Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.und der einzige Mann von Ansehen, welcher einen einfachen Civilanzug trug, Als ich mein Gesuch wegen eines Passirscheins vorbrachte, lehnte er sehr Das nächste Mal, wo ich Oberst Rössel sah, war bei einer Sitzung des So viel über die "blutige Laufbahn", die ihm neulich ein amerikanisches und der einzige Mann von Ansehen, welcher einen einfachen Civilanzug trug, Als ich mein Gesuch wegen eines Passirscheins vorbrachte, lehnte er sehr Das nächste Mal, wo ich Oberst Rössel sah, war bei einer Sitzung des So viel über die „blutige Laufbahn", die ihm neulich ein amerikanisches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192719"/> <p xml:id="ID_1535" prev="#ID_1534"> und der einzige Mann von Ansehen, welcher einen einfachen Civilanzug trug,<lb/> war Rössel selbst, welcher damals als Generalstabschef für Cluseret fungirte.<lb/> Alle diese Officiere schienen vor ihm, dem jugendlichen Genieobersten, trotz<lb/> seiner bürgerlichen Kleidung Furcht zu haben, und vielleicht nicht ohne Ur¬<lb/> sache; denn sie wußten, daß er mit allen Einzelheiten seines Berufes ebenso<lb/> bekannt war, wie sie über die ersten Rudimente desselben unklar waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1536"> Als ich mein Gesuch wegen eines Passirscheins vorbrachte, lehnte er sehr<lb/> höflich, aber zugleich sehr fest ab, mir einen zu geben, indem er bemerkte, daß<lb/> mein Paß genügen müsse, und daß, wenn er mir einen Paß als Journalist<lb/> bewilligte, dieß das Anrecht der Korrespondenten auf eine Art halbamtliche<lb/> Stellung anerkennen hieße. Dazu sei er nicht ermächtigt. Ich zog darauf<lb/> ab, ziemlich unglücklich, daß ich meinen „Paß" nicht erlangt hatte, aber voll<lb/> Bewunderung über den durchdringenden Blick und die entschiedene, selbstbe¬<lb/> wußte Haltung des jungen Stabsofficiers. Es war durchaus kein französisches<lb/> Großthun an ihm, und ich erinnere mich, daß ich zu einem Freunde, der<lb/> viel mit mir unter den Deutschen gewesen war, die Bemerkung machte, „Rössel<lb/> gleicht mehr einem.von Moltkes Stabsosficieren als einem Franzosen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1537"> Das nächste Mal, wo ich Oberst Rössel sah, war bei einer Sitzung des<lb/> Kriegsgerichts, dessen Präsident er war. Eine der Anklagen, die gegen den<lb/> Kriegsdelegirten der Commune vorgebracht worden sind, bestand darin, daß<lb/> er diesem Kriegsgericht mit außergewöhnlicher Strenge präsidire habe. Ich<lb/> kann nur sagen, daß er mir in den Fällen, wo er Untersuchungen zu führen<lb/> hatte, mit großer Milde zu verfahren schien, und nur solche Leute zu Gefäng¬<lb/> nißstrafen verurtheilen ließ, welche in den Reihen der Truppen der Commune<lb/> Ehrenstellen und Sold gesucht und sich dann geweigert hatten, zur Bekämpfung<lb/> der Versailler Soldaten auszurücken. Ich glaube, Rössel verurtheilte einen<lb/> Mann zum Tode wegen Feigheit im Feuer, aber das Urtheil wurde am<lb/> nächsten Tage durch Decret der Commune abgeändert, was Rössel wahrschein¬<lb/> lich recht gut vorauswußte, als er die Sentenz fällte. („Wahrscheinlich"<lb/> eine recht lahme Vertheidigung den obigen Thatsachen gegenüber.)</p><lb/> <p xml:id="ID_1538" next="#ID_1539"> So viel über die „blutige Laufbahn", die ihm neulich ein amerikanisches<lb/> Blatt zuschrieb. Nach Cluserets Fall und Rössels Ernennung zu seinem<lb/> Nachfolger als Kriegsdelegat sah ich ihn wieder im Kriegsministerium, und<lb/> jetzt gab er mir sogleich einen Passirschein, indem er bemerkte, daß es ihm viel<lb/> Vergnügen mache, mir nützlich sein zu können, da ich ein halber Landsmann<lb/> von ihm sei. „Sie wissen," sagte er, „meine Mutter war eine Campbell, und<lb/> einer meiner Oheime dient in Ihrer indischen Armee." Dieß ermuthigte mich<lb/> zu der Bitte, ob er nicht meinen Paß auf die Polizeipräfeetur zur Unterzeich'<lb/> mung durch Raoul Rigault senden wolle, da ich mich fürchte, selbst dorthin<lb/> zu gehen. Rigault nämlich hatte die Schrulle, herumziehende Leute, die in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
und der einzige Mann von Ansehen, welcher einen einfachen Civilanzug trug,
war Rössel selbst, welcher damals als Generalstabschef für Cluseret fungirte.
Alle diese Officiere schienen vor ihm, dem jugendlichen Genieobersten, trotz
seiner bürgerlichen Kleidung Furcht zu haben, und vielleicht nicht ohne Ur¬
sache; denn sie wußten, daß er mit allen Einzelheiten seines Berufes ebenso
bekannt war, wie sie über die ersten Rudimente desselben unklar waren.
Als ich mein Gesuch wegen eines Passirscheins vorbrachte, lehnte er sehr
höflich, aber zugleich sehr fest ab, mir einen zu geben, indem er bemerkte, daß
mein Paß genügen müsse, und daß, wenn er mir einen Paß als Journalist
bewilligte, dieß das Anrecht der Korrespondenten auf eine Art halbamtliche
Stellung anerkennen hieße. Dazu sei er nicht ermächtigt. Ich zog darauf
ab, ziemlich unglücklich, daß ich meinen „Paß" nicht erlangt hatte, aber voll
Bewunderung über den durchdringenden Blick und die entschiedene, selbstbe¬
wußte Haltung des jungen Stabsofficiers. Es war durchaus kein französisches
Großthun an ihm, und ich erinnere mich, daß ich zu einem Freunde, der
viel mit mir unter den Deutschen gewesen war, die Bemerkung machte, „Rössel
gleicht mehr einem.von Moltkes Stabsosficieren als einem Franzosen."
Das nächste Mal, wo ich Oberst Rössel sah, war bei einer Sitzung des
Kriegsgerichts, dessen Präsident er war. Eine der Anklagen, die gegen den
Kriegsdelegirten der Commune vorgebracht worden sind, bestand darin, daß
er diesem Kriegsgericht mit außergewöhnlicher Strenge präsidire habe. Ich
kann nur sagen, daß er mir in den Fällen, wo er Untersuchungen zu führen
hatte, mit großer Milde zu verfahren schien, und nur solche Leute zu Gefäng¬
nißstrafen verurtheilen ließ, welche in den Reihen der Truppen der Commune
Ehrenstellen und Sold gesucht und sich dann geweigert hatten, zur Bekämpfung
der Versailler Soldaten auszurücken. Ich glaube, Rössel verurtheilte einen
Mann zum Tode wegen Feigheit im Feuer, aber das Urtheil wurde am
nächsten Tage durch Decret der Commune abgeändert, was Rössel wahrschein¬
lich recht gut vorauswußte, als er die Sentenz fällte. („Wahrscheinlich"
eine recht lahme Vertheidigung den obigen Thatsachen gegenüber.)
So viel über die „blutige Laufbahn", die ihm neulich ein amerikanisches
Blatt zuschrieb. Nach Cluserets Fall und Rössels Ernennung zu seinem
Nachfolger als Kriegsdelegat sah ich ihn wieder im Kriegsministerium, und
jetzt gab er mir sogleich einen Passirschein, indem er bemerkte, daß es ihm viel
Vergnügen mache, mir nützlich sein zu können, da ich ein halber Landsmann
von ihm sei. „Sie wissen," sagte er, „meine Mutter war eine Campbell, und
einer meiner Oheime dient in Ihrer indischen Armee." Dieß ermuthigte mich
zu der Bitte, ob er nicht meinen Paß auf die Polizeipräfeetur zur Unterzeich'
mung durch Raoul Rigault senden wolle, da ich mich fürchte, selbst dorthin
zu gehen. Rigault nämlich hatte die Schrulle, herumziehende Leute, die in
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |