Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nur um wenige Procente variirt, ist ärmer geworden, denn sein Capital hat
sich nicht oder wenig vermehrt, der Zinssatz ist schon herabgesetzt oder wird
sicher herabgesetzt werden. Derjenige dagegen, welcher schwere Eisenbahnen
oder gute Banken gehabt hat, hat durch die Steigerung den Verlust, welchen
ihm die Verminderung des Geldwertes zufügt, überreichlich gedeckt. Wenn
man aber nach links und rechts weiter geht, so stehen links die großen Ge¬
winner, rechts alle Diejenigen, welche außer Stande sind, irgend etwas für
die Verbesserung ihrer Lage zu thun und auf welche also der Umschwung als
eine furchtbare Last drückt. Es wiederholt sich das Gesetz, daß die Reichen
immer reicher, die Armen immer ärmer werden. Bei der letzten Einschätzung
ist in Berlin nur ein Mann gewesen, der mehr als 240,000 Thaler Einkünfte
hatte, jetzt man deren fünf gefunden. Das ist der Zuwachs eines Jahres.
Jede der neuen Banken und industriellen Gesellschaften wirft nicht nur Allen,
die bei der Gründung betheiligt find, enorme Gewinne ab, sondern sie schafft
ein halb Dutzend oder ein Dutzend lucrative Stellungen, allerdings Be¬
amtenstellungen, über welchen der sichtbare Verwaltungsrath und die unsicht¬
bare Actiengesellschaft, das heißt das Capital waltet. Je größer der Vor¬
sprung der Actiengesellschaft ist (und es ist aller Grund anzunehmen, daß die
Vortheile dieser Form wirklich so groß sind, daß sie allmälig die Privatunter¬
nehmungen fast ganz verdrängen wird), um so mehr wird sich das Capital
ihnen zuwenden, ohne daß jemals der Capitalist dem Unternehmen näher
treten kann, wenn er auch einmal aufhören sollte, gänzlich ein Spielball in
den Händen der Administratoren zu sein. Wie der Geist über dem Wasser,
schwebt das Capital über den Actiengesellschaften, aber der Besitzer des Capitals
ist so wenig an die Scholle gebunden, daß er damit auch seine Persönlichkeit
verloren hat. Er ist Speculant oder Rentier und nur, wenn einmal eine
Katastrophe kommt, rafft er sich wohl auf und sieht, daß diese Art der Frei¬
heit doch ihre Schattenseiten hat.

Und nun das Merkwürdigste! Wird ein industrielles Unternehmen in
eine Actiengesellschaft umgewandelt, so tritt an die Stelle der Privatspeculation
und der freien Arbeit des Unternehmers die besoldete Amtsarbeit.
Das soll ja der Vortheil dieser Art der Geschäftsführung sein', daß sie er¬
haben ist über die kleinen Leiden und Freuden des Privatmanns, der seine
Haut zu Markte trägt, daß Alles seinen ruhigen Gang geht, ohne die dumme
Unruhe eines pickenden und pochenden Menschenherzens. Auf diese Weise hat
-bis zu einem gewissen Punkte der Jud ustrial ismus, auf der Spitze seiner
Entwickelung angelangt, die Forderung des Socialismus erfüllt: er hat
den Beamten an die Stelle des Unternehmers gesetzt und die Conse-
quenz ist nicht zu unterschätzen.

Es ist unweise, das Auge von diesen Erscheinungen abwenden zu wollen-


nur um wenige Procente variirt, ist ärmer geworden, denn sein Capital hat
sich nicht oder wenig vermehrt, der Zinssatz ist schon herabgesetzt oder wird
sicher herabgesetzt werden. Derjenige dagegen, welcher schwere Eisenbahnen
oder gute Banken gehabt hat, hat durch die Steigerung den Verlust, welchen
ihm die Verminderung des Geldwertes zufügt, überreichlich gedeckt. Wenn
man aber nach links und rechts weiter geht, so stehen links die großen Ge¬
winner, rechts alle Diejenigen, welche außer Stande sind, irgend etwas für
die Verbesserung ihrer Lage zu thun und auf welche also der Umschwung als
eine furchtbare Last drückt. Es wiederholt sich das Gesetz, daß die Reichen
immer reicher, die Armen immer ärmer werden. Bei der letzten Einschätzung
ist in Berlin nur ein Mann gewesen, der mehr als 240,000 Thaler Einkünfte
hatte, jetzt man deren fünf gefunden. Das ist der Zuwachs eines Jahres.
Jede der neuen Banken und industriellen Gesellschaften wirft nicht nur Allen,
die bei der Gründung betheiligt find, enorme Gewinne ab, sondern sie schafft
ein halb Dutzend oder ein Dutzend lucrative Stellungen, allerdings Be¬
amtenstellungen, über welchen der sichtbare Verwaltungsrath und die unsicht¬
bare Actiengesellschaft, das heißt das Capital waltet. Je größer der Vor¬
sprung der Actiengesellschaft ist (und es ist aller Grund anzunehmen, daß die
Vortheile dieser Form wirklich so groß sind, daß sie allmälig die Privatunter¬
nehmungen fast ganz verdrängen wird), um so mehr wird sich das Capital
ihnen zuwenden, ohne daß jemals der Capitalist dem Unternehmen näher
treten kann, wenn er auch einmal aufhören sollte, gänzlich ein Spielball in
den Händen der Administratoren zu sein. Wie der Geist über dem Wasser,
schwebt das Capital über den Actiengesellschaften, aber der Besitzer des Capitals
ist so wenig an die Scholle gebunden, daß er damit auch seine Persönlichkeit
verloren hat. Er ist Speculant oder Rentier und nur, wenn einmal eine
Katastrophe kommt, rafft er sich wohl auf und sieht, daß diese Art der Frei¬
heit doch ihre Schattenseiten hat.

Und nun das Merkwürdigste! Wird ein industrielles Unternehmen in
eine Actiengesellschaft umgewandelt, so tritt an die Stelle der Privatspeculation
und der freien Arbeit des Unternehmers die besoldete Amtsarbeit.
Das soll ja der Vortheil dieser Art der Geschäftsführung sein', daß sie er¬
haben ist über die kleinen Leiden und Freuden des Privatmanns, der seine
Haut zu Markte trägt, daß Alles seinen ruhigen Gang geht, ohne die dumme
Unruhe eines pickenden und pochenden Menschenherzens. Auf diese Weise hat
-bis zu einem gewissen Punkte der Jud ustrial ismus, auf der Spitze seiner
Entwickelung angelangt, die Forderung des Socialismus erfüllt: er hat
den Beamten an die Stelle des Unternehmers gesetzt und die Conse-
quenz ist nicht zu unterschätzen.

Es ist unweise, das Auge von diesen Erscheinungen abwenden zu wollen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192667"/>
          <p xml:id="ID_1349" prev="#ID_1348"> nur um wenige Procente variirt, ist ärmer geworden, denn sein Capital hat<lb/>
sich nicht oder wenig vermehrt, der Zinssatz ist schon herabgesetzt oder wird<lb/>
sicher herabgesetzt werden. Derjenige dagegen, welcher schwere Eisenbahnen<lb/>
oder gute Banken gehabt hat, hat durch die Steigerung den Verlust, welchen<lb/>
ihm die Verminderung des Geldwertes zufügt, überreichlich gedeckt. Wenn<lb/>
man aber nach links und rechts weiter geht, so stehen links die großen Ge¬<lb/>
winner, rechts alle Diejenigen, welche außer Stande sind, irgend etwas für<lb/>
die Verbesserung ihrer Lage zu thun und auf welche also der Umschwung als<lb/>
eine furchtbare Last drückt. Es wiederholt sich das Gesetz, daß die Reichen<lb/>
immer reicher, die Armen immer ärmer werden. Bei der letzten Einschätzung<lb/>
ist in Berlin nur ein Mann gewesen, der mehr als 240,000 Thaler Einkünfte<lb/>
hatte, jetzt man deren fünf gefunden. Das ist der Zuwachs eines Jahres.<lb/>
Jede der neuen Banken und industriellen Gesellschaften wirft nicht nur Allen,<lb/>
die bei der Gründung betheiligt find, enorme Gewinne ab, sondern sie schafft<lb/>
ein halb Dutzend oder ein Dutzend lucrative Stellungen, allerdings Be¬<lb/>
amtenstellungen, über welchen der sichtbare Verwaltungsrath und die unsicht¬<lb/>
bare Actiengesellschaft, das heißt das Capital waltet. Je größer der Vor¬<lb/>
sprung der Actiengesellschaft ist (und es ist aller Grund anzunehmen, daß die<lb/>
Vortheile dieser Form wirklich so groß sind, daß sie allmälig die Privatunter¬<lb/>
nehmungen fast ganz verdrängen wird), um so mehr wird sich das Capital<lb/>
ihnen zuwenden, ohne daß jemals der Capitalist dem Unternehmen näher<lb/>
treten kann, wenn er auch einmal aufhören sollte, gänzlich ein Spielball in<lb/>
den Händen der Administratoren zu sein. Wie der Geist über dem Wasser,<lb/>
schwebt das Capital über den Actiengesellschaften, aber der Besitzer des Capitals<lb/>
ist so wenig an die Scholle gebunden, daß er damit auch seine Persönlichkeit<lb/>
verloren hat. Er ist Speculant oder Rentier und nur, wenn einmal eine<lb/>
Katastrophe kommt, rafft er sich wohl auf und sieht, daß diese Art der Frei¬<lb/>
heit doch ihre Schattenseiten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1350"> Und nun das Merkwürdigste! Wird ein industrielles Unternehmen in<lb/>
eine Actiengesellschaft umgewandelt, so tritt an die Stelle der Privatspeculation<lb/>
und der freien Arbeit des Unternehmers die besoldete Amtsarbeit.<lb/>
Das soll ja der Vortheil dieser Art der Geschäftsführung sein', daß sie er¬<lb/>
haben ist über die kleinen Leiden und Freuden des Privatmanns, der seine<lb/>
Haut zu Markte trägt, daß Alles seinen ruhigen Gang geht, ohne die dumme<lb/>
Unruhe eines pickenden und pochenden Menschenherzens. Auf diese Weise hat<lb/>
-bis zu einem gewissen Punkte der Jud ustrial ismus, auf der Spitze seiner<lb/>
Entwickelung angelangt, die Forderung des Socialismus erfüllt: er hat<lb/>
den Beamten an die Stelle des Unternehmers gesetzt und die Conse-<lb/>
quenz ist nicht zu unterschätzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1351" next="#ID_1352"> Es ist unweise, das Auge von diesen Erscheinungen abwenden zu wollen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0366] nur um wenige Procente variirt, ist ärmer geworden, denn sein Capital hat sich nicht oder wenig vermehrt, der Zinssatz ist schon herabgesetzt oder wird sicher herabgesetzt werden. Derjenige dagegen, welcher schwere Eisenbahnen oder gute Banken gehabt hat, hat durch die Steigerung den Verlust, welchen ihm die Verminderung des Geldwertes zufügt, überreichlich gedeckt. Wenn man aber nach links und rechts weiter geht, so stehen links die großen Ge¬ winner, rechts alle Diejenigen, welche außer Stande sind, irgend etwas für die Verbesserung ihrer Lage zu thun und auf welche also der Umschwung als eine furchtbare Last drückt. Es wiederholt sich das Gesetz, daß die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden. Bei der letzten Einschätzung ist in Berlin nur ein Mann gewesen, der mehr als 240,000 Thaler Einkünfte hatte, jetzt man deren fünf gefunden. Das ist der Zuwachs eines Jahres. Jede der neuen Banken und industriellen Gesellschaften wirft nicht nur Allen, die bei der Gründung betheiligt find, enorme Gewinne ab, sondern sie schafft ein halb Dutzend oder ein Dutzend lucrative Stellungen, allerdings Be¬ amtenstellungen, über welchen der sichtbare Verwaltungsrath und die unsicht¬ bare Actiengesellschaft, das heißt das Capital waltet. Je größer der Vor¬ sprung der Actiengesellschaft ist (und es ist aller Grund anzunehmen, daß die Vortheile dieser Form wirklich so groß sind, daß sie allmälig die Privatunter¬ nehmungen fast ganz verdrängen wird), um so mehr wird sich das Capital ihnen zuwenden, ohne daß jemals der Capitalist dem Unternehmen näher treten kann, wenn er auch einmal aufhören sollte, gänzlich ein Spielball in den Händen der Administratoren zu sein. Wie der Geist über dem Wasser, schwebt das Capital über den Actiengesellschaften, aber der Besitzer des Capitals ist so wenig an die Scholle gebunden, daß er damit auch seine Persönlichkeit verloren hat. Er ist Speculant oder Rentier und nur, wenn einmal eine Katastrophe kommt, rafft er sich wohl auf und sieht, daß diese Art der Frei¬ heit doch ihre Schattenseiten hat. Und nun das Merkwürdigste! Wird ein industrielles Unternehmen in eine Actiengesellschaft umgewandelt, so tritt an die Stelle der Privatspeculation und der freien Arbeit des Unternehmers die besoldete Amtsarbeit. Das soll ja der Vortheil dieser Art der Geschäftsführung sein', daß sie er¬ haben ist über die kleinen Leiden und Freuden des Privatmanns, der seine Haut zu Markte trägt, daß Alles seinen ruhigen Gang geht, ohne die dumme Unruhe eines pickenden und pochenden Menschenherzens. Auf diese Weise hat -bis zu einem gewissen Punkte der Jud ustrial ismus, auf der Spitze seiner Entwickelung angelangt, die Forderung des Socialismus erfüllt: er hat den Beamten an die Stelle des Unternehmers gesetzt und die Conse- quenz ist nicht zu unterschätzen. Es ist unweise, das Auge von diesen Erscheinungen abwenden zu wollen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/366
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/366>, abgerufen am 05.02.2025.