Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Deputirten außerdeutscher Staaten geladen wurden. Wie richtig diese Erwä¬ Aus Rußland und Spanien, aus Holland und England waren Abge¬ Wir geleiten den Leser nun in den gefüllten Saal, wo die vorberathende Unter den Klerikalen, die erschienen waren, bemerkte man fast sämmtliche Deputirten außerdeutscher Staaten geladen wurden. Wie richtig diese Erwä¬ Aus Rußland und Spanien, aus Holland und England waren Abge¬ Wir geleiten den Leser nun in den gefüllten Saal, wo die vorberathende Unter den Klerikalen, die erschienen waren, bemerkte man fast sämmtliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192338"/> <p xml:id="ID_139" prev="#ID_138"> Deputirten außerdeutscher Staaten geladen wurden. Wie richtig diese Erwä¬<lb/> gung war, zeigte der Erfolg.</p><lb/> <p xml:id="ID_140"> Aus Rußland und Spanien, aus Holland und England waren Abge¬<lb/> sandte erschienen, die Kirche von Utrecht und die Griechen hatten ihre Ver¬<lb/> treter, Nicht wenige derselben bekleideten einen hohen Rang in der diplo¬<lb/> matischen oder gelehrten Welt, und auf manchen werden wir im Laufe der<lb/> Darstellung näher zurückkommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_141"> Wir geleiten den Leser nun in den gefüllten Saal, wo die vorberathende<lb/> Versammlung am 22. September begann. Manche fesselnde Gestalt begegnet un¬<lb/> sern Blicken, und doch waren diese nicht das wichtigste Element für den Erfolg.<lb/> Die Mehrzahl der Deputaten, die man fast auf 500 schätzt, kam vielmehr aus<lb/> dem Bürgerstande; es waren Menschen, die ohne kritischen Scharfsinn, aber<lb/> mit dem Vollgewicht einer ehrlichen Ueberzeugung Hand an die Sache legten.<lb/> Sie vertraten das Volk; ihre Betheiligung ist von unendlichem Einfluß auf<lb/> die Zukunft der ganzen Bewegung.</p><lb/> <p xml:id="ID_142" next="#ID_143"> Unter den Klerikalen, die erschienen waren, bemerkte man fast sämmtliche<lb/> Namen, die während der jüngsten Monate berühmt geworden sind. Wir<lb/> erinnern an Dr. Woltmann, den Religionslehrer aus Braunsberg, an Ka-<lb/> minsky aus Kattowitz. an Dr. Tangermann aus Unckel, auch Pfarrer Renftle,<lb/> der dem bayrischen Kirchenrecht so manche Schwierigkeit bereitet, sie alle waren<lb/> anwesend. Indessen dominirte dieses Element keineswegs, wie etwa zu befürchten<lb/> stand, sondern die ganze active Leitung der Debatte lag in der Hand von<lb/> Männern, welche zu den ersten Namen in Deutschland zählen. — Wie Sie<lb/> aus den Tagesblättern wissen, war das Präsidium an Professor Dr. von<lb/> Schulte (den berühmten Kanonisten) übertragen; zu seinen Stellvertretern<lb/> wurde Windscheid aus Heidelberg und Nationalrath Keller aus der Schweiz<lb/> ernannt. Tiefer Ernst lag auf Aller Zügen, als der Vorstand die Versamm¬<lb/> lung eröffnete, denn in allen Herzen lebte das Gefühl, daß man an eine<lb/> Sache griff, die seit Jahrhunderten keine Hand zu berühren wagte. Niemand<lb/> wußte, wie weit die Gewalt des Augenblicks den Einzelnen treiben würde,<lb/> und dennoch wußte jeder, daß der Maßstab dieser Stunde von ungeheurer<lb/> Tragweite für alle Zukunft war. Die Grundlage der Verhandlungen bil¬<lb/> dete ein Programm, welches wenige Tage vorher von den bedeutendsten Mit¬<lb/> gliedern der Versammlung vereinbart worden war. Nach dem Abschluß der<lb/> Redaction wurde dasselbe dem greisen Lehrer Herrn Stiftsprobst Döllinger<lb/> vorgelegt und dieser AugenblickZwird allen denen unvergeßlich bleiben, welche Zeu¬<lb/> gen desselben waren. Döllinger lebte nämlich in der ständigen Sorge, es<lb/> möchte der Eifer der Reform zu weit reichen, er empfand einen entschiedenen<lb/> Zweifel gegen die Selbstbeherrschung der Versammlung. Und obwohl Nie¬<lb/> mand schroffer von der Kirche verstoßen worden ist, so hängt doch von allen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
Deputirten außerdeutscher Staaten geladen wurden. Wie richtig diese Erwä¬
gung war, zeigte der Erfolg.
Aus Rußland und Spanien, aus Holland und England waren Abge¬
sandte erschienen, die Kirche von Utrecht und die Griechen hatten ihre Ver¬
treter, Nicht wenige derselben bekleideten einen hohen Rang in der diplo¬
matischen oder gelehrten Welt, und auf manchen werden wir im Laufe der
Darstellung näher zurückkommen.
Wir geleiten den Leser nun in den gefüllten Saal, wo die vorberathende
Versammlung am 22. September begann. Manche fesselnde Gestalt begegnet un¬
sern Blicken, und doch waren diese nicht das wichtigste Element für den Erfolg.
Die Mehrzahl der Deputaten, die man fast auf 500 schätzt, kam vielmehr aus
dem Bürgerstande; es waren Menschen, die ohne kritischen Scharfsinn, aber
mit dem Vollgewicht einer ehrlichen Ueberzeugung Hand an die Sache legten.
Sie vertraten das Volk; ihre Betheiligung ist von unendlichem Einfluß auf
die Zukunft der ganzen Bewegung.
Unter den Klerikalen, die erschienen waren, bemerkte man fast sämmtliche
Namen, die während der jüngsten Monate berühmt geworden sind. Wir
erinnern an Dr. Woltmann, den Religionslehrer aus Braunsberg, an Ka-
minsky aus Kattowitz. an Dr. Tangermann aus Unckel, auch Pfarrer Renftle,
der dem bayrischen Kirchenrecht so manche Schwierigkeit bereitet, sie alle waren
anwesend. Indessen dominirte dieses Element keineswegs, wie etwa zu befürchten
stand, sondern die ganze active Leitung der Debatte lag in der Hand von
Männern, welche zu den ersten Namen in Deutschland zählen. — Wie Sie
aus den Tagesblättern wissen, war das Präsidium an Professor Dr. von
Schulte (den berühmten Kanonisten) übertragen; zu seinen Stellvertretern
wurde Windscheid aus Heidelberg und Nationalrath Keller aus der Schweiz
ernannt. Tiefer Ernst lag auf Aller Zügen, als der Vorstand die Versamm¬
lung eröffnete, denn in allen Herzen lebte das Gefühl, daß man an eine
Sache griff, die seit Jahrhunderten keine Hand zu berühren wagte. Niemand
wußte, wie weit die Gewalt des Augenblicks den Einzelnen treiben würde,
und dennoch wußte jeder, daß der Maßstab dieser Stunde von ungeheurer
Tragweite für alle Zukunft war. Die Grundlage der Verhandlungen bil¬
dete ein Programm, welches wenige Tage vorher von den bedeutendsten Mit¬
gliedern der Versammlung vereinbart worden war. Nach dem Abschluß der
Redaction wurde dasselbe dem greisen Lehrer Herrn Stiftsprobst Döllinger
vorgelegt und dieser AugenblickZwird allen denen unvergeßlich bleiben, welche Zeu¬
gen desselben waren. Döllinger lebte nämlich in der ständigen Sorge, es
möchte der Eifer der Reform zu weit reichen, er empfand einen entschiedenen
Zweifel gegen die Selbstbeherrschung der Versammlung. Und obwohl Nie¬
mand schroffer von der Kirche verstoßen worden ist, so hängt doch von allen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |