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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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über das Archivwesen dieser früheren Zeit zusammen. Die eigentliche Stif¬
tung des geheimen Haus-, Hof- und Staatsarchivs fällt aber erst in die Zeit
der Maria Theresia; die äußere, und wenn man so sagen darf, auch die innere
Geschichte dieses Archivs hat Wolf von 1749 bis 1869 verfolgt, die wichtigsten
Erwerbungen von älteren Documenten verzeichnet. Daneben berichtet er
ebenso auch über die Sammlungen von Documenten im Finanzministerium,
im Ministerium des Innern, des Krieges, der Justiz und des Cultus; merk¬
würdige Schicksale haben einzelne Theile dieser Sammlungen erlebt. Wieder¬
holt hat man den Plan gehabt einer Vereinigung der einzelnen zu einem
großen Centralarchiv: große Vortheile würde dies haben, aber gerade die
eigenthümliche Gestaltung der Monarchie in neuester Zeit hat der Verwirk¬
lichung eines solchen Gedankens fast unübersteigliche Hindernisse in den Weg
gestellt. Aeußerst erwünscht ist, daß man hier wenigstens im Großen orien-
tirt werden kann, wo in Wien bestimmte Dinge gesucht werden müssen: auch
weitere Kreise werden mit Interesse in den Mechanismus solcher Institute
einen Einblick erhalten.

Die Erkenntniß, daß Archive nicht allein Sammelpunkte für die Acten
der Staatsregierung und Staatsverwaltung seien, daß sie vielmehr auch als
literarische Institute betrachtet und demzufolge als solche behandelt werden
müssen, diese Einsicht ist auch schon früher in Wien vorhanden gewesen;
nichtsdestoweniger hat man sich schwer entschlossen, in der Praxis darnach zu
handeln. Wenn früher, so schildert Wolf dies Verfahren, ein Privatgelehrter
das Ansuchen stellte, eine gewisse Partie im Archive benutzen zu dürfen, so
wurde das Gesuch der Archivdirection zur Begutachtung übergeben. Diese
suchte zunächst Herz und Nieren des Petenten zu erforschen und wenn sie nichts
Bedenkliches fand, so rieth sie, das Gesuch zu genehmigen. Es war dann
Aufgabe eines Archivbeamten, die betreffende Actenpartie zu durchforschen und
das etwa bedenklich Erscheinende zu entfernen und zwar in solcher Weise, daß
derjenige, der die Acten benutzte, nichts davon merkte. Der einzelne, sehr oft,
ja meistens in der ungenügendsten Weise vorgebildete Archivbeamte hatte die
Verantwortlichkeit; er hatte in letzter Instanz über die Details entschieden;
ein Versehen konnte nicht wieder gut gemacht werden: was Wunder, daß bei
solcher Praxis die einzelnen Unterbeamten wie Drachen über ihren Archiva¬
ren saßen? -- Ist das heute wirklich überall besser geworden? In Wien
seit Arneth's Leitung allerdings, anderwärts ist nur an einigen Stellen eine
gründliche principielle Reform durchgedrungen. In Wien hat jetzt einer der
sachkundigsten, einsichtigsten und unbefangensten Forscher, eben Arneth, die
Entscheidung in eigener Instanz über die Gewährungen des Archives zu
Zwecken wissenschaftlicher Forschung. Man kann sagen, in diesem Punkte
haben wohl alle Archive Europas, fast ohne Ausnahme, an Wien sich ein


über das Archivwesen dieser früheren Zeit zusammen. Die eigentliche Stif¬
tung des geheimen Haus-, Hof- und Staatsarchivs fällt aber erst in die Zeit
der Maria Theresia; die äußere, und wenn man so sagen darf, auch die innere
Geschichte dieses Archivs hat Wolf von 1749 bis 1869 verfolgt, die wichtigsten
Erwerbungen von älteren Documenten verzeichnet. Daneben berichtet er
ebenso auch über die Sammlungen von Documenten im Finanzministerium,
im Ministerium des Innern, des Krieges, der Justiz und des Cultus; merk¬
würdige Schicksale haben einzelne Theile dieser Sammlungen erlebt. Wieder¬
holt hat man den Plan gehabt einer Vereinigung der einzelnen zu einem
großen Centralarchiv: große Vortheile würde dies haben, aber gerade die
eigenthümliche Gestaltung der Monarchie in neuester Zeit hat der Verwirk¬
lichung eines solchen Gedankens fast unübersteigliche Hindernisse in den Weg
gestellt. Aeußerst erwünscht ist, daß man hier wenigstens im Großen orien-
tirt werden kann, wo in Wien bestimmte Dinge gesucht werden müssen: auch
weitere Kreise werden mit Interesse in den Mechanismus solcher Institute
einen Einblick erhalten.

Die Erkenntniß, daß Archive nicht allein Sammelpunkte für die Acten
der Staatsregierung und Staatsverwaltung seien, daß sie vielmehr auch als
literarische Institute betrachtet und demzufolge als solche behandelt werden
müssen, diese Einsicht ist auch schon früher in Wien vorhanden gewesen;
nichtsdestoweniger hat man sich schwer entschlossen, in der Praxis darnach zu
handeln. Wenn früher, so schildert Wolf dies Verfahren, ein Privatgelehrter
das Ansuchen stellte, eine gewisse Partie im Archive benutzen zu dürfen, so
wurde das Gesuch der Archivdirection zur Begutachtung übergeben. Diese
suchte zunächst Herz und Nieren des Petenten zu erforschen und wenn sie nichts
Bedenkliches fand, so rieth sie, das Gesuch zu genehmigen. Es war dann
Aufgabe eines Archivbeamten, die betreffende Actenpartie zu durchforschen und
das etwa bedenklich Erscheinende zu entfernen und zwar in solcher Weise, daß
derjenige, der die Acten benutzte, nichts davon merkte. Der einzelne, sehr oft,
ja meistens in der ungenügendsten Weise vorgebildete Archivbeamte hatte die
Verantwortlichkeit; er hatte in letzter Instanz über die Details entschieden;
ein Versehen konnte nicht wieder gut gemacht werden: was Wunder, daß bei
solcher Praxis die einzelnen Unterbeamten wie Drachen über ihren Archiva¬
ren saßen? — Ist das heute wirklich überall besser geworden? In Wien
seit Arneth's Leitung allerdings, anderwärts ist nur an einigen Stellen eine
gründliche principielle Reform durchgedrungen. In Wien hat jetzt einer der
sachkundigsten, einsichtigsten und unbefangensten Forscher, eben Arneth, die
Entscheidung in eigener Instanz über die Gewährungen des Archives zu
Zwecken wissenschaftlicher Forschung. Man kann sagen, in diesem Punkte
haben wohl alle Archive Europas, fast ohne Ausnahme, an Wien sich ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/370>, abgerufen am 05.02.2025.