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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Protest der Sieben betroffen wurde. Ereignisse wie dieses flehen für uns
augenblicklich in einer ungünstigen Ferne. Sie liegen viel zu weit von dem
Zusammenhang der Tagesbegebenheiten, als daß sie um dieser Willen noch
Aufmerksamkeit gewonnen. Und sie liegen viel zu nah, um einer Kette von
Wirkungen anzugehören, deren Glieder bereits geschlossen sind. Dem Glied
einer geschlossenen Kette wendet sich auch in bewegten Zeiten die Theilnahme
der Forschung zu, weil das Bedürfniß des Geistes niemals ruht, aus welchem
die historische Betrachtung stammt, Abschnitte des Völkerlebens in ihrer inneren
Verkettung als einheitliche Schöpfungen aufzufassen. Die Lehrjahre des
deutschen Volkes, in denen es seine politische Nationalität suchte, werden einst
hohe Aufmerksamkeit finden, wie sie es verdienen. Nur jetzt nicht, da wir
eben die trüben Erinnerungen dieser Lchrlingszeit mit dem gehobenen Gefühl
neu erlangter Freiheit hinter uns werfen. Jacob Grimms Erzählung aber
von feinem Antheil an einem seiner Zeit lange nachklingenden Act dieser
Lehrlingsperiode kann keine Zeit, auch die unserige nicht, ohne Theilnahme
lesen. Ein Fremdling in allen technischen Bestandtheilen der Politik, d. h.
einer praktischen Kunst, in der das letzte Ziel dem sittlichen Element ange¬
hört, bei deren Ausübung im klebrigen aber Technik und das natürliche
Element sich überall durchdringen, faßt er an jener Aufhebung der Verfassung
im Königreich Hannover nur die rein sittliche Seite ins Auge. Er sieht in
ihr, und mit vollem Grund, den willkürlichen Bruch eines in innerlich unan¬
fechtbarer Geltung bestehenden Rechtes. Die Art nun, wie er es begründet,
daß er, der stille Gelehrte, dem die Fragen der praktischen Negierung so fern,
an dem Protest gegen eine Rcgierungshandlung sich betheiligt, ist hinreißend
schön. Ihm ist die Wissenschaft wohl eine Beschäftigung mit Dingen, die
weit unter und über der Oberfläche des Daseins liegen, aber doch um keinen
Preis ein selbstsüchtiges Spiel mit einer dem Ganzen des Lebens blos nach
Willkür entzogenen Gedankenreihe; vielmehr ein Versenken in die lauteren
Quellen alles Lebens, ein Versenken, aus dem für den Betrachter ein eigenes
Dasein in voller Lauterkeit folgt, und eine Bewährung dieser Lauterkeit auch
dem unmittelbaren Leben gegenüber, nicht aber eine stumpfe Abwendung.
Das Leben ist nur Eines und ein untheilbares. Dieses Gefühl finden wir
immer wieder bei Jacob Grimm. Ihm ist die Wissenschaft, um mit Schleier¬
macher zu reden, nicht ein Theil des getheilten Lebens, sondern sie weilt im
Mittelpunkt und im Ganzen des Lebens, mit anderen Worten- sie ist ihm
Religion. Bringt schon die Wissenschaft an sich es mit, daß ihre
Jünger Wahrheit und Sittlichkeit bewähren müssen, so noch mehr,
wenn die Jünger der Wissenschaft zugleich' Jugendbildner find. Auch
hier wieder versteht er das Werk der Jugendbildung nicht als Ueber¬
lieferung der todten Theile des Wissens, sondern als Eröffnung des Einen


Protest der Sieben betroffen wurde. Ereignisse wie dieses flehen für uns
augenblicklich in einer ungünstigen Ferne. Sie liegen viel zu weit von dem
Zusammenhang der Tagesbegebenheiten, als daß sie um dieser Willen noch
Aufmerksamkeit gewonnen. Und sie liegen viel zu nah, um einer Kette von
Wirkungen anzugehören, deren Glieder bereits geschlossen sind. Dem Glied
einer geschlossenen Kette wendet sich auch in bewegten Zeiten die Theilnahme
der Forschung zu, weil das Bedürfniß des Geistes niemals ruht, aus welchem
die historische Betrachtung stammt, Abschnitte des Völkerlebens in ihrer inneren
Verkettung als einheitliche Schöpfungen aufzufassen. Die Lehrjahre des
deutschen Volkes, in denen es seine politische Nationalität suchte, werden einst
hohe Aufmerksamkeit finden, wie sie es verdienen. Nur jetzt nicht, da wir
eben die trüben Erinnerungen dieser Lchrlingszeit mit dem gehobenen Gefühl
neu erlangter Freiheit hinter uns werfen. Jacob Grimms Erzählung aber
von feinem Antheil an einem seiner Zeit lange nachklingenden Act dieser
Lehrlingsperiode kann keine Zeit, auch die unserige nicht, ohne Theilnahme
lesen. Ein Fremdling in allen technischen Bestandtheilen der Politik, d. h.
einer praktischen Kunst, in der das letzte Ziel dem sittlichen Element ange¬
hört, bei deren Ausübung im klebrigen aber Technik und das natürliche
Element sich überall durchdringen, faßt er an jener Aufhebung der Verfassung
im Königreich Hannover nur die rein sittliche Seite ins Auge. Er sieht in
ihr, und mit vollem Grund, den willkürlichen Bruch eines in innerlich unan¬
fechtbarer Geltung bestehenden Rechtes. Die Art nun, wie er es begründet,
daß er, der stille Gelehrte, dem die Fragen der praktischen Negierung so fern,
an dem Protest gegen eine Rcgierungshandlung sich betheiligt, ist hinreißend
schön. Ihm ist die Wissenschaft wohl eine Beschäftigung mit Dingen, die
weit unter und über der Oberfläche des Daseins liegen, aber doch um keinen
Preis ein selbstsüchtiges Spiel mit einer dem Ganzen des Lebens blos nach
Willkür entzogenen Gedankenreihe; vielmehr ein Versenken in die lauteren
Quellen alles Lebens, ein Versenken, aus dem für den Betrachter ein eigenes
Dasein in voller Lauterkeit folgt, und eine Bewährung dieser Lauterkeit auch
dem unmittelbaren Leben gegenüber, nicht aber eine stumpfe Abwendung.
Das Leben ist nur Eines und ein untheilbares. Dieses Gefühl finden wir
immer wieder bei Jacob Grimm. Ihm ist die Wissenschaft, um mit Schleier¬
macher zu reden, nicht ein Theil des getheilten Lebens, sondern sie weilt im
Mittelpunkt und im Ganzen des Lebens, mit anderen Worten- sie ist ihm
Religion. Bringt schon die Wissenschaft an sich es mit, daß ihre
Jünger Wahrheit und Sittlichkeit bewähren müssen, so noch mehr,
wenn die Jünger der Wissenschaft zugleich' Jugendbildner find. Auch
hier wieder versteht er das Werk der Jugendbildung nicht als Ueber¬
lieferung der todten Theile des Wissens, sondern als Eröffnung des Einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/12>, abgerufen am 22.07.2024.