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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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italienischen Königreichs so viel von seiner Macht verloren. Und doch konnte
man sich der Anstandspflicht nicht entziehen, mit diesem Nachbar Glückwünsche
und feierliche Händedrücke zu tauschen. Es war ein Biß in einen sauren
Apfel, der dem Beißenden sehr sauer ankam.

Am 17. September, als der Eröffnungszug von dem italienischen Bar-
donnecchia in dem französischen Maoane eingetroffen, war von der Regierung
der Republik nur der Handelsminister Herr Victor Lefranc anwesend. Der
Telegraph hat nicht verfehlt, zu berichten, das Zusammentreffen mit den
italienischen Ministern und Autoritäten sei ein freudiges gewesen. Herr
Lefranc begleitete den zurückkehrenden Zug nach Bardonnecchia, wo von Sei¬
ten Italiens ein Festmahl veranstaltet war. Herr Bisconti Venosta. der ita¬
lienische Minister des Aeußeren, wünschte sich in einer längeren Rede dazu
Glück, diesem Feste der friedlichen Annäherung zwischen zwei großen Nationen
beiwohnen zu können. Da mußte Herr Lefranc doch antworten. Er that es
mit Glück, so daß die italienischen Hörer ihn mit Beifall überschütteten. Sein
italienischer College hatte ihm den Weg gebahnt. Derselbe hatte den fried¬
lichen und industriellen Charakter des vollendeten Werkes und nur diesen
hervorgehoben. Es lag wie ein Alp auf der Brust des Herrn Lefranc, was
alles Frankreich gegen Italien auf dem Herzen habe, und was umgekehrt die
Italiener gegen Frankreich im Herzen bergen möchten. Nun machte er für
alles Uebel die Politik verantwortlich und pries dafür die Industrie. Aber
die Politik ist doch unentbehrlich, man kann ihr doch nicht bloß ein Pereat
bringen. Der Redner fühlte etwas davon; das Gefühl wurde mächtig und
drang auf die Lippen, daß die französische Politik mangelhaft gewesen sei.
Allein, fügte er hinzu. "Frankreich hat seine Fehler schwer gebüßt." Das
war sprudelndes Wasser auf die Mühle der Italiener. Sie brachen in stür¬
mischen Beifall aus. Es fehlte nicht viel, sie hätten gesungen: "O glückliche
Buße, o heilsame Buße, sie hat uns nach Rom, unserer Hauptstadt geführt!
Es lebe die Hand, die die Geißel geschwungen, es lebe der Deutschen Schwert
und Haupt!" Herr Lefranc mochte bei sich denken, Frankreichs Fehler sei
vielmehr gewesen, daß es Italiens wie Deutschlands Geschäfte so weit habe
gedeihen lassen, um durch einen letzten gewaltigen Krieg gekrönt zu werden.
Aber das durfte er nur in den Bart murmeln.

Des Abends fuhren die Festgenossen nach Turin, wo die Stadt ihrerseits
ein großes Fest bereitete. Am 18. hatte Herr Lefranc Audienz beim König
von Italien. ' Victor Emanuel, höchst achtungswerth als König und Soldat,
soll nicht stark sein in der Conversation. Er warf etwas hin, daß Italien
und Frankreich Schwestern seien vom alten Latium her. Wer will den
Königen verübeln, wenn sie nicht genau Bescheid wissen in der Archäologie!

Abends 10 Uhr erschien in Turin auch der französische Minister des


italienischen Königreichs so viel von seiner Macht verloren. Und doch konnte
man sich der Anstandspflicht nicht entziehen, mit diesem Nachbar Glückwünsche
und feierliche Händedrücke zu tauschen. Es war ein Biß in einen sauren
Apfel, der dem Beißenden sehr sauer ankam.

Am 17. September, als der Eröffnungszug von dem italienischen Bar-
donnecchia in dem französischen Maoane eingetroffen, war von der Regierung
der Republik nur der Handelsminister Herr Victor Lefranc anwesend. Der
Telegraph hat nicht verfehlt, zu berichten, das Zusammentreffen mit den
italienischen Ministern und Autoritäten sei ein freudiges gewesen. Herr
Lefranc begleitete den zurückkehrenden Zug nach Bardonnecchia, wo von Sei¬
ten Italiens ein Festmahl veranstaltet war. Herr Bisconti Venosta. der ita¬
lienische Minister des Aeußeren, wünschte sich in einer längeren Rede dazu
Glück, diesem Feste der friedlichen Annäherung zwischen zwei großen Nationen
beiwohnen zu können. Da mußte Herr Lefranc doch antworten. Er that es
mit Glück, so daß die italienischen Hörer ihn mit Beifall überschütteten. Sein
italienischer College hatte ihm den Weg gebahnt. Derselbe hatte den fried¬
lichen und industriellen Charakter des vollendeten Werkes und nur diesen
hervorgehoben. Es lag wie ein Alp auf der Brust des Herrn Lefranc, was
alles Frankreich gegen Italien auf dem Herzen habe, und was umgekehrt die
Italiener gegen Frankreich im Herzen bergen möchten. Nun machte er für
alles Uebel die Politik verantwortlich und pries dafür die Industrie. Aber
die Politik ist doch unentbehrlich, man kann ihr doch nicht bloß ein Pereat
bringen. Der Redner fühlte etwas davon; das Gefühl wurde mächtig und
drang auf die Lippen, daß die französische Politik mangelhaft gewesen sei.
Allein, fügte er hinzu. „Frankreich hat seine Fehler schwer gebüßt." Das
war sprudelndes Wasser auf die Mühle der Italiener. Sie brachen in stür¬
mischen Beifall aus. Es fehlte nicht viel, sie hätten gesungen: „O glückliche
Buße, o heilsame Buße, sie hat uns nach Rom, unserer Hauptstadt geführt!
Es lebe die Hand, die die Geißel geschwungen, es lebe der Deutschen Schwert
und Haupt!" Herr Lefranc mochte bei sich denken, Frankreichs Fehler sei
vielmehr gewesen, daß es Italiens wie Deutschlands Geschäfte so weit habe
gedeihen lassen, um durch einen letzten gewaltigen Krieg gekrönt zu werden.
Aber das durfte er nur in den Bart murmeln.

Des Abends fuhren die Festgenossen nach Turin, wo die Stadt ihrerseits
ein großes Fest bereitete. Am 18. hatte Herr Lefranc Audienz beim König
von Italien. ' Victor Emanuel, höchst achtungswerth als König und Soldat,
soll nicht stark sein in der Conversation. Er warf etwas hin, daß Italien
und Frankreich Schwestern seien vom alten Latium her. Wer will den
Königen verübeln, wenn sie nicht genau Bescheid wissen in der Archäologie!

Abends 10 Uhr erschien in Turin auch der französische Minister des


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[0034] italienischen Königreichs so viel von seiner Macht verloren. Und doch konnte man sich der Anstandspflicht nicht entziehen, mit diesem Nachbar Glückwünsche und feierliche Händedrücke zu tauschen. Es war ein Biß in einen sauren Apfel, der dem Beißenden sehr sauer ankam. Am 17. September, als der Eröffnungszug von dem italienischen Bar- donnecchia in dem französischen Maoane eingetroffen, war von der Regierung der Republik nur der Handelsminister Herr Victor Lefranc anwesend. Der Telegraph hat nicht verfehlt, zu berichten, das Zusammentreffen mit den italienischen Ministern und Autoritäten sei ein freudiges gewesen. Herr Lefranc begleitete den zurückkehrenden Zug nach Bardonnecchia, wo von Sei¬ ten Italiens ein Festmahl veranstaltet war. Herr Bisconti Venosta. der ita¬ lienische Minister des Aeußeren, wünschte sich in einer längeren Rede dazu Glück, diesem Feste der friedlichen Annäherung zwischen zwei großen Nationen beiwohnen zu können. Da mußte Herr Lefranc doch antworten. Er that es mit Glück, so daß die italienischen Hörer ihn mit Beifall überschütteten. Sein italienischer College hatte ihm den Weg gebahnt. Derselbe hatte den fried¬ lichen und industriellen Charakter des vollendeten Werkes und nur diesen hervorgehoben. Es lag wie ein Alp auf der Brust des Herrn Lefranc, was alles Frankreich gegen Italien auf dem Herzen habe, und was umgekehrt die Italiener gegen Frankreich im Herzen bergen möchten. Nun machte er für alles Uebel die Politik verantwortlich und pries dafür die Industrie. Aber die Politik ist doch unentbehrlich, man kann ihr doch nicht bloß ein Pereat bringen. Der Redner fühlte etwas davon; das Gefühl wurde mächtig und drang auf die Lippen, daß die französische Politik mangelhaft gewesen sei. Allein, fügte er hinzu. „Frankreich hat seine Fehler schwer gebüßt." Das war sprudelndes Wasser auf die Mühle der Italiener. Sie brachen in stür¬ mischen Beifall aus. Es fehlte nicht viel, sie hätten gesungen: „O glückliche Buße, o heilsame Buße, sie hat uns nach Rom, unserer Hauptstadt geführt! Es lebe die Hand, die die Geißel geschwungen, es lebe der Deutschen Schwert und Haupt!" Herr Lefranc mochte bei sich denken, Frankreichs Fehler sei vielmehr gewesen, daß es Italiens wie Deutschlands Geschäfte so weit habe gedeihen lassen, um durch einen letzten gewaltigen Krieg gekrönt zu werden. Aber das durfte er nur in den Bart murmeln. Des Abends fuhren die Festgenossen nach Turin, wo die Stadt ihrerseits ein großes Fest bereitete. Am 18. hatte Herr Lefranc Audienz beim König von Italien. ' Victor Emanuel, höchst achtungswerth als König und Soldat, soll nicht stark sein in der Conversation. Er warf etwas hin, daß Italien und Frankreich Schwestern seien vom alten Latium her. Wer will den Königen verübeln, wenn sie nicht genau Bescheid wissen in der Archäologie! Abends 10 Uhr erschien in Turin auch der französische Minister des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/34>, abgerufen am 05.02.2025.