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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Wanderer erschwert werde, das Ziel seines Heimathwechsels ungestört zu wäh¬
len? Den größten Vortheil hat von der Einwanderung natürlich Brasilien
und da es lebhaft die Ansiedlung der Deutschen wünscht, so wäre jetzt wohl
Gelegenheit gegeben, einige Mißstände zu beseitigen, welche auf den deutschen
Eingewanderten lasten. Der Deutsche wird erst nach sehr langem Aufenthalte
im Lande vollberechtigter Staatsbürger, hat so gut wie gar keinen Einfluß
auf die Verwaltung und ist nichtsdestoweniger einer der besten Steuerzahler,
der Mustermensch des ganzen Staates, und in jeder Beziehung das leuchtende
Vorbild für den nativistisch gesinnten Brasilianer portugiesischer Abkunft.
Dazu gesellen sich die bekannten Beschränkungen der religiösen Freiheit gegen¬
über den Protestanten -- zuwider der liberalen Constitution -- endlich die
Gefahr der Rechtlosigkeit, welche über den protestantischen Ehen schwebt.
Frankreich hat seine Angehörigen -- eine nur kleine Zahl -- in Brasilien
durch die Consulatsconvention vom Jahre 1860 sicher gestellt und somit den
Weg vorgezeichnet, den auch Deutschland zum Wohle seiner Kinder ein¬
schlagen sollte.

Durch die Aufhebung der Sklaverei sind neue Pflichten für die freie
Arbeit geschaffen worden, die Nationalkraft wird angestachelt, sich mehr und
mehr zu entwickeln, neue Pläne und Unternehmungen treten überall auf, und
in den verschiedensten Provinzen macht sich ein reger Wettbewerb geltend,
neue und nützliche Einrichtungen durchzuführen. Zur vollen Entfaltung seiner
Kräfte und Ausbeutung seiner überreichen Naturschätze kann aber Brasilien
nur gelangen, wenn das Verkehrswesen mehr denn bisher gehoben wird. Im
Jahre 1867 schon ist der Amazonenstrom, der größte aller Ströme unserer
Erde, der freien Schifffahrt aller Völker eröffnet worden, und der Dampfer¬
verkehr auf demselben, auf einer Strecke von 500 deutschen Meilen Länge, ent¬
wickelt sich mehr und mehr, ein Gebiet ausschließend, welches fast die Größe
Europas erreicht. Von der Mündung bis nach Loreto in Peru finden regel¬
mäßige Dampferfahrten statt, und das Privilegium der brasilianischen Gesell¬
schaft ist nun in die Hände englischer Kapitalisten übergegangen, welche der
Sache neuen Schwung verleihen. Die Einnahmen der Amazonas-Steamship-
Company erreichten im verflossenen Jahre 1,683,421 Milreis lÄ 20 Groschen),
und eine Dividende von 12 Procent konnte vertheilt werden. Para, welches
1867 noch 17,000 Einwohner zählte, hat deren nun 40,000. Es ist die Ca-
pitale des Amazonenstromes. Die Verbindung mit Europa ist durch Ein¬
stellung neuer Dampferlinien mächtig gefördert worden. Seit die Royal Mail
Company von Southampton aus ihre Fahrten begann, sind ihr viele Con-
currenten gefolgt, und alle Häfen der südamerikanischen Ostküsten haben jetzt
mindestens 14tägige Dampferverbindung mit Europa. Von Liverpool aus
gehen die Booth-Linie und die Rothe-Kreuz-Linie, welche über acht Steamer


Wanderer erschwert werde, das Ziel seines Heimathwechsels ungestört zu wäh¬
len? Den größten Vortheil hat von der Einwanderung natürlich Brasilien
und da es lebhaft die Ansiedlung der Deutschen wünscht, so wäre jetzt wohl
Gelegenheit gegeben, einige Mißstände zu beseitigen, welche auf den deutschen
Eingewanderten lasten. Der Deutsche wird erst nach sehr langem Aufenthalte
im Lande vollberechtigter Staatsbürger, hat so gut wie gar keinen Einfluß
auf die Verwaltung und ist nichtsdestoweniger einer der besten Steuerzahler,
der Mustermensch des ganzen Staates, und in jeder Beziehung das leuchtende
Vorbild für den nativistisch gesinnten Brasilianer portugiesischer Abkunft.
Dazu gesellen sich die bekannten Beschränkungen der religiösen Freiheit gegen¬
über den Protestanten — zuwider der liberalen Constitution — endlich die
Gefahr der Rechtlosigkeit, welche über den protestantischen Ehen schwebt.
Frankreich hat seine Angehörigen — eine nur kleine Zahl — in Brasilien
durch die Consulatsconvention vom Jahre 1860 sicher gestellt und somit den
Weg vorgezeichnet, den auch Deutschland zum Wohle seiner Kinder ein¬
schlagen sollte.

Durch die Aufhebung der Sklaverei sind neue Pflichten für die freie
Arbeit geschaffen worden, die Nationalkraft wird angestachelt, sich mehr und
mehr zu entwickeln, neue Pläne und Unternehmungen treten überall auf, und
in den verschiedensten Provinzen macht sich ein reger Wettbewerb geltend,
neue und nützliche Einrichtungen durchzuführen. Zur vollen Entfaltung seiner
Kräfte und Ausbeutung seiner überreichen Naturschätze kann aber Brasilien
nur gelangen, wenn das Verkehrswesen mehr denn bisher gehoben wird. Im
Jahre 1867 schon ist der Amazonenstrom, der größte aller Ströme unserer
Erde, der freien Schifffahrt aller Völker eröffnet worden, und der Dampfer¬
verkehr auf demselben, auf einer Strecke von 500 deutschen Meilen Länge, ent¬
wickelt sich mehr und mehr, ein Gebiet ausschließend, welches fast die Größe
Europas erreicht. Von der Mündung bis nach Loreto in Peru finden regel¬
mäßige Dampferfahrten statt, und das Privilegium der brasilianischen Gesell¬
schaft ist nun in die Hände englischer Kapitalisten übergegangen, welche der
Sache neuen Schwung verleihen. Die Einnahmen der Amazonas-Steamship-
Company erreichten im verflossenen Jahre 1,683,421 Milreis lÄ 20 Groschen),
und eine Dividende von 12 Procent konnte vertheilt werden. Para, welches
1867 noch 17,000 Einwohner zählte, hat deren nun 40,000. Es ist die Ca-
pitale des Amazonenstromes. Die Verbindung mit Europa ist durch Ein¬
stellung neuer Dampferlinien mächtig gefördert worden. Seit die Royal Mail
Company von Southampton aus ihre Fahrten begann, sind ihr viele Con-
currenten gefolgt, und alle Häfen der südamerikanischen Ostküsten haben jetzt
mindestens 14tägige Dampferverbindung mit Europa. Von Liverpool aus
gehen die Booth-Linie und die Rothe-Kreuz-Linie, welche über acht Steamer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/132>, abgerufen am 22.07.2024.