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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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indem er sich vor zu häufigen Sitzungen hütet. Wie sich doch die Ansichten
ändern! Vor drei Wochen, bei der Eröffnung des Landtages, hätte Jeder für
einen Ketzer gegolten, welcher daran gezweifelt hätte, daß der Haushaltsetat
bis zum Schlüsse des Jahres festgestellt sein würde. Dann, als es mit den
Plenarsitzungen stockte, hieß es, Alles solle nachgeholt werden, früh und
Abends sollten bis zu den Weihnachtstagen Sitzungen sein, aber es kam nicht
einmal zu einem Entwurf, sondern man resignirte sich mit dem süßen Be¬
wußtsein, nicht in den Fehler des Reichstages zu fallen und zu schnell zu
arbeiten. Wer etwas nicht thun will, dem fehlt es nie an Gründen.
Das Avr i'vssumus wird mit Unrecht dem römischen Stuhl allein vindicirt,
während es in jeder Lage des Lebens unzähligem"! vorkommt. Die Berathung
des Etats würde ungründlich sein, wenn sie vor Weihnachten zu Ende ge¬
bracht werden sollte und so wird man ein Nothgesetz machen und bis in's
neue Jahr warten. Was dann aus den übrigen Gesetzen werden soll, mag
der Himmel wissen. Herr v. Forkenoeck hielt ein Jahr für nöthig, um alle
Borlagen zu berathen, aber nach dem bisherigen Tempo dürfte dazu etwa die
Zeit des trojanischen Krieges gehören.

Wird nicht schließlich doch ein unparlamentarischer Kritiker meinen, daß
die Zahlung von Diäten doch wohl nicht ganz ohne Einfluß auf die Methode
der Arbeit sei? In so fern sicher mit Unrecht, als sich dessen Niemand bewußt
ist und auch positiv mit Unrecht, weil noch allerlei tiefere Ursachen vorhanden
sind, um die Unthätigkeit zu erklären. Die Thronrede vom 26. November
mit ihrer Abundanz von Vorlagen konnte einen Augenblick darüber täuschen,
daß der preußische Landtag nur noch eine untergeordnete Rolle spielt; daß es
so ist und daß er sich in derselben unbehaglich fühlt, das kann man an
beiden Enden der Leipziger Straße zur Genüge beobachten. Die Herren
tragen im Grunde genommen ihr Geschick noch mit mehr Verständniß und
Grazie. Sie haben schon seit dem Einbruch der neuen Zeit einen gewissen
melancholischen Zug und ganz leise tönt es wie die Klagelieder super lluminÄ
l^bxloms. Es muß irgend etwas geschehen, etwas Großes, Undenkbares,
Unsagbares, wenn das Herrenhaus wieder einmal eine Rolle spielen soll und
deshalb wird es sich vorläufig darauf beschränken, den Fortschrittsdrang der
Negierung und des Abgeordnetenhauses zu mäßigen. So viel ist sicher, daß
die neueren Minister, wie Leonhardt und Camphausen, die Lieblinge des
Herrenhauses nicht sind und daß Alles, was aus ihrer Hand kommt, im
Herrenhause eine schlimme Stunde haben wird. Es giebt dort Leute, welche
schlankweg behaupten, daß Herr Leonhardt gar kein Jurist sei und für die
Steuerreformen des Herrn Camphausen hat man dort erst vollends wenig Ver¬
ständniß. Freilich stehen die Chancen derselben auch sonst ziemlich schlecht.


Grenzboten II. 1871. 130

indem er sich vor zu häufigen Sitzungen hütet. Wie sich doch die Ansichten
ändern! Vor drei Wochen, bei der Eröffnung des Landtages, hätte Jeder für
einen Ketzer gegolten, welcher daran gezweifelt hätte, daß der Haushaltsetat
bis zum Schlüsse des Jahres festgestellt sein würde. Dann, als es mit den
Plenarsitzungen stockte, hieß es, Alles solle nachgeholt werden, früh und
Abends sollten bis zu den Weihnachtstagen Sitzungen sein, aber es kam nicht
einmal zu einem Entwurf, sondern man resignirte sich mit dem süßen Be¬
wußtsein, nicht in den Fehler des Reichstages zu fallen und zu schnell zu
arbeiten. Wer etwas nicht thun will, dem fehlt es nie an Gründen.
Das Avr i'vssumus wird mit Unrecht dem römischen Stuhl allein vindicirt,
während es in jeder Lage des Lebens unzähligem«! vorkommt. Die Berathung
des Etats würde ungründlich sein, wenn sie vor Weihnachten zu Ende ge¬
bracht werden sollte und so wird man ein Nothgesetz machen und bis in's
neue Jahr warten. Was dann aus den übrigen Gesetzen werden soll, mag
der Himmel wissen. Herr v. Forkenoeck hielt ein Jahr für nöthig, um alle
Borlagen zu berathen, aber nach dem bisherigen Tempo dürfte dazu etwa die
Zeit des trojanischen Krieges gehören.

Wird nicht schließlich doch ein unparlamentarischer Kritiker meinen, daß
die Zahlung von Diäten doch wohl nicht ganz ohne Einfluß auf die Methode
der Arbeit sei? In so fern sicher mit Unrecht, als sich dessen Niemand bewußt
ist und auch positiv mit Unrecht, weil noch allerlei tiefere Ursachen vorhanden
sind, um die Unthätigkeit zu erklären. Die Thronrede vom 26. November
mit ihrer Abundanz von Vorlagen konnte einen Augenblick darüber täuschen,
daß der preußische Landtag nur noch eine untergeordnete Rolle spielt; daß es
so ist und daß er sich in derselben unbehaglich fühlt, das kann man an
beiden Enden der Leipziger Straße zur Genüge beobachten. Die Herren
tragen im Grunde genommen ihr Geschick noch mit mehr Verständniß und
Grazie. Sie haben schon seit dem Einbruch der neuen Zeit einen gewissen
melancholischen Zug und ganz leise tönt es wie die Klagelieder super lluminÄ
l^bxloms. Es muß irgend etwas geschehen, etwas Großes, Undenkbares,
Unsagbares, wenn das Herrenhaus wieder einmal eine Rolle spielen soll und
deshalb wird es sich vorläufig darauf beschränken, den Fortschrittsdrang der
Negierung und des Abgeordnetenhauses zu mäßigen. So viel ist sicher, daß
die neueren Minister, wie Leonhardt und Camphausen, die Lieblinge des
Herrenhauses nicht sind und daß Alles, was aus ihrer Hand kommt, im
Herrenhause eine schlimme Stunde haben wird. Es giebt dort Leute, welche
schlankweg behaupten, daß Herr Leonhardt gar kein Jurist sei und für die
Steuerreformen des Herrn Camphausen hat man dort erst vollends wenig Ver¬
ständniß. Freilich stehen die Chancen derselben auch sonst ziemlich schlecht.


Grenzboten II. 1871. 130
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[0485] indem er sich vor zu häufigen Sitzungen hütet. Wie sich doch die Ansichten ändern! Vor drei Wochen, bei der Eröffnung des Landtages, hätte Jeder für einen Ketzer gegolten, welcher daran gezweifelt hätte, daß der Haushaltsetat bis zum Schlüsse des Jahres festgestellt sein würde. Dann, als es mit den Plenarsitzungen stockte, hieß es, Alles solle nachgeholt werden, früh und Abends sollten bis zu den Weihnachtstagen Sitzungen sein, aber es kam nicht einmal zu einem Entwurf, sondern man resignirte sich mit dem süßen Be¬ wußtsein, nicht in den Fehler des Reichstages zu fallen und zu schnell zu arbeiten. Wer etwas nicht thun will, dem fehlt es nie an Gründen. Das Avr i'vssumus wird mit Unrecht dem römischen Stuhl allein vindicirt, während es in jeder Lage des Lebens unzähligem«! vorkommt. Die Berathung des Etats würde ungründlich sein, wenn sie vor Weihnachten zu Ende ge¬ bracht werden sollte und so wird man ein Nothgesetz machen und bis in's neue Jahr warten. Was dann aus den übrigen Gesetzen werden soll, mag der Himmel wissen. Herr v. Forkenoeck hielt ein Jahr für nöthig, um alle Borlagen zu berathen, aber nach dem bisherigen Tempo dürfte dazu etwa die Zeit des trojanischen Krieges gehören. Wird nicht schließlich doch ein unparlamentarischer Kritiker meinen, daß die Zahlung von Diäten doch wohl nicht ganz ohne Einfluß auf die Methode der Arbeit sei? In so fern sicher mit Unrecht, als sich dessen Niemand bewußt ist und auch positiv mit Unrecht, weil noch allerlei tiefere Ursachen vorhanden sind, um die Unthätigkeit zu erklären. Die Thronrede vom 26. November mit ihrer Abundanz von Vorlagen konnte einen Augenblick darüber täuschen, daß der preußische Landtag nur noch eine untergeordnete Rolle spielt; daß es so ist und daß er sich in derselben unbehaglich fühlt, das kann man an beiden Enden der Leipziger Straße zur Genüge beobachten. Die Herren tragen im Grunde genommen ihr Geschick noch mit mehr Verständniß und Grazie. Sie haben schon seit dem Einbruch der neuen Zeit einen gewissen melancholischen Zug und ganz leise tönt es wie die Klagelieder super lluminÄ l^bxloms. Es muß irgend etwas geschehen, etwas Großes, Undenkbares, Unsagbares, wenn das Herrenhaus wieder einmal eine Rolle spielen soll und deshalb wird es sich vorläufig darauf beschränken, den Fortschrittsdrang der Negierung und des Abgeordnetenhauses zu mäßigen. So viel ist sicher, daß die neueren Minister, wie Leonhardt und Camphausen, die Lieblinge des Herrenhauses nicht sind und daß Alles, was aus ihrer Hand kommt, im Herrenhause eine schlimme Stunde haben wird. Es giebt dort Leute, welche schlankweg behaupten, daß Herr Leonhardt gar kein Jurist sei und für die Steuerreformen des Herrn Camphausen hat man dort erst vollends wenig Ver¬ ständniß. Freilich stehen die Chancen derselben auch sonst ziemlich schlecht. Grenzboten II. 1871. 130

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/485>, abgerufen am 05.02.2025.