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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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führer Graf Cholet als östreichischer Gesandter in Stuttgart den Mittelpunkt
aller "ntinationalen Intriguen bildete, in dessen Palais Ultramontane und
Großdeutsche ihre Parolen empfingen, wo Schaffte aus- und einging und die
ersten Fäden zu dem Netz gesponnen wurden, mit welchem dieser ehrgeizige
und unruhige Geist später im Bund mit den Franzosen das deutsche Reich
zu umgarnen gedachte. -- Aus naheliegenden Gründen kann die Initiative
in dieser Richtung sogar nur von der Ständekammer erwartet werden, welche
Wohl auch bald die Frage von der ferneren Ausübung der Münzhoheit vor
ihr Forum ziehen wird.

Aehnliche Fortschritte werden wir in nächster Zeit auch auf dem Gebiet
des'Post- und Telegraphenwesens zu verzeichnen haben. Man hatte sich seiner
Zeit in Versailles keine klare Vorstellung darüber gemacht, wie neben der
Einführung der Reglements und Tarife, -- und folgeweise des ganzen Rech¬
nungswesens des Reichs für den Verkehr außerhalb Landes, die Sonder¬
stellung für den inneren Verkehr forterhalten werden sollte. Die Folge hiervon
war, daß mit dem plötzlichen Import der umfangreichen und ganz abweichen¬
den Vorschriften der Neichspostverwaltung unter den Männern des Schalters,
welche bisher mehr durch praktische Routine als durch Studium von Para¬
graphen ihre Ausbildung erhalten hatten, eine solche Verwirrung einzureißen
begonnen hat, daß unsere gewiegtesten Verkehrsbeamten schon jetzt keinen an¬
dern Ausweg wissen, als durch die Berufung eine größeren Anzahl norddeut¬
scher Postbeamten die neuen Reglements und das neue Rechnungswesen in's
Leben einzuführen. Das Uebrige wird sich dann vollends von selbst ent¬
wickeln. -- In demselben Maße, als vie bisherige Sonderstellung Schwabens
aufhört, dringt denn auch die lebendige Theilnahme an den allgemeinen An¬
gelegenheiten des Staats^ immer tiefer in die Massen ein. Wir können schon
heute behaupten, daß es außer den Ultramontanen keine dem Reich feindliche
organisirte Partei mehr in Schwaben gibt. Die sogenannte schwäbische Bolks-
Partei hat thatsächlich zu eristiren aufgehört. Ihre Reste sind gänzlich in das
klerikale Lager übergegangen, namentlich ihr bisheriges Organ, der Stuttgar¬
ter Beobachter. Letzterer, welcher schon früher durch die krasse Unkenntniß
seines ostpreußischen Redacteurs in allen schwäbischen Dingen sich den Spott
der Eingeborenen zugezogen hatte, hat neuerdings, seit er im Bunde mit dem
"Volksboden" und dem "Vaterland", deren Ton er sich vollkommen angeeignet
hat. abwechslungsweise das Reich und seine Organe und die freisinnigen Ka¬
tholiken, überhaupt alles, was nicht ultramontan oder französisch ist, um die
Wette verunglimpft, so ziemlich allen Credit der frühern Zeit verloren. Die
Moralische Vernichtung jener pseudodemokratischen Partei selbst wurde schließ-
t'es noch durch den Sturz des Ministeriums Hohenwart-Schäffle besiegelt,
letzterer, welcher aus eigener Erfahrung mit allen Geheimnissen der Journa-


Grenzboten II. ,871. 119

führer Graf Cholet als östreichischer Gesandter in Stuttgart den Mittelpunkt
aller «ntinationalen Intriguen bildete, in dessen Palais Ultramontane und
Großdeutsche ihre Parolen empfingen, wo Schaffte aus- und einging und die
ersten Fäden zu dem Netz gesponnen wurden, mit welchem dieser ehrgeizige
und unruhige Geist später im Bund mit den Franzosen das deutsche Reich
zu umgarnen gedachte. — Aus naheliegenden Gründen kann die Initiative
in dieser Richtung sogar nur von der Ständekammer erwartet werden, welche
Wohl auch bald die Frage von der ferneren Ausübung der Münzhoheit vor
ihr Forum ziehen wird.

Aehnliche Fortschritte werden wir in nächster Zeit auch auf dem Gebiet
des'Post- und Telegraphenwesens zu verzeichnen haben. Man hatte sich seiner
Zeit in Versailles keine klare Vorstellung darüber gemacht, wie neben der
Einführung der Reglements und Tarife, — und folgeweise des ganzen Rech¬
nungswesens des Reichs für den Verkehr außerhalb Landes, die Sonder¬
stellung für den inneren Verkehr forterhalten werden sollte. Die Folge hiervon
war, daß mit dem plötzlichen Import der umfangreichen und ganz abweichen¬
den Vorschriften der Neichspostverwaltung unter den Männern des Schalters,
welche bisher mehr durch praktische Routine als durch Studium von Para¬
graphen ihre Ausbildung erhalten hatten, eine solche Verwirrung einzureißen
begonnen hat, daß unsere gewiegtesten Verkehrsbeamten schon jetzt keinen an¬
dern Ausweg wissen, als durch die Berufung eine größeren Anzahl norddeut¬
scher Postbeamten die neuen Reglements und das neue Rechnungswesen in's
Leben einzuführen. Das Uebrige wird sich dann vollends von selbst ent¬
wickeln. — In demselben Maße, als vie bisherige Sonderstellung Schwabens
aufhört, dringt denn auch die lebendige Theilnahme an den allgemeinen An¬
gelegenheiten des Staats^ immer tiefer in die Massen ein. Wir können schon
heute behaupten, daß es außer den Ultramontanen keine dem Reich feindliche
organisirte Partei mehr in Schwaben gibt. Die sogenannte schwäbische Bolks-
Partei hat thatsächlich zu eristiren aufgehört. Ihre Reste sind gänzlich in das
klerikale Lager übergegangen, namentlich ihr bisheriges Organ, der Stuttgar¬
ter Beobachter. Letzterer, welcher schon früher durch die krasse Unkenntniß
seines ostpreußischen Redacteurs in allen schwäbischen Dingen sich den Spott
der Eingeborenen zugezogen hatte, hat neuerdings, seit er im Bunde mit dem
»Volksboden" und dem „Vaterland", deren Ton er sich vollkommen angeeignet
hat. abwechslungsweise das Reich und seine Organe und die freisinnigen Ka¬
tholiken, überhaupt alles, was nicht ultramontan oder französisch ist, um die
Wette verunglimpft, so ziemlich allen Credit der frühern Zeit verloren. Die
Moralische Vernichtung jener pseudodemokratischen Partei selbst wurde schließ-
t'es noch durch den Sturz des Ministeriums Hohenwart-Schäffle besiegelt,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/393>, abgerufen am 06.02.2025.