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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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nisteriums. Wir sprachen etwa fünf Minuten mit einander, dann kam
Rössel herein.

"Nun erzählen Sie mir Alles von den Preußen/' sagte er, nachdem er
sich zu Tisch gesetzt. "Sie scheinen keine Vorbereitungen zu einem Angriff
auf uns zu treffen; haben sie Vertheidigungswerke zwischen Paris und
Enghien? Es scheint nicht, daß sie einen Angriff von unserer Seite er¬
warten."

Natürlich konnte ich nur sagen, daß die Preußen im Allgemeinen für
alle Eventualitäten bereit wären, daß sie aber weder ein Zeichen offener Feind¬
seligkeit noch irgendwelcher Furcht in Betreff der Anhänger der Commune
merken ließen."

Darauf blickte Rössel Dombrowski an, wie wenn er sagen wollte:
"Sie sehen, wir könnten sie angreifen." Aber Dombrowski, kein Franzose,
und deßhalb kaltblütiger und weniger in Vorurtheilen befangen, antwortete:
"Nein, mein Freund, mit Soldaten wie die unsrigen muß man sich nicht an
die Preußen wagen."

Rössel antwortete nicht, brütete aber offenbar weiter über seinem Lieb'
lingsgedanken eines Angriffs auf die Feinde Frankreichs mit der National¬
garde, indem er hoffte, die Vaterlandsliebe würde die Versailler Truppen hin¬
reißen, sich dem Ansturm gegen den gemeinsamen Gegner anzuschließen. Er
beurtheilte die patriotischen Empfindungen der Versailler Regierung nicht
richtig, welche wenige Wochen später, weit entfernt, die deutschen Truppen
anzugreifen, sich nicht schämte, deren Beistand anzunehmen, um die in der Falle
befindlichen und dem Verderben geweihten Insurgenten mit einem eisernen
Ringe einzuschließen.*)

Einmal auf die Preußen gekommen, sprach Rössel von der Leber weg
über dieselben, und obwohl er seinen Haß gegen sie durchaus nicht verbarg,
so war er in seinen Aeußerungen doch von jeder Herabsetzung derselben und
jeder höhnischen Hoffahrt vor der Nation fern, welche die feine so grausam
niedergeschmettert hatte. Er erinnerte sich der Thatsache, welche jetzt so viele
französische Officiere zu vergessen scheinen, daß die Pflicht eines Soldaten nicht
darin besteht, die Feinde seines Vaterlandes mit seiner Zunge zu verunglimpfen,
sondern darin, sie mit Blut und Eisen zu schlagen. Eine seiner Bemerkungen
über die unter seinem Befehl stehenden Leute fiel mir sehr auf. "Unsere
Leute sind so ungehorsam geboren," sagte er, wie die Deutschen gehorsam
geboren sind." Niemals verbarg er sich den schrecklichen Mangel an Manns-



') Wir finden darin nichts Schmachvolles, da hier nicht Franjosen, sondern kosmopolitische
Revolutionäre von Thiers bekämpft wurden, auch hätte der Verfasser richtiger statt "anzu¬
nehmen" zu verlangen gesagt.

nisteriums. Wir sprachen etwa fünf Minuten mit einander, dann kam
Rössel herein.

„Nun erzählen Sie mir Alles von den Preußen/' sagte er, nachdem er
sich zu Tisch gesetzt. „Sie scheinen keine Vorbereitungen zu einem Angriff
auf uns zu treffen; haben sie Vertheidigungswerke zwischen Paris und
Enghien? Es scheint nicht, daß sie einen Angriff von unserer Seite er¬
warten."

Natürlich konnte ich nur sagen, daß die Preußen im Allgemeinen für
alle Eventualitäten bereit wären, daß sie aber weder ein Zeichen offener Feind¬
seligkeit noch irgendwelcher Furcht in Betreff der Anhänger der Commune
merken ließen."

Darauf blickte Rössel Dombrowski an, wie wenn er sagen wollte:
„Sie sehen, wir könnten sie angreifen." Aber Dombrowski, kein Franzose,
und deßhalb kaltblütiger und weniger in Vorurtheilen befangen, antwortete:
„Nein, mein Freund, mit Soldaten wie die unsrigen muß man sich nicht an
die Preußen wagen."

Rössel antwortete nicht, brütete aber offenbar weiter über seinem Lieb'
lingsgedanken eines Angriffs auf die Feinde Frankreichs mit der National¬
garde, indem er hoffte, die Vaterlandsliebe würde die Versailler Truppen hin¬
reißen, sich dem Ansturm gegen den gemeinsamen Gegner anzuschließen. Er
beurtheilte die patriotischen Empfindungen der Versailler Regierung nicht
richtig, welche wenige Wochen später, weit entfernt, die deutschen Truppen
anzugreifen, sich nicht schämte, deren Beistand anzunehmen, um die in der Falle
befindlichen und dem Verderben geweihten Insurgenten mit einem eisernen
Ringe einzuschließen.*)

Einmal auf die Preußen gekommen, sprach Rössel von der Leber weg
über dieselben, und obwohl er seinen Haß gegen sie durchaus nicht verbarg,
so war er in seinen Aeußerungen doch von jeder Herabsetzung derselben und
jeder höhnischen Hoffahrt vor der Nation fern, welche die feine so grausam
niedergeschmettert hatte. Er erinnerte sich der Thatsache, welche jetzt so viele
französische Officiere zu vergessen scheinen, daß die Pflicht eines Soldaten nicht
darin besteht, die Feinde seines Vaterlandes mit seiner Zunge zu verunglimpfen,
sondern darin, sie mit Blut und Eisen zu schlagen. Eine seiner Bemerkungen
über die unter seinem Befehl stehenden Leute fiel mir sehr auf. „Unsere
Leute sind so ungehorsam geboren," sagte er, wie die Deutschen gehorsam
geboren sind." Niemals verbarg er sich den schrecklichen Mangel an Manns-



') Wir finden darin nichts Schmachvolles, da hier nicht Franjosen, sondern kosmopolitische
Revolutionäre von Thiers bekämpft wurden, auch hätte der Verfasser richtiger statt „anzu¬
nehmen" zu verlangen gesagt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/420>, abgerufen am 06.02.2025.