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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Kesseltreiben auf die Internationalen jeden Bekenntnisses von Reichswegen
eröffnet ist.

Wir möchten indessen die schriftstellerischen Leistungen Bambergers, welche
seine parlamentarische Thätigkeit erzeugte, ebenso hoch schätzen wie diese selbst.
Namentlich waren seine "Vertraulicher Briefe aus dem Zollparlament" von
1868--1870 '), welche damals ganz frisch die erste starke Regung bei den wich¬
tigsten Fragen und Ereignissen in einem Dutzend rüstiger Blätter von Posen
bis Nürnberg auf einmal in die Tagesfluth hinausströmen ließen, ein durch¬
aus ungewöhnliches publicistisches Unternehmen, und wir begreifen vollkom¬
men, daß und warum sie, zumal in Süddeutschland, eine zauberische Wirkung
auf die Leser zu Gunsten der nationalen Sache übten. Denn auch die "auf¬
gespießten Eintagsfliegen" -- wie Bamberger diese Sammlung bescheiden in
seiner Widmung an Arnold Rüge nennt, -- empfangen ihren goldenen
Schimmer von den ewigen Ideen und dem weitumfassenden Blick, welche "wir
Journalisten" zu eigen haben. "Auf dem Blatt, das uns zum Frühstück vorgelegt
wird", sagt er, "schwingen wir uns empor zur Sonnenhöhe, von der herab der
ganze Erdball wie das Tischtuch vor uns ausgebreitet liegt; und in gerin¬
gerer Zeit als der Zucker braucht, um in der Theetasse zu schmelzen, schweift
unser Auge von dem Palast des Taikun über den stillen Ocean und das
Felsengebirge hinüber zu dem weißen Hause von Washington. Jetzt begrüßen
wir das Universum bis zu den Antipoden und fühlen uns gestärkt in der
Gemeinschaft des Denkens und Wissens mit Hunderttausenden unseres Gleichen,
empfinden das erhaltende Band, schauen die waltende Ordnung, hören den
hallenden Tritt des großen Weltgeschickes, senden unsere innerste Herzensan¬
sicht hinaus und empfangen sie zurück von Unzähligen unserer Mitlebenden."
Wer die ernsten und humoristischen Seiten der nationalen Halbentwickelusg
Deutschlands vor 1870 studiren, die feinsten Beobachtungen über Frankreich
und die Franzosen spielend eingeflochten lesen will, dem kann die kleine Samm¬
lung aufs Wärmste empfohlen werden. -- Vollständig von französischem
Esprit getragen, und darum auch bei den Franzosen besonders wirksam war
die im Jahre 1868 von Bamberger in der "Revue Moderne" französisch ge¬
schriebene, später auch bei Mich. Le'op als Band erschienene Studie über Bis-
marck. Den Geist dieser Studie zeichnen die, wenn auch aus neuester Zeit
datirenden Worte Bambergers in einem Briefe aus Rom: "Die Vorgänge im
Landtag machen natürlich hier Sensation; mir machen sie ordentlich Heimweh,
und ich verliere den Sinn für das Forum und die Campagna, wenn ich lese,
wie große Dinge bei uns vorgehen, und wie der große Mann zu Hause die
größten Erwartungen übertrifft." -- Den Franzosen war Bamberger schon zu-


") 1870 gesammelt erschienen bei Ernst Günther, Breslau.

Kesseltreiben auf die Internationalen jeden Bekenntnisses von Reichswegen
eröffnet ist.

Wir möchten indessen die schriftstellerischen Leistungen Bambergers, welche
seine parlamentarische Thätigkeit erzeugte, ebenso hoch schätzen wie diese selbst.
Namentlich waren seine „Vertraulicher Briefe aus dem Zollparlament" von
1868—1870 '), welche damals ganz frisch die erste starke Regung bei den wich¬
tigsten Fragen und Ereignissen in einem Dutzend rüstiger Blätter von Posen
bis Nürnberg auf einmal in die Tagesfluth hinausströmen ließen, ein durch¬
aus ungewöhnliches publicistisches Unternehmen, und wir begreifen vollkom¬
men, daß und warum sie, zumal in Süddeutschland, eine zauberische Wirkung
auf die Leser zu Gunsten der nationalen Sache übten. Denn auch die „auf¬
gespießten Eintagsfliegen" — wie Bamberger diese Sammlung bescheiden in
seiner Widmung an Arnold Rüge nennt, — empfangen ihren goldenen
Schimmer von den ewigen Ideen und dem weitumfassenden Blick, welche „wir
Journalisten" zu eigen haben. „Auf dem Blatt, das uns zum Frühstück vorgelegt
wird", sagt er, „schwingen wir uns empor zur Sonnenhöhe, von der herab der
ganze Erdball wie das Tischtuch vor uns ausgebreitet liegt; und in gerin¬
gerer Zeit als der Zucker braucht, um in der Theetasse zu schmelzen, schweift
unser Auge von dem Palast des Taikun über den stillen Ocean und das
Felsengebirge hinüber zu dem weißen Hause von Washington. Jetzt begrüßen
wir das Universum bis zu den Antipoden und fühlen uns gestärkt in der
Gemeinschaft des Denkens und Wissens mit Hunderttausenden unseres Gleichen,
empfinden das erhaltende Band, schauen die waltende Ordnung, hören den
hallenden Tritt des großen Weltgeschickes, senden unsere innerste Herzensan¬
sicht hinaus und empfangen sie zurück von Unzähligen unserer Mitlebenden."
Wer die ernsten und humoristischen Seiten der nationalen Halbentwickelusg
Deutschlands vor 1870 studiren, die feinsten Beobachtungen über Frankreich
und die Franzosen spielend eingeflochten lesen will, dem kann die kleine Samm¬
lung aufs Wärmste empfohlen werden. — Vollständig von französischem
Esprit getragen, und darum auch bei den Franzosen besonders wirksam war
die im Jahre 1868 von Bamberger in der „Revue Moderne" französisch ge¬
schriebene, später auch bei Mich. Le'op als Band erschienene Studie über Bis-
marck. Den Geist dieser Studie zeichnen die, wenn auch aus neuester Zeit
datirenden Worte Bambergers in einem Briefe aus Rom: „Die Vorgänge im
Landtag machen natürlich hier Sensation; mir machen sie ordentlich Heimweh,
und ich verliere den Sinn für das Forum und die Campagna, wenn ich lese,
wie große Dinge bei uns vorgehen, und wie der große Mann zu Hause die
größten Erwartungen übertrifft." — Den Franzosen war Bamberger schon zu-


") 1870 gesammelt erschienen bei Ernst Günther, Breslau.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/106>, abgerufen am 22.07.2024.