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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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sich wieder in die Heimath einschiffte. Während er überall in Eu¬
ropa sich mehr um wissenschaftliche und praktische, als militärische Dinge
kümmerte und das Kleinste wie Größte unter dem Gesichtspunkt seiner
Anwendung auf Brasilien studirte. führte in Rio de Janeiro die Kronprin¬
zessin die Regentschaft, und kam in seinem Lande die große Frage der Ab¬
schaffung der Sklaverei zum Austrag.

Lange hatte die Regierung darauf hingedrängt; nach dem Sturze der
Negersklaverei in den Vereinigten Staaten war vorauszusehen, daß sie
bald auf dem ganzen Continente fallen mußte, und heute besteht sie in der
That nur noch in den spanischen Colonien; aber auch hier sind ihre Tage
gezählt. Die Emancipationsbill wurde zu Rio de Janeiro' vom brasilianischen
Senate am 27. September mit 33 Stimmen gegen 4 angenommen und schon
am folgenden Tage von der kaiserlichen Regierung als Landesgesetz veröffent¬
licht. Die Freilassung der Sklaven ist eine allmähliche, und das ist sehr ver¬
ständig, weil man dadurch viele wirthschaftliche Zuckungen und Nachtheile
vermeidet und Zeit gewinnt, die freien Neger, auf deren regelmäßige Arbeit
nicht unbedingt zu rechnen ist, durch Herbeiziehung anderer Arbeitskräfte zu
ersetzen. Die Stellung der bisherigen Sklaven ist durch jenes Gesetz beträcht¬
lich verbessert worden, der Loskauf allgemein erleichtert; jedes Sklavenkind ist
von der Geburt an frei. Die Regierung hat sofort die ihr gehörigen 1650
sogenannten "Nationalsklaven" entlassen und die Benedictiner, die eine gleich
große Anzahl besaßen, haben ein gleiches gethan und erklärt, daß sie den¬
selben Grund und Boden geben wollen. Die Volksmenge Brasiliens beträgt
etwa zehn Millionen und von diesen besteht nur der achte Theil aus rein-
blutigen Weißen. Ueber acht Millionen sind farbige Leute: Neger, Indianer,
Mischlinge in den verschiedensten Abstufungen. Die Anzahl der Sklaven
betrug 1.609.673, wovon 875,047 männlich. Diesen anderthalb Millionen
schwarzen Menschen wird entschieden dadurch nur gedient, daß die Abschaffung
eine allmähliche ist. Der plötzliche Uebergang, gerade auf diesem Felde,
hat überall nur üble Folgen gehabt, wie der Verfall aller ehemaligen eng¬
lischer Sklavencolonien beweist. Die Londoner Antislavery - Society, welche
den Kaiser Dom Pedro bestürmte, er möge die Sklaven Brasiliens sofort frei¬
geben, zog in ihrem Fanatismus weder die schwierige Lage der Regierung,
noch der Landbesitzer in Betracht. Der Ackerbauminister, Pereira da silva,
hat einen ausführlichen Bericht veröffentlicht, in welchem er die Verhältnisse
des Großgrundbesitzes und die Frage der Beschaffung von Arbeitskräften er¬
örtert, da voraussichtlich -- und die Erfahrungen bestätigen dies überall --
ein großer Theil der emancipirten Neger sich dem voies sar nionts ergeben
wird. Aber es wird nicht länger aufzuschieben sein, daß die großen Latifun¬
dien verringert, ein Theil derselben der freien Ansiedelung anheim gegeben


sich wieder in die Heimath einschiffte. Während er überall in Eu¬
ropa sich mehr um wissenschaftliche und praktische, als militärische Dinge
kümmerte und das Kleinste wie Größte unter dem Gesichtspunkt seiner
Anwendung auf Brasilien studirte. führte in Rio de Janeiro die Kronprin¬
zessin die Regentschaft, und kam in seinem Lande die große Frage der Ab¬
schaffung der Sklaverei zum Austrag.

Lange hatte die Regierung darauf hingedrängt; nach dem Sturze der
Negersklaverei in den Vereinigten Staaten war vorauszusehen, daß sie
bald auf dem ganzen Continente fallen mußte, und heute besteht sie in der
That nur noch in den spanischen Colonien; aber auch hier sind ihre Tage
gezählt. Die Emancipationsbill wurde zu Rio de Janeiro' vom brasilianischen
Senate am 27. September mit 33 Stimmen gegen 4 angenommen und schon
am folgenden Tage von der kaiserlichen Regierung als Landesgesetz veröffent¬
licht. Die Freilassung der Sklaven ist eine allmähliche, und das ist sehr ver¬
ständig, weil man dadurch viele wirthschaftliche Zuckungen und Nachtheile
vermeidet und Zeit gewinnt, die freien Neger, auf deren regelmäßige Arbeit
nicht unbedingt zu rechnen ist, durch Herbeiziehung anderer Arbeitskräfte zu
ersetzen. Die Stellung der bisherigen Sklaven ist durch jenes Gesetz beträcht¬
lich verbessert worden, der Loskauf allgemein erleichtert; jedes Sklavenkind ist
von der Geburt an frei. Die Regierung hat sofort die ihr gehörigen 1650
sogenannten „Nationalsklaven" entlassen und die Benedictiner, die eine gleich
große Anzahl besaßen, haben ein gleiches gethan und erklärt, daß sie den¬
selben Grund und Boden geben wollen. Die Volksmenge Brasiliens beträgt
etwa zehn Millionen und von diesen besteht nur der achte Theil aus rein-
blutigen Weißen. Ueber acht Millionen sind farbige Leute: Neger, Indianer,
Mischlinge in den verschiedensten Abstufungen. Die Anzahl der Sklaven
betrug 1.609.673, wovon 875,047 männlich. Diesen anderthalb Millionen
schwarzen Menschen wird entschieden dadurch nur gedient, daß die Abschaffung
eine allmähliche ist. Der plötzliche Uebergang, gerade auf diesem Felde,
hat überall nur üble Folgen gehabt, wie der Verfall aller ehemaligen eng¬
lischer Sklavencolonien beweist. Die Londoner Antislavery - Society, welche
den Kaiser Dom Pedro bestürmte, er möge die Sklaven Brasiliens sofort frei¬
geben, zog in ihrem Fanatismus weder die schwierige Lage der Regierung,
noch der Landbesitzer in Betracht. Der Ackerbauminister, Pereira da silva,
hat einen ausführlichen Bericht veröffentlicht, in welchem er die Verhältnisse
des Großgrundbesitzes und die Frage der Beschaffung von Arbeitskräften er¬
örtert, da voraussichtlich — und die Erfahrungen bestätigen dies überall —
ein großer Theil der emancipirten Neger sich dem voies sar nionts ergeben
wird. Aber es wird nicht länger aufzuschieben sein, daß die großen Latifun¬
dien verringert, ein Theil derselben der freien Ansiedelung anheim gegeben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/130>, abgerufen am 22.12.2024.