachte fortan weniger an die reale Gegenwart, als an eine ideale Zukunft.<lb/>
Man fand es ordinär, sich auf die Erhöhung des Arbeitslohnes um ein paar<lb/>
Groschen, Sous oder Pence pro Tag zu beschränken. Das bloße Wort Lohn<lb/>
klang fortan vulgär. Die Republik der Zukunft war jetzt herbeizuführen, in<lb/>
der es keine Bourgeois, keine Lohnarbeiter, keine Ausbeuter und keine Ausge¬<lb/>
beuteten gibt, wo die vollkommenste Gleichheit herrscht, wo selbst die Ungleich-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm II. 1872. 17</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0137] (cknssö as resistance) errichtet, daß mit einem Worte das in diesem Sinne von der Internationale unternommene Werk fortgesetzt werden und man sich bemühen muß, das Proletariat zum massenhaften Eintritt in diesen Bund zu bewegen, daß man endlich in jeder Föderation „ein Schiedsgericht einsetzen muß, um über die Zeitgemäßheit und Rechtmäßigkeit der vorkommenden Ar¬ beitseinstellungen zu befinden." Wenn die Internationale, die hier ihre Gedanken ziemlich deutlich aus¬ spricht, sich lange Zeit in ihren Erklärungen so reservirt über diesen Punkt gezeigt hat, so liegt der Grund darin, daß Arbeitseinstellungen häufig von Ruhestörungen begleitet sind und damit die Regierungen bedenklich machen, und weil man keine Lust hatte, gleich in den ersten Jahren des Bestehens der internationalen Genossenschaft die letzteren aufstützig werden zu lassen. Ein anderer Grund ist der, daß die Arbeitseinstellung unter den Arbeitern selbst, da sie dieselben zu langem Feiern und allerlei Entbehrungen verurtheilt, nicht eben beliebt ist, und dieselben — wir reden von der Masse, nicht von den Führern — sich dazu nur im äußersten Nothfall entschließen. Dennoch war, soweit wir die geheimen Gedanken der Gründer des Bundes zu errathen ver¬ mögen, der Hauptzweck, vielleicht ihr einziger Zweck Anfangs, ein Einver- ständniß der Arbeiter aller Länder zu Stande zu bringen, um sie zu verhin¬ dern, sich ferner einander Concurrenz zu machen, und ihnen im Gegentheil die Möglichkeit zu verschaffen, durch allgemeine Coalition oder, wie es im Jargon des Bundes heißt, Solidarisation den nicht coalirten oder nicht „so- lidarisirten" Arbeitgebern ihr Gesetz aufzunöthigen. Die Idee war einfach und praktisch. Man erkennt darin die Einwirkung des englischen Geistes auf die Deutschen und Franzosen, welche die Interna¬ tionale gründeten, und deren Bekanntschaft mit den Trade-Unions. Der Zweck des Bundes wird anfänglich im Wesentlichen der gewesen sein, eine große Gesellschaft zu sein, welche den isolirten „Bourgeois" ihre Gesetze auf¬ zwänge, und zwar durch gewaltige Arbeitseinstellungen, die alle Arbeiter Eu¬ ropas unter einander geeinigt zeigten. Die Einwirkung von Marx mit seiner „Schwefelbande" einerseits und der Franzosen andererseits, sowie die rasche Zunahme der Mitgliederzahl in Frankreich, der Schweiz, Belgien und Deutsch¬ land machten die Führer kühner und ließen sie sich höhere Ziele stecken. Man dachte fortan weniger an die reale Gegenwart, als an eine ideale Zukunft. Man fand es ordinär, sich auf die Erhöhung des Arbeitslohnes um ein paar Groschen, Sous oder Pence pro Tag zu beschränken. Das bloße Wort Lohn klang fortan vulgär. Die Republik der Zukunft war jetzt herbeizuführen, in der es keine Bourgeois, keine Lohnarbeiter, keine Ausbeuter und keine Ausge¬ beuteten gibt, wo die vollkommenste Gleichheit herrscht, wo selbst die Ungleich- Grenzbotm II. 1872. 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/137
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/137>, abgerufen am 22.07.2024.