Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

erhob der Staat für die Gemeinde, indem er ihr einen Theil der Erhebungs-
kosten in Abzug brachte. Dagegen war Sache der Gemeinden, die Ein¬
schätzung zur Classensteuer auszuführen, gleichviel ob die Steuer blos für den
Staat oder gleichzeitig für die Gemeinde erhoben wurde. Ebenso war die
Aufstellung der Jahresrollen, die Führung der Ab- und Zugangslisten Ge¬
meindesache, während die Bezirksregierung die Steuerbeträge feststellte, und der
Landrath das Geschäft der Gemeinde beaufsichtigte, sowohl in Bezug auf die
Einschätzung als auf die Erhebung. Dieses Geschäft ist nach seinen beiden
Theilen von den Gemeinden immer für eine große Last angesehen worden,
und so erklärt sich das zähe Festhalten vieler Städte an der Mahl- und
Schlachtsteuer, trotz der großen Schädlichkeit dieser Steuer in wirthschaftlicher
und moralischer Beziehung, und trotz der unverhältnißmcißigen Abzüge, wel¬
chen das Erirägniß durch die hohen Erhebungskosten unterliegt.

Durch das Gesetz vom 1. Mai 1851 wurde das frühere Classensteuerge-
setz aufgehoben und durch ein neues ersetzt, das nach oben nur das jährliche
Einkommen bis zu 1000 Thlr. umfaßte. Das jährliche Einkommen von über
1000 Thlr. wurde einer neuen Steuer, welche den Namen classificirte Ein¬
kommensteuer erhielt, unterworfen. Diese beiden Steuern sind nicht etwa blos
zwei Namen für einen gleichartigen Steuermodus, wobei die Höhe des be¬
steuerten Einkommens, ob unter oder über 1000 Thlr., den einzigen Unter¬
schied ausmacht. Es handelt sich vielmehr um zwei ganz verschiedene Arten
der Steuerauflegung. Bei der Classensteuer wird die gesammte Steuerpflichtige
Bevölkerung in drei Classen eingetheilt, von denen jede Classe wiederum in
verschiedene Stufen zerfällt. Jeder Stufe entspricht ein bestimmter Steuersatz-
Der Einreihung in die verschiedenen Classen und Stufen wird nicht die Er¬
mittelung des individuellen Einkommens zu Grunde gelegt, sondern dieselbe
erfolgt nach gewissen Merkmalen der socialen Stellung: ob der Steuerpflich¬
tige im Wesentlichen durch Lohnarbeit besteht, ob die Lohnarbeit Tagelohn
und Gesindelohn, oder durch Leistungen höherstehender Art eine andere Ver¬
gütung bedingt; am unsichersten ist das Merkmal der dritten Classe, welche
die Einkommenclasse zunächst dem Einkommen über 1000 Thlr. enthält. Bei
der classisicirten Einkommensteuer dagegen erfolgt eine Einschätzung des indi¬
viduellen Einkommens, welches mit drei Procent zu versteuern ist, jedoch so
daß in 30 Steuerstufen die Steuerbeträge nur in runden Summen zu ent¬
richten sind. Die Bruchtheile zwischen den Steuerstufen bleiben daher den
Steuerpflichtigen erlassen, sodaß der entrichtete Betrag in der Regel nicht volle
drei Procent des eingeschätzten Einkommens ausmacht. Die classificirte Ein¬
kommensteuer wurde auch in denjenigen Städten erhoben, welche die Classen¬
steuer noch nicht eingeführt hatten, jedoch so, daß den zur Einkommensteuer
eingeschätzten Steuerpflichtigen ein zu 20 Thlr. bemessener Antheil an der


erhob der Staat für die Gemeinde, indem er ihr einen Theil der Erhebungs-
kosten in Abzug brachte. Dagegen war Sache der Gemeinden, die Ein¬
schätzung zur Classensteuer auszuführen, gleichviel ob die Steuer blos für den
Staat oder gleichzeitig für die Gemeinde erhoben wurde. Ebenso war die
Aufstellung der Jahresrollen, die Führung der Ab- und Zugangslisten Ge¬
meindesache, während die Bezirksregierung die Steuerbeträge feststellte, und der
Landrath das Geschäft der Gemeinde beaufsichtigte, sowohl in Bezug auf die
Einschätzung als auf die Erhebung. Dieses Geschäft ist nach seinen beiden
Theilen von den Gemeinden immer für eine große Last angesehen worden,
und so erklärt sich das zähe Festhalten vieler Städte an der Mahl- und
Schlachtsteuer, trotz der großen Schädlichkeit dieser Steuer in wirthschaftlicher
und moralischer Beziehung, und trotz der unverhältnißmcißigen Abzüge, wel¬
chen das Erirägniß durch die hohen Erhebungskosten unterliegt.

Durch das Gesetz vom 1. Mai 1851 wurde das frühere Classensteuerge-
setz aufgehoben und durch ein neues ersetzt, das nach oben nur das jährliche
Einkommen bis zu 1000 Thlr. umfaßte. Das jährliche Einkommen von über
1000 Thlr. wurde einer neuen Steuer, welche den Namen classificirte Ein¬
kommensteuer erhielt, unterworfen. Diese beiden Steuern sind nicht etwa blos
zwei Namen für einen gleichartigen Steuermodus, wobei die Höhe des be¬
steuerten Einkommens, ob unter oder über 1000 Thlr., den einzigen Unter¬
schied ausmacht. Es handelt sich vielmehr um zwei ganz verschiedene Arten
der Steuerauflegung. Bei der Classensteuer wird die gesammte Steuerpflichtige
Bevölkerung in drei Classen eingetheilt, von denen jede Classe wiederum in
verschiedene Stufen zerfällt. Jeder Stufe entspricht ein bestimmter Steuersatz-
Der Einreihung in die verschiedenen Classen und Stufen wird nicht die Er¬
mittelung des individuellen Einkommens zu Grunde gelegt, sondern dieselbe
erfolgt nach gewissen Merkmalen der socialen Stellung: ob der Steuerpflich¬
tige im Wesentlichen durch Lohnarbeit besteht, ob die Lohnarbeit Tagelohn
und Gesindelohn, oder durch Leistungen höherstehender Art eine andere Ver¬
gütung bedingt; am unsichersten ist das Merkmal der dritten Classe, welche
die Einkommenclasse zunächst dem Einkommen über 1000 Thlr. enthält. Bei
der classisicirten Einkommensteuer dagegen erfolgt eine Einschätzung des indi¬
viduellen Einkommens, welches mit drei Procent zu versteuern ist, jedoch so
daß in 30 Steuerstufen die Steuerbeträge nur in runden Summen zu ent¬
richten sind. Die Bruchtheile zwischen den Steuerstufen bleiben daher den
Steuerpflichtigen erlassen, sodaß der entrichtete Betrag in der Regel nicht volle
drei Procent des eingeschätzten Einkommens ausmacht. Die classificirte Ein¬
kommensteuer wurde auch in denjenigen Städten erhoben, welche die Classen¬
steuer noch nicht eingeführt hatten, jedoch so, daß den zur Einkommensteuer
eingeschätzten Steuerpflichtigen ein zu 20 Thlr. bemessener Antheil an der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192779"/>
          <p xml:id="ID_1739" prev="#ID_1738"> erhob der Staat für die Gemeinde, indem er ihr einen Theil der Erhebungs-<lb/>
kosten in Abzug brachte. Dagegen war Sache der Gemeinden, die Ein¬<lb/>
schätzung zur Classensteuer auszuführen, gleichviel ob die Steuer blos für den<lb/>
Staat oder gleichzeitig für die Gemeinde erhoben wurde. Ebenso war die<lb/>
Aufstellung der Jahresrollen, die Führung der Ab- und Zugangslisten Ge¬<lb/>
meindesache, während die Bezirksregierung die Steuerbeträge feststellte, und der<lb/>
Landrath das Geschäft der Gemeinde beaufsichtigte, sowohl in Bezug auf die<lb/>
Einschätzung als auf die Erhebung. Dieses Geschäft ist nach seinen beiden<lb/>
Theilen von den Gemeinden immer für eine große Last angesehen worden,<lb/>
und so erklärt sich das zähe Festhalten vieler Städte an der Mahl- und<lb/>
Schlachtsteuer, trotz der großen Schädlichkeit dieser Steuer in wirthschaftlicher<lb/>
und moralischer Beziehung, und trotz der unverhältnißmcißigen Abzüge, wel¬<lb/>
chen das Erirägniß durch die hohen Erhebungskosten unterliegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1740" next="#ID_1741"> Durch das Gesetz vom 1. Mai 1851 wurde das frühere Classensteuerge-<lb/>
setz aufgehoben und durch ein neues ersetzt, das nach oben nur das jährliche<lb/>
Einkommen bis zu 1000 Thlr. umfaßte. Das jährliche Einkommen von über<lb/>
1000 Thlr. wurde einer neuen Steuer, welche den Namen classificirte Ein¬<lb/>
kommensteuer erhielt, unterworfen. Diese beiden Steuern sind nicht etwa blos<lb/>
zwei Namen für einen gleichartigen Steuermodus, wobei die Höhe des be¬<lb/>
steuerten Einkommens, ob unter oder über 1000 Thlr., den einzigen Unter¬<lb/>
schied ausmacht. Es handelt sich vielmehr um zwei ganz verschiedene Arten<lb/>
der Steuerauflegung. Bei der Classensteuer wird die gesammte Steuerpflichtige<lb/>
Bevölkerung in drei Classen eingetheilt, von denen jede Classe wiederum in<lb/>
verschiedene Stufen zerfällt. Jeder Stufe entspricht ein bestimmter Steuersatz-<lb/>
Der Einreihung in die verschiedenen Classen und Stufen wird nicht die Er¬<lb/>
mittelung des individuellen Einkommens zu Grunde gelegt, sondern dieselbe<lb/>
erfolgt nach gewissen Merkmalen der socialen Stellung: ob der Steuerpflich¬<lb/>
tige im Wesentlichen durch Lohnarbeit besteht, ob die Lohnarbeit Tagelohn<lb/>
und Gesindelohn, oder durch Leistungen höherstehender Art eine andere Ver¬<lb/>
gütung bedingt; am unsichersten ist das Merkmal der dritten Classe, welche<lb/>
die Einkommenclasse zunächst dem Einkommen über 1000 Thlr. enthält. Bei<lb/>
der classisicirten Einkommensteuer dagegen erfolgt eine Einschätzung des indi¬<lb/>
viduellen Einkommens, welches mit drei Procent zu versteuern ist, jedoch so<lb/>
daß in 30 Steuerstufen die Steuerbeträge nur in runden Summen zu ent¬<lb/>
richten sind. Die Bruchtheile zwischen den Steuerstufen bleiben daher den<lb/>
Steuerpflichtigen erlassen, sodaß der entrichtete Betrag in der Regel nicht volle<lb/>
drei Procent des eingeschätzten Einkommens ausmacht. Die classificirte Ein¬<lb/>
kommensteuer wurde auch in denjenigen Städten erhoben, welche die Classen¬<lb/>
steuer noch nicht eingeführt hatten, jedoch so, daß den zur Einkommensteuer<lb/>
eingeschätzten Steuerpflichtigen ein zu 20 Thlr. bemessener Antheil an der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0478] erhob der Staat für die Gemeinde, indem er ihr einen Theil der Erhebungs- kosten in Abzug brachte. Dagegen war Sache der Gemeinden, die Ein¬ schätzung zur Classensteuer auszuführen, gleichviel ob die Steuer blos für den Staat oder gleichzeitig für die Gemeinde erhoben wurde. Ebenso war die Aufstellung der Jahresrollen, die Führung der Ab- und Zugangslisten Ge¬ meindesache, während die Bezirksregierung die Steuerbeträge feststellte, und der Landrath das Geschäft der Gemeinde beaufsichtigte, sowohl in Bezug auf die Einschätzung als auf die Erhebung. Dieses Geschäft ist nach seinen beiden Theilen von den Gemeinden immer für eine große Last angesehen worden, und so erklärt sich das zähe Festhalten vieler Städte an der Mahl- und Schlachtsteuer, trotz der großen Schädlichkeit dieser Steuer in wirthschaftlicher und moralischer Beziehung, und trotz der unverhältnißmcißigen Abzüge, wel¬ chen das Erirägniß durch die hohen Erhebungskosten unterliegt. Durch das Gesetz vom 1. Mai 1851 wurde das frühere Classensteuerge- setz aufgehoben und durch ein neues ersetzt, das nach oben nur das jährliche Einkommen bis zu 1000 Thlr. umfaßte. Das jährliche Einkommen von über 1000 Thlr. wurde einer neuen Steuer, welche den Namen classificirte Ein¬ kommensteuer erhielt, unterworfen. Diese beiden Steuern sind nicht etwa blos zwei Namen für einen gleichartigen Steuermodus, wobei die Höhe des be¬ steuerten Einkommens, ob unter oder über 1000 Thlr., den einzigen Unter¬ schied ausmacht. Es handelt sich vielmehr um zwei ganz verschiedene Arten der Steuerauflegung. Bei der Classensteuer wird die gesammte Steuerpflichtige Bevölkerung in drei Classen eingetheilt, von denen jede Classe wiederum in verschiedene Stufen zerfällt. Jeder Stufe entspricht ein bestimmter Steuersatz- Der Einreihung in die verschiedenen Classen und Stufen wird nicht die Er¬ mittelung des individuellen Einkommens zu Grunde gelegt, sondern dieselbe erfolgt nach gewissen Merkmalen der socialen Stellung: ob der Steuerpflich¬ tige im Wesentlichen durch Lohnarbeit besteht, ob die Lohnarbeit Tagelohn und Gesindelohn, oder durch Leistungen höherstehender Art eine andere Ver¬ gütung bedingt; am unsichersten ist das Merkmal der dritten Classe, welche die Einkommenclasse zunächst dem Einkommen über 1000 Thlr. enthält. Bei der classisicirten Einkommensteuer dagegen erfolgt eine Einschätzung des indi¬ viduellen Einkommens, welches mit drei Procent zu versteuern ist, jedoch so daß in 30 Steuerstufen die Steuerbeträge nur in runden Summen zu ent¬ richten sind. Die Bruchtheile zwischen den Steuerstufen bleiben daher den Steuerpflichtigen erlassen, sodaß der entrichtete Betrag in der Regel nicht volle drei Procent des eingeschätzten Einkommens ausmacht. Die classificirte Ein¬ kommensteuer wurde auch in denjenigen Städten erhoben, welche die Classen¬ steuer noch nicht eingeführt hatten, jedoch so, daß den zur Einkommensteuer eingeschätzten Steuerpflichtigen ein zu 20 Thlr. bemessener Antheil an der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/478
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/478>, abgerufen am 05.02.2025.