Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

möchte aber an der Zeit sein, jener wichtigen Reformen zu erwähnen, durch
welche die deutsche PostVerwaltung in den letzten Jahren die interna¬
tionalen Postbeziehungen zwischen Deutschland und den anderen europäischen
Ländern, sowie den Vereinigten Staaten von Amerika einer früher nicht ge¬
ahnten Entwickelung entgegengeführt hat. Noch sind kaum 30 Jahre ver¬
flossen seit der Blüthe jene/ wahrhaft unglaublichen Portotarprincipien und
Verkehrserschwerungen, welche fast unübersteigliche Schranken zwischen den
Culturvölkern aufrichteten. Die große Anzahl der Territorial-Postinstitute,
der Mangel zweckmäßiger Straßen und Communicationsmittel jeder Art, die
Verschiedenartigkeit der Berwaltungsnormen. welche alle Grade der amtlichen
Schwerfälligkeit und bureaukratischen Einseitigkeit in üppigem Gedeihen
zeigten, die Schwierigkeit, bestimmte Reciproeitäts-Grundsätze für den interna¬
tionalen Postverkehr zu der Bedeutung allgemein giltiger Thesen zu erheben,
endlich das Vorhandensein zahlloser Hemmnisse technischer Natur (in den
Münzsystemen, Gewichtsnormen u. s. w.) machten die Materie der Regulirung
der Postverkehrsbeziehungen zwischen den einzelnen Ländern zu der Verwickel¬
testen, am meisten labyrinthischen, welche die Cultur- und Staatengeschichte
kennt. Ein Brief von London nach Berlin kostete anfangs der vierziger
Jahre unseres Jahrhunderts (1842) noch 27^ Sgr., wovon allein 18 Sgr.
auf den britischen Portoantheil fielen; 1847 betrug das Porto für Briefe
zum Gewicht von Loth zwischen Berlin und Marseille noch 9'/z Sgr.,
vor 1847 -- 132/2 Sgr., -- Dank der großen Zahl verschiedener Postgebiete,
deren Taxansprüche zu befriedigen waren! Daß bei solchen Portosätzen von
einer freieren Bewegung in den Verkehrsverhältnissen, von einem lebenskräf¬
tigen Aufschwünge des internationalen Briefaustausches nicht die Rede sein
konnte, bedarf keiner Ausführung.

In dem aus seiner Zerrissenheit nunmehr glücklich erstandenen Deutsch¬
land mußte einst jeder von Norden nach Süden gesandte Brief mir einer
ganzen Musterkarte von Transitportosätzen geschmückt werden, aus denen sich
das "Gesammtporto" für den unglücklichen Portozahler bildete; mehr als hun¬
dert PostVerträge waren abgeschlossen worden, um dieses Chaos zu fester, greif¬
barer Gestalt zu verdichten. Der schreiende Nothstand solcher Verhältnisse
führte endlich zum Abschlüsse des deutsch-östreichischen Postvertrages vom 6-
April 1850, in welchem zuerst das Princip zur Geltung gebracht wurde, einen
einheitlichen Satz für das Po re 0 (zunächst für Deutschland und Oestreich)
festzustellen und das Publicum von der Zahlung derTransit-
vergütung gänzlich zu befreien. Nach diesem Vorgange begann eine
freiere Anschauung bei Regulirung der internationalen Vertragsbeziehungen
auch in anderen Ländern sich Bahn zu brechen; die vielstufigen Briestaxen,
die Transitschranken, die Schwerfälligkeit der Formen des Expeditions-


möchte aber an der Zeit sein, jener wichtigen Reformen zu erwähnen, durch
welche die deutsche PostVerwaltung in den letzten Jahren die interna¬
tionalen Postbeziehungen zwischen Deutschland und den anderen europäischen
Ländern, sowie den Vereinigten Staaten von Amerika einer früher nicht ge¬
ahnten Entwickelung entgegengeführt hat. Noch sind kaum 30 Jahre ver¬
flossen seit der Blüthe jene/ wahrhaft unglaublichen Portotarprincipien und
Verkehrserschwerungen, welche fast unübersteigliche Schranken zwischen den
Culturvölkern aufrichteten. Die große Anzahl der Territorial-Postinstitute,
der Mangel zweckmäßiger Straßen und Communicationsmittel jeder Art, die
Verschiedenartigkeit der Berwaltungsnormen. welche alle Grade der amtlichen
Schwerfälligkeit und bureaukratischen Einseitigkeit in üppigem Gedeihen
zeigten, die Schwierigkeit, bestimmte Reciproeitäts-Grundsätze für den interna¬
tionalen Postverkehr zu der Bedeutung allgemein giltiger Thesen zu erheben,
endlich das Vorhandensein zahlloser Hemmnisse technischer Natur (in den
Münzsystemen, Gewichtsnormen u. s. w.) machten die Materie der Regulirung
der Postverkehrsbeziehungen zwischen den einzelnen Ländern zu der Verwickel¬
testen, am meisten labyrinthischen, welche die Cultur- und Staatengeschichte
kennt. Ein Brief von London nach Berlin kostete anfangs der vierziger
Jahre unseres Jahrhunderts (1842) noch 27^ Sgr., wovon allein 18 Sgr.
auf den britischen Portoantheil fielen; 1847 betrug das Porto für Briefe
zum Gewicht von Loth zwischen Berlin und Marseille noch 9'/z Sgr.,
vor 1847 — 132/2 Sgr., — Dank der großen Zahl verschiedener Postgebiete,
deren Taxansprüche zu befriedigen waren! Daß bei solchen Portosätzen von
einer freieren Bewegung in den Verkehrsverhältnissen, von einem lebenskräf¬
tigen Aufschwünge des internationalen Briefaustausches nicht die Rede sein
konnte, bedarf keiner Ausführung.

In dem aus seiner Zerrissenheit nunmehr glücklich erstandenen Deutsch¬
land mußte einst jeder von Norden nach Süden gesandte Brief mir einer
ganzen Musterkarte von Transitportosätzen geschmückt werden, aus denen sich
das „Gesammtporto" für den unglücklichen Portozahler bildete; mehr als hun¬
dert PostVerträge waren abgeschlossen worden, um dieses Chaos zu fester, greif¬
barer Gestalt zu verdichten. Der schreiende Nothstand solcher Verhältnisse
führte endlich zum Abschlüsse des deutsch-östreichischen Postvertrages vom 6-
April 1850, in welchem zuerst das Princip zur Geltung gebracht wurde, einen
einheitlichen Satz für das Po re 0 (zunächst für Deutschland und Oestreich)
festzustellen und das Publicum von der Zahlung derTransit-
vergütung gänzlich zu befreien. Nach diesem Vorgange begann eine
freiere Anschauung bei Regulirung der internationalen Vertragsbeziehungen
auch in anderen Ländern sich Bahn zu brechen; die vielstufigen Briestaxen,
die Transitschranken, die Schwerfälligkeit der Formen des Expeditions-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192745"/>
          <p xml:id="ID_1625" prev="#ID_1624"> möchte aber an der Zeit sein, jener wichtigen Reformen zu erwähnen, durch<lb/>
welche die deutsche PostVerwaltung in den letzten Jahren die interna¬<lb/>
tionalen Postbeziehungen zwischen Deutschland und den anderen europäischen<lb/>
Ländern, sowie den Vereinigten Staaten von Amerika einer früher nicht ge¬<lb/>
ahnten Entwickelung entgegengeführt hat. Noch sind kaum 30 Jahre ver¬<lb/>
flossen seit der Blüthe jene/ wahrhaft unglaublichen Portotarprincipien und<lb/>
Verkehrserschwerungen, welche fast unübersteigliche Schranken zwischen den<lb/>
Culturvölkern aufrichteten. Die große Anzahl der Territorial-Postinstitute,<lb/>
der Mangel zweckmäßiger Straßen und Communicationsmittel jeder Art, die<lb/>
Verschiedenartigkeit der Berwaltungsnormen. welche alle Grade der amtlichen<lb/>
Schwerfälligkeit und bureaukratischen Einseitigkeit in üppigem Gedeihen<lb/>
zeigten, die Schwierigkeit, bestimmte Reciproeitäts-Grundsätze für den interna¬<lb/>
tionalen Postverkehr zu der Bedeutung allgemein giltiger Thesen zu erheben,<lb/>
endlich das Vorhandensein zahlloser Hemmnisse technischer Natur (in den<lb/>
Münzsystemen, Gewichtsnormen u. s. w.) machten die Materie der Regulirung<lb/>
der Postverkehrsbeziehungen zwischen den einzelnen Ländern zu der Verwickel¬<lb/>
testen, am meisten labyrinthischen, welche die Cultur- und Staatengeschichte<lb/>
kennt. Ein Brief von London nach Berlin kostete anfangs der vierziger<lb/>
Jahre unseres Jahrhunderts (1842) noch 27^ Sgr., wovon allein 18 Sgr.<lb/>
auf den britischen Portoantheil fielen; 1847 betrug das Porto für Briefe<lb/>
zum Gewicht von Loth zwischen Berlin und Marseille noch 9'/z Sgr.,<lb/>
vor 1847 &#x2014; 132/2 Sgr., &#x2014; Dank der großen Zahl verschiedener Postgebiete,<lb/>
deren Taxansprüche zu befriedigen waren! Daß bei solchen Portosätzen von<lb/>
einer freieren Bewegung in den Verkehrsverhältnissen, von einem lebenskräf¬<lb/>
tigen Aufschwünge des internationalen Briefaustausches nicht die Rede sein<lb/>
konnte, bedarf keiner Ausführung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1626" next="#ID_1627"> In dem aus seiner Zerrissenheit nunmehr glücklich erstandenen Deutsch¬<lb/>
land mußte einst jeder von Norden nach Süden gesandte Brief mir einer<lb/>
ganzen Musterkarte von Transitportosätzen geschmückt werden, aus denen sich<lb/>
das &#x201E;Gesammtporto" für den unglücklichen Portozahler bildete; mehr als hun¬<lb/>
dert PostVerträge waren abgeschlossen worden, um dieses Chaos zu fester, greif¬<lb/>
barer Gestalt zu verdichten. Der schreiende Nothstand solcher Verhältnisse<lb/>
führte endlich zum Abschlüsse des deutsch-östreichischen Postvertrages vom 6-<lb/>
April 1850, in welchem zuerst das Princip zur Geltung gebracht wurde, einen<lb/>
einheitlichen Satz für das Po re 0 (zunächst für Deutschland und Oestreich)<lb/>
festzustellen und das Publicum von der Zahlung derTransit-<lb/>
vergütung gänzlich zu befreien. Nach diesem Vorgange begann eine<lb/>
freiere Anschauung bei Regulirung der internationalen Vertragsbeziehungen<lb/>
auch in anderen Ländern sich Bahn zu brechen; die vielstufigen Briestaxen,<lb/>
die Transitschranken, die Schwerfälligkeit der Formen des Expeditions-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0444] möchte aber an der Zeit sein, jener wichtigen Reformen zu erwähnen, durch welche die deutsche PostVerwaltung in den letzten Jahren die interna¬ tionalen Postbeziehungen zwischen Deutschland und den anderen europäischen Ländern, sowie den Vereinigten Staaten von Amerika einer früher nicht ge¬ ahnten Entwickelung entgegengeführt hat. Noch sind kaum 30 Jahre ver¬ flossen seit der Blüthe jene/ wahrhaft unglaublichen Portotarprincipien und Verkehrserschwerungen, welche fast unübersteigliche Schranken zwischen den Culturvölkern aufrichteten. Die große Anzahl der Territorial-Postinstitute, der Mangel zweckmäßiger Straßen und Communicationsmittel jeder Art, die Verschiedenartigkeit der Berwaltungsnormen. welche alle Grade der amtlichen Schwerfälligkeit und bureaukratischen Einseitigkeit in üppigem Gedeihen zeigten, die Schwierigkeit, bestimmte Reciproeitäts-Grundsätze für den interna¬ tionalen Postverkehr zu der Bedeutung allgemein giltiger Thesen zu erheben, endlich das Vorhandensein zahlloser Hemmnisse technischer Natur (in den Münzsystemen, Gewichtsnormen u. s. w.) machten die Materie der Regulirung der Postverkehrsbeziehungen zwischen den einzelnen Ländern zu der Verwickel¬ testen, am meisten labyrinthischen, welche die Cultur- und Staatengeschichte kennt. Ein Brief von London nach Berlin kostete anfangs der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts (1842) noch 27^ Sgr., wovon allein 18 Sgr. auf den britischen Portoantheil fielen; 1847 betrug das Porto für Briefe zum Gewicht von Loth zwischen Berlin und Marseille noch 9'/z Sgr., vor 1847 — 132/2 Sgr., — Dank der großen Zahl verschiedener Postgebiete, deren Taxansprüche zu befriedigen waren! Daß bei solchen Portosätzen von einer freieren Bewegung in den Verkehrsverhältnissen, von einem lebenskräf¬ tigen Aufschwünge des internationalen Briefaustausches nicht die Rede sein konnte, bedarf keiner Ausführung. In dem aus seiner Zerrissenheit nunmehr glücklich erstandenen Deutsch¬ land mußte einst jeder von Norden nach Süden gesandte Brief mir einer ganzen Musterkarte von Transitportosätzen geschmückt werden, aus denen sich das „Gesammtporto" für den unglücklichen Portozahler bildete; mehr als hun¬ dert PostVerträge waren abgeschlossen worden, um dieses Chaos zu fester, greif¬ barer Gestalt zu verdichten. Der schreiende Nothstand solcher Verhältnisse führte endlich zum Abschlüsse des deutsch-östreichischen Postvertrages vom 6- April 1850, in welchem zuerst das Princip zur Geltung gebracht wurde, einen einheitlichen Satz für das Po re 0 (zunächst für Deutschland und Oestreich) festzustellen und das Publicum von der Zahlung derTransit- vergütung gänzlich zu befreien. Nach diesem Vorgange begann eine freiere Anschauung bei Regulirung der internationalen Vertragsbeziehungen auch in anderen Ländern sich Bahn zu brechen; die vielstufigen Briestaxen, die Transitschranken, die Schwerfälligkeit der Formen des Expeditions-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/444
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/444>, abgerufen am 05.02.2025.