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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Schranken beseitigt. Wir stoßen hier auf das, was die Logik eine Antinomie
nennt, auf einen Gegensatz, dessen Glieder beide unberechtigt sind. Es ist
höchst schädlich und ungerecht, die der Centralverwaltung angehörigen Staats¬
beamten der communalen Besteuerung zu unterwerfen, und ebenso schädlich
und ungerecht, sie davon zu befreien. Solche Antinomie zeigt allemal einen
durchgreifenden Fehler in der Fragestellung an. Man darf gar nicht fragen,
ob die Centralbeamten als solche in der Gemeinde besteuert werden sollen,
weil die Gemeinde Niemand besteuern darf als Grund- und Hausbesitzer,
gleichviel was sie sonst sein mögen.

Trotz dieses Punktes und weniger andern, die wir zu beanstanden Grund
fanden, bezeichnet die neue Kreisordnung einen der größten Fortschritte in der
Organisation der inneren Verwaltung. Es ist aufs Dringendste zu wünschen,
daß das Herrenhaus die Vorlage in der Gestalt annimmt, wie sie aus dem
Abgeordnetenhaus gekommen. Es ist zu erwarten, daß für diese Genehmigung
die Regierung mit ganzem Ernst im Herrenhause eintritt.

Der Fortschritt des neuen Gesetzes liegt hauptsächlich in folgenden
Punkten: 1) Es ist durch die veränderte Bildung des Kreistages zuerst eine
lebendige Vertretung oder Darstellung der Kreisgemeinde geschaffen, wodurch
die letztere fähig wird, mit Hülfe des Instituts der Kreiscommissionen die un¬
zureichende Fürsorge der Gemeinden, namentlich für die Schule, aber auch für
andere wichtige Zwecke des bürgerlichen Lebens zu ersetzen. 2) Ist der An¬
fang zur Organisation der ländlichen Gemeinde gemacht. 3) Ist in der Bil¬
dung der Amtsbezirke und ihrer Vorsteher der freiwillige Staatsdienst für die
Verwaltung der Polizei zum ersten Mal unter sehr zweckmäßigen Modalitäten
ins Leben gerufen. 4) Sind durch den Kreisausschuß dem freiwilligen Staats¬
dienst eine Reihe von Obliegenheiten der inneren Verwaltung in geeigneter
Weise übertragen worden. 5) Ist durch die Unbesoldetheit aller Kreisämter
vom Gemeindevorstand bis zum Kreistag und Kreisausschuß der Charakter
des freiwilligen Staatsdienstes als einer Ehrenleistung im Gegensatz zu dem
bisherigen verwerflichen Zustand zur richtigen Geltung gebracht. Mit Zuver¬
sicht ist zu hoffen, daß die Berufung zu den Aemtern des freiwilligen Staats¬
dienstes überall willige Folge findet, und daß die Strafzuschläge zu den Kreis¬
steuern, welche gegen solche, die sich der Berufung widersetzen, der Kreisaus¬
schuß zu verhängen befugt ist, eine gesetzliche Drohung bleiben, ki) Ist durch
die Schaffung der Verwaltungsgerichte und durch das öffentliche contradic-
tonsche Verfahren vor dem Kreis^usschuß der Verwaltung der ihr zukommende
Charakter der Handhabung des öffentlichen Rechts durch richterliche Formen
in wichtigen Beziehungen wiedergegeben worden. Damit erhält erst der frei¬
willige Staatsdienst seinen wahren und segensreichen Charakter als Hand¬
habung der Gesetze, welche das Gegentheil ist von der varticularisirten Volks-


Schranken beseitigt. Wir stoßen hier auf das, was die Logik eine Antinomie
nennt, auf einen Gegensatz, dessen Glieder beide unberechtigt sind. Es ist
höchst schädlich und ungerecht, die der Centralverwaltung angehörigen Staats¬
beamten der communalen Besteuerung zu unterwerfen, und ebenso schädlich
und ungerecht, sie davon zu befreien. Solche Antinomie zeigt allemal einen
durchgreifenden Fehler in der Fragestellung an. Man darf gar nicht fragen,
ob die Centralbeamten als solche in der Gemeinde besteuert werden sollen,
weil die Gemeinde Niemand besteuern darf als Grund- und Hausbesitzer,
gleichviel was sie sonst sein mögen.

Trotz dieses Punktes und weniger andern, die wir zu beanstanden Grund
fanden, bezeichnet die neue Kreisordnung einen der größten Fortschritte in der
Organisation der inneren Verwaltung. Es ist aufs Dringendste zu wünschen,
daß das Herrenhaus die Vorlage in der Gestalt annimmt, wie sie aus dem
Abgeordnetenhaus gekommen. Es ist zu erwarten, daß für diese Genehmigung
die Regierung mit ganzem Ernst im Herrenhause eintritt.

Der Fortschritt des neuen Gesetzes liegt hauptsächlich in folgenden
Punkten: 1) Es ist durch die veränderte Bildung des Kreistages zuerst eine
lebendige Vertretung oder Darstellung der Kreisgemeinde geschaffen, wodurch
die letztere fähig wird, mit Hülfe des Instituts der Kreiscommissionen die un¬
zureichende Fürsorge der Gemeinden, namentlich für die Schule, aber auch für
andere wichtige Zwecke des bürgerlichen Lebens zu ersetzen. 2) Ist der An¬
fang zur Organisation der ländlichen Gemeinde gemacht. 3) Ist in der Bil¬
dung der Amtsbezirke und ihrer Vorsteher der freiwillige Staatsdienst für die
Verwaltung der Polizei zum ersten Mal unter sehr zweckmäßigen Modalitäten
ins Leben gerufen. 4) Sind durch den Kreisausschuß dem freiwilligen Staats¬
dienst eine Reihe von Obliegenheiten der inneren Verwaltung in geeigneter
Weise übertragen worden. 5) Ist durch die Unbesoldetheit aller Kreisämter
vom Gemeindevorstand bis zum Kreistag und Kreisausschuß der Charakter
des freiwilligen Staatsdienstes als einer Ehrenleistung im Gegensatz zu dem
bisherigen verwerflichen Zustand zur richtigen Geltung gebracht. Mit Zuver¬
sicht ist zu hoffen, daß die Berufung zu den Aemtern des freiwilligen Staats¬
dienstes überall willige Folge findet, und daß die Strafzuschläge zu den Kreis¬
steuern, welche gegen solche, die sich der Berufung widersetzen, der Kreisaus¬
schuß zu verhängen befugt ist, eine gesetzliche Drohung bleiben, ki) Ist durch
die Schaffung der Verwaltungsgerichte und durch das öffentliche contradic-
tonsche Verfahren vor dem Kreis^usschuß der Verwaltung der ihr zukommende
Charakter der Handhabung des öffentlichen Rechts durch richterliche Formen
in wichtigen Beziehungen wiedergegeben worden. Damit erhält erst der frei¬
willige Staatsdienst seinen wahren und segensreichen Charakter als Hand¬
habung der Gesetze, welche das Gegentheil ist von der varticularisirten Volks-


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[0123] Schranken beseitigt. Wir stoßen hier auf das, was die Logik eine Antinomie nennt, auf einen Gegensatz, dessen Glieder beide unberechtigt sind. Es ist höchst schädlich und ungerecht, die der Centralverwaltung angehörigen Staats¬ beamten der communalen Besteuerung zu unterwerfen, und ebenso schädlich und ungerecht, sie davon zu befreien. Solche Antinomie zeigt allemal einen durchgreifenden Fehler in der Fragestellung an. Man darf gar nicht fragen, ob die Centralbeamten als solche in der Gemeinde besteuert werden sollen, weil die Gemeinde Niemand besteuern darf als Grund- und Hausbesitzer, gleichviel was sie sonst sein mögen. Trotz dieses Punktes und weniger andern, die wir zu beanstanden Grund fanden, bezeichnet die neue Kreisordnung einen der größten Fortschritte in der Organisation der inneren Verwaltung. Es ist aufs Dringendste zu wünschen, daß das Herrenhaus die Vorlage in der Gestalt annimmt, wie sie aus dem Abgeordnetenhaus gekommen. Es ist zu erwarten, daß für diese Genehmigung die Regierung mit ganzem Ernst im Herrenhause eintritt. Der Fortschritt des neuen Gesetzes liegt hauptsächlich in folgenden Punkten: 1) Es ist durch die veränderte Bildung des Kreistages zuerst eine lebendige Vertretung oder Darstellung der Kreisgemeinde geschaffen, wodurch die letztere fähig wird, mit Hülfe des Instituts der Kreiscommissionen die un¬ zureichende Fürsorge der Gemeinden, namentlich für die Schule, aber auch für andere wichtige Zwecke des bürgerlichen Lebens zu ersetzen. 2) Ist der An¬ fang zur Organisation der ländlichen Gemeinde gemacht. 3) Ist in der Bil¬ dung der Amtsbezirke und ihrer Vorsteher der freiwillige Staatsdienst für die Verwaltung der Polizei zum ersten Mal unter sehr zweckmäßigen Modalitäten ins Leben gerufen. 4) Sind durch den Kreisausschuß dem freiwilligen Staats¬ dienst eine Reihe von Obliegenheiten der inneren Verwaltung in geeigneter Weise übertragen worden. 5) Ist durch die Unbesoldetheit aller Kreisämter vom Gemeindevorstand bis zum Kreistag und Kreisausschuß der Charakter des freiwilligen Staatsdienstes als einer Ehrenleistung im Gegensatz zu dem bisherigen verwerflichen Zustand zur richtigen Geltung gebracht. Mit Zuver¬ sicht ist zu hoffen, daß die Berufung zu den Aemtern des freiwilligen Staats¬ dienstes überall willige Folge findet, und daß die Strafzuschläge zu den Kreis¬ steuern, welche gegen solche, die sich der Berufung widersetzen, der Kreisaus¬ schuß zu verhängen befugt ist, eine gesetzliche Drohung bleiben, ki) Ist durch die Schaffung der Verwaltungsgerichte und durch das öffentliche contradic- tonsche Verfahren vor dem Kreis^usschuß der Verwaltung der ihr zukommende Charakter der Handhabung des öffentlichen Rechts durch richterliche Formen in wichtigen Beziehungen wiedergegeben worden. Damit erhält erst der frei¬ willige Staatsdienst seinen wahren und segensreichen Charakter als Hand¬ habung der Gesetze, welche das Gegentheil ist von der varticularisirten Volks-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/123>, abgerufen am 22.12.2024.