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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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kraft einer ganzen Nation bedarf, um Bleibendes und Großes im Rechte her¬
vorzubringen. Wahrlich die Juristen vor Allem sollten das Jahr 1866 preisen
und hochhalten, denn von da an datirt sich, außer der Wiedergeburt des deut¬
schen Volks und Reichs, auch die Möglichkeit der Entstehung eines allgemeinen
deutschen nationalen Rechts! -->

Wenden wir uns nun aber zu unserem Hauptgegenstande, der Betrachtung
des Zustandes der Rechts lehre ans den deutschen Universitäten. Derselbe
kann mit einem Worte dahin bezeichnet werden: Das Privatrecht, und zwar
das Römische, überwuchert alle anderen Rechtsdisciplinen, welche neben diesem
eine nur geduldete Existenz haben. Daher kommt auch, daß der die Uni¬
versität verlassende Rechtscandidat die ganze Welt, ja die heterogensten Lebens¬
verhältnisse vom römisch-privatrechtlichen Standpunkte aus betrachtet, daß er
ohne Bedenken jeden internationalen Vertrag nach den Regeln der Privat¬
verträge beurtheilt, ewig bar jedes Verständnisses des öffentlichen Rechts wie
dessen Entwickelung bleibt,*) und daß. kommt er etwa in einer Kammer, im
Reichstage :c. zu öffentlicher Wirksamkeit, er die außerprivatrechtlichen Fragen
verschroben angreift, den privatrechtlichen aber reagirend entgegentritt, wenn
es sich um eine deutsch-rechtliche Weiterbildung der römischen Grundlage
handelt.

Wir erheben aber noch einen weiteren Vorwurf gegen die heutige Rechts¬
lehre, indem wir behaupten, daß auf unseren Universitäten das römische Recht
selbst fehlerhaft gelehrt wird; so wird die römisch-rechtliche Hauptvorlesung,
die Pandecten. durchgängig nach irgend einem Lehrbuche oder eigenem Systeme,
Paragraph für Paragraph von Anfang bis zum Ende (wenn man dieß er¬
reicht) abgesponnen, während der wahren Quelle des römischen Rechts, den
justinianischen Digesten, viel zu wenig Sorgfalt zugewendet wird. Wir sind
mit obigem Herrn Verfasser auch der Ansicht, daß ohne ein gründliches Stu¬
dium des römischen Rechts nie und nimmer ein Jurist gebildet werden kann,
aber ein solches halten wir ohne eine sorgfältige -- wenn auch zeitraubende



Einen recht prägnanten Beleg hierzu bietet der von Brinz unternommene, aber re-
sultatlos gebliebene Angriff gegen die herrschende Lehre von den juristischen Personen. Brinz
will diese "Vogelscheuchen" aus der Rechtslehre bannen, indem er dafür vorschlägt, man solle
statt zwei Arten von Personen lieber zwei Arten des Vermögens annehmen, und statt "jn-
nstischc Personen": "Zweckvermögen" sagen. Abgesehen nun davon, daß mit dieser Neuerung
gar nichts gewonnen wäre als ein anderes Wort, da Alles, was man seither von den juristischen
Personen angenommen hat. bleibt, muss gegen diesen Vorschlag eines Romanisten die Aussetzung
erhoben werden, daß derselbe die wohl sehr greifbare Existenz der juristischen Personen im
öffentlichen Rechte völlig übersieht, z. B, den Staat selbst, die Corporationen ze., und daß
mit dem Begriff "Zweckvermögen" für die öffentlich-rechtliche" juristischen Personen gar nichts
geleistet ist, da hier, z. B. beim Staate, für das Verständniß seines Wesens das Vermögen
Nebensache ist.

kraft einer ganzen Nation bedarf, um Bleibendes und Großes im Rechte her¬
vorzubringen. Wahrlich die Juristen vor Allem sollten das Jahr 1866 preisen
und hochhalten, denn von da an datirt sich, außer der Wiedergeburt des deut¬
schen Volks und Reichs, auch die Möglichkeit der Entstehung eines allgemeinen
deutschen nationalen Rechts! —>

Wenden wir uns nun aber zu unserem Hauptgegenstande, der Betrachtung
des Zustandes der Rechts lehre ans den deutschen Universitäten. Derselbe
kann mit einem Worte dahin bezeichnet werden: Das Privatrecht, und zwar
das Römische, überwuchert alle anderen Rechtsdisciplinen, welche neben diesem
eine nur geduldete Existenz haben. Daher kommt auch, daß der die Uni¬
versität verlassende Rechtscandidat die ganze Welt, ja die heterogensten Lebens¬
verhältnisse vom römisch-privatrechtlichen Standpunkte aus betrachtet, daß er
ohne Bedenken jeden internationalen Vertrag nach den Regeln der Privat¬
verträge beurtheilt, ewig bar jedes Verständnisses des öffentlichen Rechts wie
dessen Entwickelung bleibt,*) und daß. kommt er etwa in einer Kammer, im
Reichstage :c. zu öffentlicher Wirksamkeit, er die außerprivatrechtlichen Fragen
verschroben angreift, den privatrechtlichen aber reagirend entgegentritt, wenn
es sich um eine deutsch-rechtliche Weiterbildung der römischen Grundlage
handelt.

Wir erheben aber noch einen weiteren Vorwurf gegen die heutige Rechts¬
lehre, indem wir behaupten, daß auf unseren Universitäten das römische Recht
selbst fehlerhaft gelehrt wird; so wird die römisch-rechtliche Hauptvorlesung,
die Pandecten. durchgängig nach irgend einem Lehrbuche oder eigenem Systeme,
Paragraph für Paragraph von Anfang bis zum Ende (wenn man dieß er¬
reicht) abgesponnen, während der wahren Quelle des römischen Rechts, den
justinianischen Digesten, viel zu wenig Sorgfalt zugewendet wird. Wir sind
mit obigem Herrn Verfasser auch der Ansicht, daß ohne ein gründliches Stu¬
dium des römischen Rechts nie und nimmer ein Jurist gebildet werden kann,
aber ein solches halten wir ohne eine sorgfältige — wenn auch zeitraubende



Einen recht prägnanten Beleg hierzu bietet der von Brinz unternommene, aber re-
sultatlos gebliebene Angriff gegen die herrschende Lehre von den juristischen Personen. Brinz
will diese „Vogelscheuchen" aus der Rechtslehre bannen, indem er dafür vorschlägt, man solle
statt zwei Arten von Personen lieber zwei Arten des Vermögens annehmen, und statt „jn-
nstischc Personen": „Zweckvermögen" sagen. Abgesehen nun davon, daß mit dieser Neuerung
gar nichts gewonnen wäre als ein anderes Wort, da Alles, was man seither von den juristischen
Personen angenommen hat. bleibt, muss gegen diesen Vorschlag eines Romanisten die Aussetzung
erhoben werden, daß derselbe die wohl sehr greifbare Existenz der juristischen Personen im
öffentlichen Rechte völlig übersieht, z. B, den Staat selbst, die Corporationen ze., und daß
mit dem Begriff „Zweckvermögen" für die öffentlich-rechtliche» juristischen Personen gar nichts
geleistet ist, da hier, z. B. beim Staate, für das Verständniß seines Wesens das Vermögen
Nebensache ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/472>, abgerufen am 05.02.2025.