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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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für zweckmäßig und auch nicht für heilsam, die Berechtigung des Ministers
in diesen Dingen zu beschränken, ganz abgesehen davon, daß jede Aenderung
in diesem Punkte auf praktische Schwierigkeiten stoßen würde. Wir vindi-
ciren den Facultäten das Recht des Vorschlages, des Gutachtens -- eine
Mitwirkung des Generalconciles oder Senates, an die vielfach gedacht wird,
bietet nach unserer Anschauung nicht die geringsten Vortheile, befördert dage¬
gen Intriguen und Cotenenwesen -- die endgiltige Entscheidung kann nur
die Staatsregierung, d. h. der Unterrichtsminister haben.

Man gefällt sich oft in der Schilderung und Ausmalung aller der
"Menschlichkeiten" die bei einer solchen Machtfülle des Ministers Passiren
können und oft passiren. Wir stellen sie nicht in Abrede. Jeder Professor
wird im Stande sein, mehr oder weniger drastische Anekdoten darüber zu er¬
zählen: auch wir könnten damit aufwarten. Und dennoch befürchten wir
nicht, bei einigermaßen unbefangenen Beobachtern der preußischen Praxis ernst¬
lichen Widerspruch zu erfahren, wenn wir sagen: in der Regel, im Großen
und Ganzen hat auch das so angefeindete Ministerium Muster bei akademi¬
schen Anstellungen sachlich und gut gewählt, immer die theologischen Facul¬
täten ausgenommen. Und wenn nicht alle Wünsche der Facultäten erfüllt
werden, kommt nicht vor, daß auch die Facultäten "Menschlichkeiten" wal¬
ten lassen? Nun, wie unlieb es manchem unserer Collegen klingen mag, auch
die Facultäten erscheinen uns nicht unfehlbar, und manche Angelegenheit sieht
von dem Mittelpunkte des Unterrichtswesens anders aus, als in der Local-
beleuchtung einer Universitätsstadt. Persönliche Rücksichten entscheiden mehr
wie einmal auch bei Faeultätsvorschlägen: bisweilen werden Loealgrößen dem
Minister genannt, deren Namen die speciellsten Fachgenossen außerhalb des
Dunstkreises der vorschlagenden Facultät niemals gehört haben. Wir schlie¬
ßen : an dem heute in Preußen bestehenden Rechte wird nichts zu ändern sein;
ein neues Verfahren ist nicht zu finden. Aber allerdings einen Zusatz möch¬
ten wir empfehlen, und wir glauben, daß grade er die möglichen Uebelstände
der heutigen Praxis mildert oder ganz beseitigt. Man gestatte den zum Ur¬
theile competenten Gelehrtenkreisen die Möglichkeit einer Kritik jeder akademi¬
schen Anstellung, freilich einer Kritik nach beiden Seiten hin, sowohl gegen¬
über der Facultätsmeinung als der ministeriellen Entscheidung. Der Reichs¬
anzeiger oder das Centralolatt der Unterrichtsverwaltung bringe nach abge¬
schlossener Thatsache einen amtlichen Bericht über jede akademische Berufung,
d. h. man veröffentliche zunächst die Facultätsvorschläge mit kurz ercerpirter
Motivirung derselben, sodann ganz kurz die Zustimmung oder Ablehnung
des Ministers und im letzteren Falle einer selbständigen Ernennung des Mi¬
nisters ebenfalls in Kürze die Motive zu derselben, resp, die Namen des¬
jenigen oder derjenigen, welche zu dieser Ernennung ihren Rath ertheilt ha-


für zweckmäßig und auch nicht für heilsam, die Berechtigung des Ministers
in diesen Dingen zu beschränken, ganz abgesehen davon, daß jede Aenderung
in diesem Punkte auf praktische Schwierigkeiten stoßen würde. Wir vindi-
ciren den Facultäten das Recht des Vorschlages, des Gutachtens — eine
Mitwirkung des Generalconciles oder Senates, an die vielfach gedacht wird,
bietet nach unserer Anschauung nicht die geringsten Vortheile, befördert dage¬
gen Intriguen und Cotenenwesen — die endgiltige Entscheidung kann nur
die Staatsregierung, d. h. der Unterrichtsminister haben.

Man gefällt sich oft in der Schilderung und Ausmalung aller der
„Menschlichkeiten" die bei einer solchen Machtfülle des Ministers Passiren
können und oft passiren. Wir stellen sie nicht in Abrede. Jeder Professor
wird im Stande sein, mehr oder weniger drastische Anekdoten darüber zu er¬
zählen: auch wir könnten damit aufwarten. Und dennoch befürchten wir
nicht, bei einigermaßen unbefangenen Beobachtern der preußischen Praxis ernst¬
lichen Widerspruch zu erfahren, wenn wir sagen: in der Regel, im Großen
und Ganzen hat auch das so angefeindete Ministerium Muster bei akademi¬
schen Anstellungen sachlich und gut gewählt, immer die theologischen Facul¬
täten ausgenommen. Und wenn nicht alle Wünsche der Facultäten erfüllt
werden, kommt nicht vor, daß auch die Facultäten „Menschlichkeiten" wal¬
ten lassen? Nun, wie unlieb es manchem unserer Collegen klingen mag, auch
die Facultäten erscheinen uns nicht unfehlbar, und manche Angelegenheit sieht
von dem Mittelpunkte des Unterrichtswesens anders aus, als in der Local-
beleuchtung einer Universitätsstadt. Persönliche Rücksichten entscheiden mehr
wie einmal auch bei Faeultätsvorschlägen: bisweilen werden Loealgrößen dem
Minister genannt, deren Namen die speciellsten Fachgenossen außerhalb des
Dunstkreises der vorschlagenden Facultät niemals gehört haben. Wir schlie¬
ßen : an dem heute in Preußen bestehenden Rechte wird nichts zu ändern sein;
ein neues Verfahren ist nicht zu finden. Aber allerdings einen Zusatz möch¬
ten wir empfehlen, und wir glauben, daß grade er die möglichen Uebelstände
der heutigen Praxis mildert oder ganz beseitigt. Man gestatte den zum Ur¬
theile competenten Gelehrtenkreisen die Möglichkeit einer Kritik jeder akademi¬
schen Anstellung, freilich einer Kritik nach beiden Seiten hin, sowohl gegen¬
über der Facultätsmeinung als der ministeriellen Entscheidung. Der Reichs¬
anzeiger oder das Centralolatt der Unterrichtsverwaltung bringe nach abge¬
schlossener Thatsache einen amtlichen Bericht über jede akademische Berufung,
d. h. man veröffentliche zunächst die Facultätsvorschläge mit kurz ercerpirter
Motivirung derselben, sodann ganz kurz die Zustimmung oder Ablehnung
des Ministers und im letzteren Falle einer selbständigen Ernennung des Mi¬
nisters ebenfalls in Kürze die Motive zu derselben, resp, die Namen des¬
jenigen oder derjenigen, welche zu dieser Ernennung ihren Rath ertheilt ha-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/55>, abgerufen am 05.02.2025.