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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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So einstimmig man aber auch hierüber war, so sehr war man abweichender
Meinung in Betreff der Ursachen dieses Mißstandes und der Mittel, ihm ab¬
zuhelfen.

Ameyer sagte: "Die Reporter sind schuld daran, es fehlt ihnen allzusehr
an positiven Kenntnissen, deshalb geben sie nur die Schlagworte wieder, aber
nicht die sachlichen Discussionen und Deductionen, woraus demnächst die
Gesetze zu interpretiren sind und woraus allein überhaupt was zu ler¬
nen ist."

"Nein", sagt Bemeyer, "es fehlt den Reportern durchaus nicht an den
nöthigen Kenntnissen. Aber man verlangt von ihnen Dinge, welche mensch¬
liche Kräfte weit übersteigen. Sie sitzen an einem Orte, wo man nichts hört
und wo es, namentlich bei Abendsitzungen, kaum auszuhalten ist vor Luft¬
verpestung und Hitze. Dann ist da keine Arbeitstheilung. Jeder soll Alles
verstehen. Der Bericht soll Alles enthalten und doch möglichst kurz sein. So
verlangen es die Zeitungen. Und dabei bezahlen sie obendrein so schlecht.
Nein, die Reporter leisten das Menschenmögliche. Jedenfalls ist ihre Leistung
besser, als die Gegenleistung, d. h. die Bezahlung. Die Eigenthümer und
Redacteure der Zeitungen sind schuld daran; sie behandeln die Sitzungen des
Reichstages en daMtollö. Jede unbedeutende Correspondenz, jeden langath-
migen Leitartikel, den kein Mensch liest, stellen sie höher. Auch sind sie
Parteiisch."

"Ja, lieber Freund", sagt Cemeyer, Du kannst alle fünf Welttheile durch¬
wandern, bevor Du eine wirklich unparteiische Zeitung findest. Wenn sie sich
für unparteiisch ausgibt, dann ist das Verstellung. Dann dient sie auf der
Reihe herum verschiedenen Interessen, die nicht immer mit einander Harmo¬
niren. Das verwirrt aber die Leser weit mehr, als active, klare Parteinahme.
Denn bei dieser weiß man, woran man halt. Wäre eine Zeitung wirklich
völlig parteilos, dann würde sie, schon ihrer Langweiligkeit halber, kein Sterb¬
licher lesen. Wer einen vollständigen Bericht haben will, der muß zwei Zei¬
tungen neben einander halten, etwa die "Kölnische", welche die liberalen, und
die "Kreuzzeitung", welche die konservativen Reden ausführlich wiedergibt.
Dann kämen höchstens etwa die Klerikalen zu kurz."

"O, die am allerwenigsten", ruft wieder Ameyer, "für die haben die Re¬
porter ein ganz besonderes Faible. Die Reden von Windthorst werden am
allerausführlichsten wiedergegeben, obgleich sie sehr häufig sehr lang und sehr
inhaltlos sind und sich ewig wiederholen. Die von Bebel desgleichen.
Warum? Weil es blos Schlagworte, Schnurrpfeifereien und schlechte Witze
find. Das ist leicht aufgefaßt und leicht wiedergegeben. Ich sage Ihnen des¬
halb, die Schuld tragen doch die Reporter."

"Dummes Zeug", brummt Bemeyer, glauben Sie mir, die Reporter


So einstimmig man aber auch hierüber war, so sehr war man abweichender
Meinung in Betreff der Ursachen dieses Mißstandes und der Mittel, ihm ab¬
zuhelfen.

Ameyer sagte: „Die Reporter sind schuld daran, es fehlt ihnen allzusehr
an positiven Kenntnissen, deshalb geben sie nur die Schlagworte wieder, aber
nicht die sachlichen Discussionen und Deductionen, woraus demnächst die
Gesetze zu interpretiren sind und woraus allein überhaupt was zu ler¬
nen ist."

„Nein", sagt Bemeyer, „es fehlt den Reportern durchaus nicht an den
nöthigen Kenntnissen. Aber man verlangt von ihnen Dinge, welche mensch¬
liche Kräfte weit übersteigen. Sie sitzen an einem Orte, wo man nichts hört
und wo es, namentlich bei Abendsitzungen, kaum auszuhalten ist vor Luft¬
verpestung und Hitze. Dann ist da keine Arbeitstheilung. Jeder soll Alles
verstehen. Der Bericht soll Alles enthalten und doch möglichst kurz sein. So
verlangen es die Zeitungen. Und dabei bezahlen sie obendrein so schlecht.
Nein, die Reporter leisten das Menschenmögliche. Jedenfalls ist ihre Leistung
besser, als die Gegenleistung, d. h. die Bezahlung. Die Eigenthümer und
Redacteure der Zeitungen sind schuld daran; sie behandeln die Sitzungen des
Reichstages en daMtollö. Jede unbedeutende Correspondenz, jeden langath-
migen Leitartikel, den kein Mensch liest, stellen sie höher. Auch sind sie
Parteiisch."

„Ja, lieber Freund", sagt Cemeyer, Du kannst alle fünf Welttheile durch¬
wandern, bevor Du eine wirklich unparteiische Zeitung findest. Wenn sie sich
für unparteiisch ausgibt, dann ist das Verstellung. Dann dient sie auf der
Reihe herum verschiedenen Interessen, die nicht immer mit einander Harmo¬
niren. Das verwirrt aber die Leser weit mehr, als active, klare Parteinahme.
Denn bei dieser weiß man, woran man halt. Wäre eine Zeitung wirklich
völlig parteilos, dann würde sie, schon ihrer Langweiligkeit halber, kein Sterb¬
licher lesen. Wer einen vollständigen Bericht haben will, der muß zwei Zei¬
tungen neben einander halten, etwa die „Kölnische", welche die liberalen, und
die „Kreuzzeitung", welche die konservativen Reden ausführlich wiedergibt.
Dann kämen höchstens etwa die Klerikalen zu kurz."

„O, die am allerwenigsten", ruft wieder Ameyer, „für die haben die Re¬
porter ein ganz besonderes Faible. Die Reden von Windthorst werden am
allerausführlichsten wiedergegeben, obgleich sie sehr häufig sehr lang und sehr
inhaltlos sind und sich ewig wiederholen. Die von Bebel desgleichen.
Warum? Weil es blos Schlagworte, Schnurrpfeifereien und schlechte Witze
find. Das ist leicht aufgefaßt und leicht wiedergegeben. Ich sage Ihnen des¬
halb, die Schuld tragen doch die Reporter."

„Dummes Zeug", brummt Bemeyer, glauben Sie mir, die Reporter


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[0465] So einstimmig man aber auch hierüber war, so sehr war man abweichender Meinung in Betreff der Ursachen dieses Mißstandes und der Mittel, ihm ab¬ zuhelfen. Ameyer sagte: „Die Reporter sind schuld daran, es fehlt ihnen allzusehr an positiven Kenntnissen, deshalb geben sie nur die Schlagworte wieder, aber nicht die sachlichen Discussionen und Deductionen, woraus demnächst die Gesetze zu interpretiren sind und woraus allein überhaupt was zu ler¬ nen ist." „Nein", sagt Bemeyer, „es fehlt den Reportern durchaus nicht an den nöthigen Kenntnissen. Aber man verlangt von ihnen Dinge, welche mensch¬ liche Kräfte weit übersteigen. Sie sitzen an einem Orte, wo man nichts hört und wo es, namentlich bei Abendsitzungen, kaum auszuhalten ist vor Luft¬ verpestung und Hitze. Dann ist da keine Arbeitstheilung. Jeder soll Alles verstehen. Der Bericht soll Alles enthalten und doch möglichst kurz sein. So verlangen es die Zeitungen. Und dabei bezahlen sie obendrein so schlecht. Nein, die Reporter leisten das Menschenmögliche. Jedenfalls ist ihre Leistung besser, als die Gegenleistung, d. h. die Bezahlung. Die Eigenthümer und Redacteure der Zeitungen sind schuld daran; sie behandeln die Sitzungen des Reichstages en daMtollö. Jede unbedeutende Correspondenz, jeden langath- migen Leitartikel, den kein Mensch liest, stellen sie höher. Auch sind sie Parteiisch." „Ja, lieber Freund", sagt Cemeyer, Du kannst alle fünf Welttheile durch¬ wandern, bevor Du eine wirklich unparteiische Zeitung findest. Wenn sie sich für unparteiisch ausgibt, dann ist das Verstellung. Dann dient sie auf der Reihe herum verschiedenen Interessen, die nicht immer mit einander Harmo¬ niren. Das verwirrt aber die Leser weit mehr, als active, klare Parteinahme. Denn bei dieser weiß man, woran man halt. Wäre eine Zeitung wirklich völlig parteilos, dann würde sie, schon ihrer Langweiligkeit halber, kein Sterb¬ licher lesen. Wer einen vollständigen Bericht haben will, der muß zwei Zei¬ tungen neben einander halten, etwa die „Kölnische", welche die liberalen, und die „Kreuzzeitung", welche die konservativen Reden ausführlich wiedergibt. Dann kämen höchstens etwa die Klerikalen zu kurz." „O, die am allerwenigsten", ruft wieder Ameyer, „für die haben die Re¬ porter ein ganz besonderes Faible. Die Reden von Windthorst werden am allerausführlichsten wiedergegeben, obgleich sie sehr häufig sehr lang und sehr inhaltlos sind und sich ewig wiederholen. Die von Bebel desgleichen. Warum? Weil es blos Schlagworte, Schnurrpfeifereien und schlechte Witze find. Das ist leicht aufgefaßt und leicht wiedergegeben. Ich sage Ihnen des¬ halb, die Schuld tragen doch die Reporter." „Dummes Zeug", brummt Bemeyer, glauben Sie mir, die Reporter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/465>, abgerufen am 05.02.2025.