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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Zucht, der in den Reihen der Nationalgarde herrschte. "Wie kann man mit
solchen Soldaten und Officieren etwas ausrichten!" sagte er eines Tages, als
ein recht in die Augen springender Fall von Einfalt und Ungeschick ihm zu Ge¬
sicht gekommen war. "Ach. wenn ich doch das eher gewußt hätte," setzte er
mit einem Seufzer hinzu. (Und doch wollte er mit dieser undisciplinirten
Truppe die Preußen angreifen? Wir glauben, daß der Herr Correspondent
sich von seiner Freundschaft für Rössel entweder über dessen Militärische Fähig-
keit oder dessen Ehrlichkeit und Offenheit täuschen ließ. Jedenfalls giebt's
hier einen starken Widerspruch gegen die angebliche Absicht Rössels auf die
deutsche Stellung in Enghien. Und klingt das, "Wenn ich das doch eher ge¬
wußt hätte!" nicht wie ein Seitenstück zu dem Motiv der Beurtheilung des
Kriegs gegen Deutschland, welches nach den ersten Niederlagen im Munde
fast aller Franzosen war, und noch heute der Verurtheilungsgrund desselben
ist. das Motiv, "wir waren nicht gut genug vorbereitet.") Aber trotz seiner
Verzweiflung fuhr er fort, eifrig im Kriegsministerium zu arbeiten. In der
That, er konnte nichts vor sich bringen; denn man intriguirte allenthalben
gegen ihn, und nur mittelst der äußersten Thatkraft und Pünktlichkeit hielt
er die Dinge überhaupt einigermaßen im Gange. Zuletzt kam es zum Bruch,
Und er floh vor den Tollhäuslern der Commune, die (einige von ihnen)
keinen Anstand nahmen, einen so loyalen Mann wie Rössel anzuklagen, mit
dem Feinde im EinVerständniß gewesen zu sein. Was dieses Einverständnis?
war, hat uns das blutige Schauspiel, das am 28. Nov. früh zu Satory spielte,
Zur Genüge gezeigt. Er verbarg sich in einem Gasthause des Quartier
Ladin und setzte selbst hier noch seine Lieblingsstudien über Kriegsgeschichte
und Strategie fort. Eine anonyme Anzeige bewirkte seine Verhaftung, und
^ fiel in die Krallen der Mouchards des Herrn Thiers.

Ich sah meinen armen Freund erst wieder, als er in Versailles vor Ge-
rM gestellt wurde (es war nicht leicht ihn im Gefängniß zu sprechen) und
^unde da nur wenige Minuten während einer Pause der Sitzungen des
Kriegsgerichtes mit ihm reden. "Warum kamen Sie", so fragte ich ihn,
zu mir, oder in das Haus Freund Uf., als die Communisten Sie auf¬
suchten; wir würden Sie sicher zwischen uns nach England gebracht haben."
"^es", erwiederte er, "ich hatte die Karten mit Ihren Adressen verloren, und
konnte mich nicht entsinnen, wohin ich zu gehen hatte." Ich bin halb und
halb der Meinung, daß der arme Bursch in seiner übertriebenen ritterlichen
Denkart Anstand genommen hat, möglicherweise Freunde zu compromittiren,
und daß er vorzog, allein und ohne Beistand zu sehen, was das Schicksal
ihm beschicken.

Ich fragte ihn, ob es ihm recht wäre, wenn ich Zeugniß ablegte in Be-
^ff seiner Pläne gegen die Preußen -- so weit ich sie kannte --> aber er


Trmzboten II. 1871. 122

Zucht, der in den Reihen der Nationalgarde herrschte. „Wie kann man mit
solchen Soldaten und Officieren etwas ausrichten!" sagte er eines Tages, als
ein recht in die Augen springender Fall von Einfalt und Ungeschick ihm zu Ge¬
sicht gekommen war. „Ach. wenn ich doch das eher gewußt hätte," setzte er
mit einem Seufzer hinzu. (Und doch wollte er mit dieser undisciplinirten
Truppe die Preußen angreifen? Wir glauben, daß der Herr Correspondent
sich von seiner Freundschaft für Rössel entweder über dessen Militärische Fähig-
keit oder dessen Ehrlichkeit und Offenheit täuschen ließ. Jedenfalls giebt's
hier einen starken Widerspruch gegen die angebliche Absicht Rössels auf die
deutsche Stellung in Enghien. Und klingt das, „Wenn ich das doch eher ge¬
wußt hätte!" nicht wie ein Seitenstück zu dem Motiv der Beurtheilung des
Kriegs gegen Deutschland, welches nach den ersten Niederlagen im Munde
fast aller Franzosen war, und noch heute der Verurtheilungsgrund desselben
ist. das Motiv, „wir waren nicht gut genug vorbereitet.") Aber trotz seiner
Verzweiflung fuhr er fort, eifrig im Kriegsministerium zu arbeiten. In der
That, er konnte nichts vor sich bringen; denn man intriguirte allenthalben
gegen ihn, und nur mittelst der äußersten Thatkraft und Pünktlichkeit hielt
er die Dinge überhaupt einigermaßen im Gange. Zuletzt kam es zum Bruch,
Und er floh vor den Tollhäuslern der Commune, die (einige von ihnen)
keinen Anstand nahmen, einen so loyalen Mann wie Rössel anzuklagen, mit
dem Feinde im EinVerständniß gewesen zu sein. Was dieses Einverständnis?
war, hat uns das blutige Schauspiel, das am 28. Nov. früh zu Satory spielte,
Zur Genüge gezeigt. Er verbarg sich in einem Gasthause des Quartier
Ladin und setzte selbst hier noch seine Lieblingsstudien über Kriegsgeschichte
und Strategie fort. Eine anonyme Anzeige bewirkte seine Verhaftung, und
^ fiel in die Krallen der Mouchards des Herrn Thiers.

Ich sah meinen armen Freund erst wieder, als er in Versailles vor Ge-
rM gestellt wurde (es war nicht leicht ihn im Gefängniß zu sprechen) und
^unde da nur wenige Minuten während einer Pause der Sitzungen des
Kriegsgerichtes mit ihm reden. „Warum kamen Sie", so fragte ich ihn,
zu mir, oder in das Haus Freund Uf., als die Communisten Sie auf¬
suchten; wir würden Sie sicher zwischen uns nach England gebracht haben."
»^es", erwiederte er, „ich hatte die Karten mit Ihren Adressen verloren, und
konnte mich nicht entsinnen, wohin ich zu gehen hatte." Ich bin halb und
halb der Meinung, daß der arme Bursch in seiner übertriebenen ritterlichen
Denkart Anstand genommen hat, möglicherweise Freunde zu compromittiren,
und daß er vorzog, allein und ohne Beistand zu sehen, was das Schicksal
ihm beschicken.

Ich fragte ihn, ob es ihm recht wäre, wenn ich Zeugniß ablegte in Be-
^ff seiner Pläne gegen die Preußen — so weit ich sie kannte —> aber er


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[0421] Zucht, der in den Reihen der Nationalgarde herrschte. „Wie kann man mit solchen Soldaten und Officieren etwas ausrichten!" sagte er eines Tages, als ein recht in die Augen springender Fall von Einfalt und Ungeschick ihm zu Ge¬ sicht gekommen war. „Ach. wenn ich doch das eher gewußt hätte," setzte er mit einem Seufzer hinzu. (Und doch wollte er mit dieser undisciplinirten Truppe die Preußen angreifen? Wir glauben, daß der Herr Correspondent sich von seiner Freundschaft für Rössel entweder über dessen Militärische Fähig- keit oder dessen Ehrlichkeit und Offenheit täuschen ließ. Jedenfalls giebt's hier einen starken Widerspruch gegen die angebliche Absicht Rössels auf die deutsche Stellung in Enghien. Und klingt das, „Wenn ich das doch eher ge¬ wußt hätte!" nicht wie ein Seitenstück zu dem Motiv der Beurtheilung des Kriegs gegen Deutschland, welches nach den ersten Niederlagen im Munde fast aller Franzosen war, und noch heute der Verurtheilungsgrund desselben ist. das Motiv, „wir waren nicht gut genug vorbereitet.") Aber trotz seiner Verzweiflung fuhr er fort, eifrig im Kriegsministerium zu arbeiten. In der That, er konnte nichts vor sich bringen; denn man intriguirte allenthalben gegen ihn, und nur mittelst der äußersten Thatkraft und Pünktlichkeit hielt er die Dinge überhaupt einigermaßen im Gange. Zuletzt kam es zum Bruch, Und er floh vor den Tollhäuslern der Commune, die (einige von ihnen) keinen Anstand nahmen, einen so loyalen Mann wie Rössel anzuklagen, mit dem Feinde im EinVerständniß gewesen zu sein. Was dieses Einverständnis? war, hat uns das blutige Schauspiel, das am 28. Nov. früh zu Satory spielte, Zur Genüge gezeigt. Er verbarg sich in einem Gasthause des Quartier Ladin und setzte selbst hier noch seine Lieblingsstudien über Kriegsgeschichte und Strategie fort. Eine anonyme Anzeige bewirkte seine Verhaftung, und ^ fiel in die Krallen der Mouchards des Herrn Thiers. Ich sah meinen armen Freund erst wieder, als er in Versailles vor Ge- rM gestellt wurde (es war nicht leicht ihn im Gefängniß zu sprechen) und ^unde da nur wenige Minuten während einer Pause der Sitzungen des Kriegsgerichtes mit ihm reden. „Warum kamen Sie", so fragte ich ihn, zu mir, oder in das Haus Freund Uf., als die Communisten Sie auf¬ suchten; wir würden Sie sicher zwischen uns nach England gebracht haben." »^es", erwiederte er, „ich hatte die Karten mit Ihren Adressen verloren, und konnte mich nicht entsinnen, wohin ich zu gehen hatte." Ich bin halb und halb der Meinung, daß der arme Bursch in seiner übertriebenen ritterlichen Denkart Anstand genommen hat, möglicherweise Freunde zu compromittiren, und daß er vorzog, allein und ohne Beistand zu sehen, was das Schicksal ihm beschicken. Ich fragte ihn, ob es ihm recht wäre, wenn ich Zeugniß ablegte in Be- ^ff seiner Pläne gegen die Preußen — so weit ich sie kannte —> aber er Trmzboten II. 1871. 122

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/421>, abgerufen am 11.02.2025.