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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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nationale Gefühl dennoch so mächtig war, um eine entschiedene Opposition
zu verhindern. Es bedürfte einer gewissen Selbstverleugnung, das wird Niemand
in Abrede stellen, aber man übte diese Selbstverleugnung auch und opferte
das eigene Interesse ohne Murren dem Interesse des Ganzen.

Ebenso wie die Bevölkerung hatte auch die Regierung Bayerns ihr Be¬
denken in dieser Frage. Nicht vom Standpunkte der Volkswirthschaft, sondern
von dem der Souveränetät amendirte sie den Gesetzentwurf und wußte das
Münzregal der Einzelstaaten im Bildniß der Landesherrn zu wahren.

Das Publicum nahm an dieser letzteren Frage nur geringen Antheil,
allein es zollte doch der klugen Nachgiebigkeit des Fürsten Bismarck vollen
Beifall und ward sich dessen wohl bewußt, daß die Regierung damit für spä¬
tere Fälle in der Schuld des Reiches blieb.

Brennender noch als die beiden erstgenannten Gegenstände ward für
Bayern der berühmte Strafartikel gegen die geistliche Agitation. Denn nicht
allein die Anregung hierzu ging von Bayern aus, sondern auch die Wirkung
desselben soll sich vor allem dort bewähren. Wir können und wollen hier
nicht die verschiedenen Gesichtspunkte betonen, die während der Debatte zu
Tage traten, sondern nur im Allgemeinen constatiren, daß die ungeheure
Majorität in Bayern den Antrag mit offener Sympathie begrüßte. Wenn
sich auch die Meisten sagten, daß richtiger wäre, nach französischem Vor¬
bild jede Politik von der Kanzel zu verbannen, so ist doch eine Pression gegen
den Mißbrauch wenigstens als Nothbehelf von Werth. Und nur in diesem
Sinne, als erster Stein in einem großen organisirten Defensivsystem, wird
hier der Paragraph betrachtet: man freut sich mehr des Princips, das damit
firirt wurde, als der concreten Maßregel halber.

Indessen schlägt man den Erfolg der letzteren in Bayern doch höher an,
als es in manchen Kreisen Norddeutschlands geschah, wo man den bayrischen
Klerus wohl für idealer hält, als er ist. Bequemlichkeit gilt diesen Herren
mehr als das berufene Märtyrerthum, und nach einer alten Lehre beugt sich
der Uebermuth am schnellsten, wenn er gewaltigen Ernst sieht. Nicht aus
dem Bewußtsein seiner eigenen Kraft, sondern aus der Schwäche der Regie¬
rungen ist derselbe herausgewachsen.

Wenn man das Gesetz als Ausnahmebestimmung bezeichnen und daraus
ein gewisses Odium gegen dasselbe ableiten will, so ist es weit richtiger, die
Privilegien, welche die römische Kirche besitzt und mißbraucht, als solche zu
bezeichnen, und wenn die klerikalen Herren über diese Parallele entrüstet sind,
so beweisen sie damit nur, daß ihnen das Bewußtsein ihrer Rechte weit näher
steht, als das ihrer Pflichten.

Was indeß zunächst das Wichtigste für Bayern ist. das ist die ungewöhn¬
lich scharfe und principielle Stellung, welche Herr von Lutz, der mächtigste


nationale Gefühl dennoch so mächtig war, um eine entschiedene Opposition
zu verhindern. Es bedürfte einer gewissen Selbstverleugnung, das wird Niemand
in Abrede stellen, aber man übte diese Selbstverleugnung auch und opferte
das eigene Interesse ohne Murren dem Interesse des Ganzen.

Ebenso wie die Bevölkerung hatte auch die Regierung Bayerns ihr Be¬
denken in dieser Frage. Nicht vom Standpunkte der Volkswirthschaft, sondern
von dem der Souveränetät amendirte sie den Gesetzentwurf und wußte das
Münzregal der Einzelstaaten im Bildniß der Landesherrn zu wahren.

Das Publicum nahm an dieser letzteren Frage nur geringen Antheil,
allein es zollte doch der klugen Nachgiebigkeit des Fürsten Bismarck vollen
Beifall und ward sich dessen wohl bewußt, daß die Regierung damit für spä¬
tere Fälle in der Schuld des Reiches blieb.

Brennender noch als die beiden erstgenannten Gegenstände ward für
Bayern der berühmte Strafartikel gegen die geistliche Agitation. Denn nicht
allein die Anregung hierzu ging von Bayern aus, sondern auch die Wirkung
desselben soll sich vor allem dort bewähren. Wir können und wollen hier
nicht die verschiedenen Gesichtspunkte betonen, die während der Debatte zu
Tage traten, sondern nur im Allgemeinen constatiren, daß die ungeheure
Majorität in Bayern den Antrag mit offener Sympathie begrüßte. Wenn
sich auch die Meisten sagten, daß richtiger wäre, nach französischem Vor¬
bild jede Politik von der Kanzel zu verbannen, so ist doch eine Pression gegen
den Mißbrauch wenigstens als Nothbehelf von Werth. Und nur in diesem
Sinne, als erster Stein in einem großen organisirten Defensivsystem, wird
hier der Paragraph betrachtet: man freut sich mehr des Princips, das damit
firirt wurde, als der concreten Maßregel halber.

Indessen schlägt man den Erfolg der letzteren in Bayern doch höher an,
als es in manchen Kreisen Norddeutschlands geschah, wo man den bayrischen
Klerus wohl für idealer hält, als er ist. Bequemlichkeit gilt diesen Herren
mehr als das berufene Märtyrerthum, und nach einer alten Lehre beugt sich
der Uebermuth am schnellsten, wenn er gewaltigen Ernst sieht. Nicht aus
dem Bewußtsein seiner eigenen Kraft, sondern aus der Schwäche der Regie¬
rungen ist derselbe herausgewachsen.

Wenn man das Gesetz als Ausnahmebestimmung bezeichnen und daraus
ein gewisses Odium gegen dasselbe ableiten will, so ist es weit richtiger, die
Privilegien, welche die römische Kirche besitzt und mißbraucht, als solche zu
bezeichnen, und wenn die klerikalen Herren über diese Parallele entrüstet sind,
so beweisen sie damit nur, daß ihnen das Bewußtsein ihrer Rechte weit näher
steht, als das ihrer Pflichten.

Was indeß zunächst das Wichtigste für Bayern ist. das ist die ungewöhn¬
lich scharfe und principielle Stellung, welche Herr von Lutz, der mächtigste


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[0434] nationale Gefühl dennoch so mächtig war, um eine entschiedene Opposition zu verhindern. Es bedürfte einer gewissen Selbstverleugnung, das wird Niemand in Abrede stellen, aber man übte diese Selbstverleugnung auch und opferte das eigene Interesse ohne Murren dem Interesse des Ganzen. Ebenso wie die Bevölkerung hatte auch die Regierung Bayerns ihr Be¬ denken in dieser Frage. Nicht vom Standpunkte der Volkswirthschaft, sondern von dem der Souveränetät amendirte sie den Gesetzentwurf und wußte das Münzregal der Einzelstaaten im Bildniß der Landesherrn zu wahren. Das Publicum nahm an dieser letzteren Frage nur geringen Antheil, allein es zollte doch der klugen Nachgiebigkeit des Fürsten Bismarck vollen Beifall und ward sich dessen wohl bewußt, daß die Regierung damit für spä¬ tere Fälle in der Schuld des Reiches blieb. Brennender noch als die beiden erstgenannten Gegenstände ward für Bayern der berühmte Strafartikel gegen die geistliche Agitation. Denn nicht allein die Anregung hierzu ging von Bayern aus, sondern auch die Wirkung desselben soll sich vor allem dort bewähren. Wir können und wollen hier nicht die verschiedenen Gesichtspunkte betonen, die während der Debatte zu Tage traten, sondern nur im Allgemeinen constatiren, daß die ungeheure Majorität in Bayern den Antrag mit offener Sympathie begrüßte. Wenn sich auch die Meisten sagten, daß richtiger wäre, nach französischem Vor¬ bild jede Politik von der Kanzel zu verbannen, so ist doch eine Pression gegen den Mißbrauch wenigstens als Nothbehelf von Werth. Und nur in diesem Sinne, als erster Stein in einem großen organisirten Defensivsystem, wird hier der Paragraph betrachtet: man freut sich mehr des Princips, das damit firirt wurde, als der concreten Maßregel halber. Indessen schlägt man den Erfolg der letzteren in Bayern doch höher an, als es in manchen Kreisen Norddeutschlands geschah, wo man den bayrischen Klerus wohl für idealer hält, als er ist. Bequemlichkeit gilt diesen Herren mehr als das berufene Märtyrerthum, und nach einer alten Lehre beugt sich der Uebermuth am schnellsten, wenn er gewaltigen Ernst sieht. Nicht aus dem Bewußtsein seiner eigenen Kraft, sondern aus der Schwäche der Regie¬ rungen ist derselbe herausgewachsen. Wenn man das Gesetz als Ausnahmebestimmung bezeichnen und daraus ein gewisses Odium gegen dasselbe ableiten will, so ist es weit richtiger, die Privilegien, welche die römische Kirche besitzt und mißbraucht, als solche zu bezeichnen, und wenn die klerikalen Herren über diese Parallele entrüstet sind, so beweisen sie damit nur, daß ihnen das Bewußtsein ihrer Rechte weit näher steht, als das ihrer Pflichten. Was indeß zunächst das Wichtigste für Bayern ist. das ist die ungewöhn¬ lich scharfe und principielle Stellung, welche Herr von Lutz, der mächtigste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/434>, abgerufen am 06.02.2025.