Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Berathung, die noch nicht zum Ende gelangt ist, sowie über andere par¬
lamentarische Vorgänge der beiden letzten Wochen unserem nächsten Brief
V --r. aufsparen.




Jerüner Iriefe.

Die wundervolle Auswahl Schiller'scher Verse auf den Trophäen,
welche den Festplatz zierten und deren Autor sich immer noch in ein beschei¬
denes Dunkel hüllt (-- es gehen über seine Persönlichkeit zwei Versionen um:
nach der einen hat der Magistrat dem Maler, welcher die Trophäen anzu¬
fertigen hatte, auch die Wahl der Verse überlassen und dieser College Stübbe's
hat sich seiner Aufgabe mit soviel Humor unterzogen; nach der zweiten Mission
ist ein Stadtrath mit der Auswahl betraut gewesen und hat im Drange der
Amtsgeschäfte diese Last auf die Schultern eines befreundeten jungen Theo¬
logen abgewälzt), hat ein Gedicht nicht berührt, welches gerade jetzt recht
zeitgemäß ist: die Theilung der Erde.


.Fehmet hin die Welt"

so ließen sich seit einigen Monaten die Weltkinder gesagt sein und sie gehen
so eifrig ans Werk, daß, wenn der Nachzügler kommen wird, es auch für ihn
heißen wird:


"Die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein."

Merkwürdiger Weise scheint man auf diese Folge der gegenwärtigen großen
financiellen Bewegung bisher kaum geachtet zu haben. Nationalökonomen
und Finanzmänner, ja selbst ein Philosoph (Herr v. Hartmann, der Ver¬
fasser der Philosophie des Unbewußten) haben ihre Stimme erhoben und
haben das Nothwendige und Gesunde in dieser Periode, welche dem oberfläch¬
lichen Blick bloß schwindelhaft zu sein scheint, nachgewiesen. Aber sie über¬
sahen eines. Die Börse handelt genau nach denselben Gesetzen, nach welchen
der Staat handelt, indem er die Gehälter der Beamten erhöht, nach dem¬
selben Gesetz, nach welchem der Socialist sinket, um den Arbeitslohn zu er¬
höhen. Das Geld ist im Werthe gesunken und wird noch mehr sinken.
Diesen Verlust gilt es auszugleichen und jedes Bestreben danach ist vollkom¬
men gerechtfertigt; die Operation, im Ganzen betrachtet, ist wohl zweckmäßig,
aber sie führt einen großen, vielleicht unvermeidlichen Uebelstand mit sich.
Auf der einen Seite stehen nämlich Diejenigen, welche aus dem Proceß mehr
oder weniger große, zum Theil ungeheure Gewinne ziehen, auf der andern
stehen Diejenigen, welche geringen oder gar keinen Gewinn zogen. Schon
jeder solide Besitzer eines preußischen oder sächsischen Staatspapieres, welches


Berathung, die noch nicht zum Ende gelangt ist, sowie über andere par¬
lamentarische Vorgänge der beiden letzten Wochen unserem nächsten Brief
V —r. aufsparen.




Jerüner Iriefe.

Die wundervolle Auswahl Schiller'scher Verse auf den Trophäen,
welche den Festplatz zierten und deren Autor sich immer noch in ein beschei¬
denes Dunkel hüllt (— es gehen über seine Persönlichkeit zwei Versionen um:
nach der einen hat der Magistrat dem Maler, welcher die Trophäen anzu¬
fertigen hatte, auch die Wahl der Verse überlassen und dieser College Stübbe's
hat sich seiner Aufgabe mit soviel Humor unterzogen; nach der zweiten Mission
ist ein Stadtrath mit der Auswahl betraut gewesen und hat im Drange der
Amtsgeschäfte diese Last auf die Schultern eines befreundeten jungen Theo¬
logen abgewälzt), hat ein Gedicht nicht berührt, welches gerade jetzt recht
zeitgemäß ist: die Theilung der Erde.


.Fehmet hin die Welt"

so ließen sich seit einigen Monaten die Weltkinder gesagt sein und sie gehen
so eifrig ans Werk, daß, wenn der Nachzügler kommen wird, es auch für ihn
heißen wird:


„Die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein."

Merkwürdiger Weise scheint man auf diese Folge der gegenwärtigen großen
financiellen Bewegung bisher kaum geachtet zu haben. Nationalökonomen
und Finanzmänner, ja selbst ein Philosoph (Herr v. Hartmann, der Ver¬
fasser der Philosophie des Unbewußten) haben ihre Stimme erhoben und
haben das Nothwendige und Gesunde in dieser Periode, welche dem oberfläch¬
lichen Blick bloß schwindelhaft zu sein scheint, nachgewiesen. Aber sie über¬
sahen eines. Die Börse handelt genau nach denselben Gesetzen, nach welchen
der Staat handelt, indem er die Gehälter der Beamten erhöht, nach dem¬
selben Gesetz, nach welchem der Socialist sinket, um den Arbeitslohn zu er¬
höhen. Das Geld ist im Werthe gesunken und wird noch mehr sinken.
Diesen Verlust gilt es auszugleichen und jedes Bestreben danach ist vollkom¬
men gerechtfertigt; die Operation, im Ganzen betrachtet, ist wohl zweckmäßig,
aber sie führt einen großen, vielleicht unvermeidlichen Uebelstand mit sich.
Auf der einen Seite stehen nämlich Diejenigen, welche aus dem Proceß mehr
oder weniger große, zum Theil ungeheure Gewinne ziehen, auf der andern
stehen Diejenigen, welche geringen oder gar keinen Gewinn zogen. Schon
jeder solide Besitzer eines preußischen oder sächsischen Staatspapieres, welches


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192666"/>
          <p xml:id="ID_1345" prev="#ID_1344"> Berathung, die noch nicht zum Ende gelangt ist, sowie über andere par¬<lb/>
lamentarische Vorgänge der beiden letzten Wochen unserem nächsten Brief<lb/><note type="byline"> V &#x2014;r.</note> aufsparen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Jerüner Iriefe.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1346"> Die wundervolle Auswahl Schiller'scher Verse auf den Trophäen,<lb/>
welche den Festplatz zierten und deren Autor sich immer noch in ein beschei¬<lb/>
denes Dunkel hüllt (&#x2014; es gehen über seine Persönlichkeit zwei Versionen um:<lb/>
nach der einen hat der Magistrat dem Maler, welcher die Trophäen anzu¬<lb/>
fertigen hatte, auch die Wahl der Verse überlassen und dieser College Stübbe's<lb/>
hat sich seiner Aufgabe mit soviel Humor unterzogen; nach der zweiten Mission<lb/>
ist ein Stadtrath mit der Auswahl betraut gewesen und hat im Drange der<lb/>
Amtsgeschäfte diese Last auf die Schultern eines befreundeten jungen Theo¬<lb/>
logen abgewälzt), hat ein Gedicht nicht berührt, welches gerade jetzt recht<lb/>
zeitgemäß ist: die Theilung der Erde.</p><lb/>
          <quote> .Fehmet hin die Welt"</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1347"> so ließen sich seit einigen Monaten die Weltkinder gesagt sein und sie gehen<lb/>
so eifrig ans Werk, daß, wenn der Nachzügler kommen wird, es auch für ihn<lb/>
heißen wird:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Die Welt ist weggegeben,<lb/>
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1348" next="#ID_1349"> Merkwürdiger Weise scheint man auf diese Folge der gegenwärtigen großen<lb/>
financiellen Bewegung bisher kaum geachtet zu haben. Nationalökonomen<lb/>
und Finanzmänner, ja selbst ein Philosoph (Herr v. Hartmann, der Ver¬<lb/>
fasser der Philosophie des Unbewußten) haben ihre Stimme erhoben und<lb/>
haben das Nothwendige und Gesunde in dieser Periode, welche dem oberfläch¬<lb/>
lichen Blick bloß schwindelhaft zu sein scheint, nachgewiesen. Aber sie über¬<lb/>
sahen eines. Die Börse handelt genau nach denselben Gesetzen, nach welchen<lb/>
der Staat handelt, indem er die Gehälter der Beamten erhöht, nach dem¬<lb/>
selben Gesetz, nach welchem der Socialist sinket, um den Arbeitslohn zu er¬<lb/>
höhen. Das Geld ist im Werthe gesunken und wird noch mehr sinken.<lb/>
Diesen Verlust gilt es auszugleichen und jedes Bestreben danach ist vollkom¬<lb/>
men gerechtfertigt; die Operation, im Ganzen betrachtet, ist wohl zweckmäßig,<lb/>
aber sie führt einen großen, vielleicht unvermeidlichen Uebelstand mit sich.<lb/>
Auf der einen Seite stehen nämlich Diejenigen, welche aus dem Proceß mehr<lb/>
oder weniger große, zum Theil ungeheure Gewinne ziehen, auf der andern<lb/>
stehen Diejenigen, welche geringen oder gar keinen Gewinn zogen. Schon<lb/>
jeder solide Besitzer eines preußischen oder sächsischen Staatspapieres, welches</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] Berathung, die noch nicht zum Ende gelangt ist, sowie über andere par¬ lamentarische Vorgänge der beiden letzten Wochen unserem nächsten Brief V —r. aufsparen. Jerüner Iriefe. Die wundervolle Auswahl Schiller'scher Verse auf den Trophäen, welche den Festplatz zierten und deren Autor sich immer noch in ein beschei¬ denes Dunkel hüllt (— es gehen über seine Persönlichkeit zwei Versionen um: nach der einen hat der Magistrat dem Maler, welcher die Trophäen anzu¬ fertigen hatte, auch die Wahl der Verse überlassen und dieser College Stübbe's hat sich seiner Aufgabe mit soviel Humor unterzogen; nach der zweiten Mission ist ein Stadtrath mit der Auswahl betraut gewesen und hat im Drange der Amtsgeschäfte diese Last auf die Schultern eines befreundeten jungen Theo¬ logen abgewälzt), hat ein Gedicht nicht berührt, welches gerade jetzt recht zeitgemäß ist: die Theilung der Erde. .Fehmet hin die Welt" so ließen sich seit einigen Monaten die Weltkinder gesagt sein und sie gehen so eifrig ans Werk, daß, wenn der Nachzügler kommen wird, es auch für ihn heißen wird: „Die Welt ist weggegeben, Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein." Merkwürdiger Weise scheint man auf diese Folge der gegenwärtigen großen financiellen Bewegung bisher kaum geachtet zu haben. Nationalökonomen und Finanzmänner, ja selbst ein Philosoph (Herr v. Hartmann, der Ver¬ fasser der Philosophie des Unbewußten) haben ihre Stimme erhoben und haben das Nothwendige und Gesunde in dieser Periode, welche dem oberfläch¬ lichen Blick bloß schwindelhaft zu sein scheint, nachgewiesen. Aber sie über¬ sahen eines. Die Börse handelt genau nach denselben Gesetzen, nach welchen der Staat handelt, indem er die Gehälter der Beamten erhöht, nach dem¬ selben Gesetz, nach welchem der Socialist sinket, um den Arbeitslohn zu er¬ höhen. Das Geld ist im Werthe gesunken und wird noch mehr sinken. Diesen Verlust gilt es auszugleichen und jedes Bestreben danach ist vollkom¬ men gerechtfertigt; die Operation, im Ganzen betrachtet, ist wohl zweckmäßig, aber sie führt einen großen, vielleicht unvermeidlichen Uebelstand mit sich. Auf der einen Seite stehen nämlich Diejenigen, welche aus dem Proceß mehr oder weniger große, zum Theil ungeheure Gewinne ziehen, auf der andern stehen Diejenigen, welche geringen oder gar keinen Gewinn zogen. Schon jeder solide Besitzer eines preußischen oder sächsischen Staatspapieres, welches

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/365>, abgerufen am 05.02.2025.