Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr gestattet, Grad für Grad wieder empor zu wachsen in die Herrlichkeit der
Kinder Gottes. Man sieht, die Mormonen haben in diesem Stück etwas
aus der Dogmatik der Brahmanen und Buddhisten gelernt und ähneln mit
ihr den amerikanischen und französischen Spiritualisten.

Kehren wir in die Zeit der Anfänge zurück, so hatte der nothwendige
Apfelbiß Adams zunächst traurige Folgen. Wie Adam selbst, litt die ganze
Schöpfung darunter. Die Erde verlor ihre paradiesische Gestalt, die Thier¬
welt ihren friedlichen Charakter, unter den Pflanzen entstanden Giftkräuter,
die Jahreszeiten büßten ihre sanfte Regelmäßigkeit ein, und so zeugte die
Sünde fortwährend andere Sünde, bis der Herr als Reiniger auftrat
und allen Unrath mit Wasser von der Erde wegschwemmte. Als Merkzeichen
dieser Katastrophe blieb die Erde nach der noachischen Fluth in mehrere Theile
zerrissen, zwischen die sich der Ocean drängte -- ein Verhältniß, welches nicht
so sein sollte und auch in Zukunft nicht so sein wird.

Durch die Sendung Christi wurde ein Versuch gemacht, die Menschen
und die Erde in ihren glücklichen Urzustand zurückzuleiten. Das "verloren¬
gegangene Priesterthum Adams" wurde wiederhergestellt, zuerst auf dem öst¬
lichen, dann auch auf dem westlichen Continente, und eine Fülle göttlicher
Kräfte ergoß sich über die gläubige Menschheit. Allein dieser glückliche Zu¬
stand erhielt sich weder hier noch dort, In Europa und Asien gingen all¬
mählich alle die wunderbaren Gaben, welche die urchristliche Welt besaß, ver¬
loren, und in Amerika kamen zu dem gleichen Verlust, wie das "Book of
Mormon" ausführlich berichtet, noch furchtbare Heimsuchung und Strafge¬
richte, Erdbeben, Vertilgungskriege, Seuchen und sogar eine allgemeine Ver¬
änderung der Hautfarbe in ein häßliches Kupferroth über die Abtrünnigen.
Da endlich erbarmte eS den Herrn. wie die Propheten Israels und wie
gleichermaßen die altamerikanischen Seher vorausgesagt, und im Jahre 182?
verlieh er dem von ihm erweckten Joseph Smith, nachdem er ihm seine
Sünden vergeben, das Priesterthum, der Ordnung Melchisedeks aufs Neue
und beauftragte ihn, die rechte Kirche wieder aufzurichten und die Welt da¬
durch vorzubereiten auf die Wiederkehr Jesu Christi und sein tausendjähriges
Reich, dessen Eintritt nahe bevorsteht.

Die wunderbaren Gaben, in deren Besitz die Mormonen zu sein sich
rühmen, und deren Borhandensein unter ihnen sie als Hauptzeugniß für die
Echtheit ihrer Kirche anführen, bestehen in der Voraussicht der Zukunft, die
indeß auf den allein in unmittelbarem Verkehr mit Gott stehenden Propheten,
das Haupt der Secte, beschränkt ist, ferner in Heilung aller Krankheiten,
selbst der Cholera, durch bloße Handauflegung, sodann in der Macht, böse
Geister aus Besessenen zu verbannen, endlich im Reden in Zungen und der
Deutung dieser modernen Glossolalie -- eine Fähigkeit, die allen Heiligen


ihr gestattet, Grad für Grad wieder empor zu wachsen in die Herrlichkeit der
Kinder Gottes. Man sieht, die Mormonen haben in diesem Stück etwas
aus der Dogmatik der Brahmanen und Buddhisten gelernt und ähneln mit
ihr den amerikanischen und französischen Spiritualisten.

Kehren wir in die Zeit der Anfänge zurück, so hatte der nothwendige
Apfelbiß Adams zunächst traurige Folgen. Wie Adam selbst, litt die ganze
Schöpfung darunter. Die Erde verlor ihre paradiesische Gestalt, die Thier¬
welt ihren friedlichen Charakter, unter den Pflanzen entstanden Giftkräuter,
die Jahreszeiten büßten ihre sanfte Regelmäßigkeit ein, und so zeugte die
Sünde fortwährend andere Sünde, bis der Herr als Reiniger auftrat
und allen Unrath mit Wasser von der Erde wegschwemmte. Als Merkzeichen
dieser Katastrophe blieb die Erde nach der noachischen Fluth in mehrere Theile
zerrissen, zwischen die sich der Ocean drängte — ein Verhältniß, welches nicht
so sein sollte und auch in Zukunft nicht so sein wird.

Durch die Sendung Christi wurde ein Versuch gemacht, die Menschen
und die Erde in ihren glücklichen Urzustand zurückzuleiten. Das „verloren¬
gegangene Priesterthum Adams" wurde wiederhergestellt, zuerst auf dem öst¬
lichen, dann auch auf dem westlichen Continente, und eine Fülle göttlicher
Kräfte ergoß sich über die gläubige Menschheit. Allein dieser glückliche Zu¬
stand erhielt sich weder hier noch dort, In Europa und Asien gingen all¬
mählich alle die wunderbaren Gaben, welche die urchristliche Welt besaß, ver¬
loren, und in Amerika kamen zu dem gleichen Verlust, wie das „Book of
Mormon" ausführlich berichtet, noch furchtbare Heimsuchung und Strafge¬
richte, Erdbeben, Vertilgungskriege, Seuchen und sogar eine allgemeine Ver¬
änderung der Hautfarbe in ein häßliches Kupferroth über die Abtrünnigen.
Da endlich erbarmte eS den Herrn. wie die Propheten Israels und wie
gleichermaßen die altamerikanischen Seher vorausgesagt, und im Jahre 182?
verlieh er dem von ihm erweckten Joseph Smith, nachdem er ihm seine
Sünden vergeben, das Priesterthum, der Ordnung Melchisedeks aufs Neue
und beauftragte ihn, die rechte Kirche wieder aufzurichten und die Welt da¬
durch vorzubereiten auf die Wiederkehr Jesu Christi und sein tausendjähriges
Reich, dessen Eintritt nahe bevorsteht.

Die wunderbaren Gaben, in deren Besitz die Mormonen zu sein sich
rühmen, und deren Borhandensein unter ihnen sie als Hauptzeugniß für die
Echtheit ihrer Kirche anführen, bestehen in der Voraussicht der Zukunft, die
indeß auf den allein in unmittelbarem Verkehr mit Gott stehenden Propheten,
das Haupt der Secte, beschränkt ist, ferner in Heilung aller Krankheiten,
selbst der Cholera, durch bloße Handauflegung, sodann in der Macht, böse
Geister aus Besessenen zu verbannen, endlich im Reden in Zungen und der
Deutung dieser modernen Glossolalie — eine Fähigkeit, die allen Heiligen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192635"/>
            <p xml:id="ID_1248" prev="#ID_1247"> ihr gestattet, Grad für Grad wieder empor zu wachsen in die Herrlichkeit der<lb/>
Kinder Gottes. Man sieht, die Mormonen haben in diesem Stück etwas<lb/>
aus der Dogmatik der Brahmanen und Buddhisten gelernt und ähneln mit<lb/>
ihr den amerikanischen und französischen Spiritualisten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1249"> Kehren wir in die Zeit der Anfänge zurück, so hatte der nothwendige<lb/>
Apfelbiß Adams zunächst traurige Folgen. Wie Adam selbst, litt die ganze<lb/>
Schöpfung darunter. Die Erde verlor ihre paradiesische Gestalt, die Thier¬<lb/>
welt ihren friedlichen Charakter, unter den Pflanzen entstanden Giftkräuter,<lb/>
die Jahreszeiten büßten ihre sanfte Regelmäßigkeit ein, und so zeugte die<lb/>
Sünde fortwährend andere Sünde, bis der Herr als Reiniger auftrat<lb/>
und allen Unrath mit Wasser von der Erde wegschwemmte. Als Merkzeichen<lb/>
dieser Katastrophe blieb die Erde nach der noachischen Fluth in mehrere Theile<lb/>
zerrissen, zwischen die sich der Ocean drängte &#x2014; ein Verhältniß, welches nicht<lb/>
so sein sollte und auch in Zukunft nicht so sein wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1250"> Durch die Sendung Christi wurde ein Versuch gemacht, die Menschen<lb/>
und die Erde in ihren glücklichen Urzustand zurückzuleiten. Das &#x201E;verloren¬<lb/>
gegangene Priesterthum Adams" wurde wiederhergestellt, zuerst auf dem öst¬<lb/>
lichen, dann auch auf dem westlichen Continente, und eine Fülle göttlicher<lb/>
Kräfte ergoß sich über die gläubige Menschheit. Allein dieser glückliche Zu¬<lb/>
stand erhielt sich weder hier noch dort, In Europa und Asien gingen all¬<lb/>
mählich alle die wunderbaren Gaben, welche die urchristliche Welt besaß, ver¬<lb/>
loren, und in Amerika kamen zu dem gleichen Verlust, wie das &#x201E;Book of<lb/>
Mormon" ausführlich berichtet, noch furchtbare Heimsuchung und Strafge¬<lb/>
richte, Erdbeben, Vertilgungskriege, Seuchen und sogar eine allgemeine Ver¬<lb/>
änderung der Hautfarbe in ein häßliches Kupferroth über die Abtrünnigen.<lb/>
Da endlich erbarmte eS den Herrn. wie die Propheten Israels und wie<lb/>
gleichermaßen die altamerikanischen Seher vorausgesagt, und im Jahre 182?<lb/>
verlieh er dem von ihm erweckten Joseph Smith, nachdem er ihm seine<lb/>
Sünden vergeben, das Priesterthum, der Ordnung Melchisedeks aufs Neue<lb/>
und beauftragte ihn, die rechte Kirche wieder aufzurichten und die Welt da¬<lb/>
durch vorzubereiten auf die Wiederkehr Jesu Christi und sein tausendjähriges<lb/>
Reich, dessen Eintritt nahe bevorsteht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1251" next="#ID_1252"> Die wunderbaren Gaben, in deren Besitz die Mormonen zu sein sich<lb/>
rühmen, und deren Borhandensein unter ihnen sie als Hauptzeugniß für die<lb/>
Echtheit ihrer Kirche anführen, bestehen in der Voraussicht der Zukunft, die<lb/>
indeß auf den allein in unmittelbarem Verkehr mit Gott stehenden Propheten,<lb/>
das Haupt der Secte, beschränkt ist, ferner in Heilung aller Krankheiten,<lb/>
selbst der Cholera, durch bloße Handauflegung, sodann in der Macht, böse<lb/>
Geister aus Besessenen zu verbannen, endlich im Reden in Zungen und der<lb/>
Deutung dieser modernen Glossolalie &#x2014; eine Fähigkeit, die allen Heiligen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] ihr gestattet, Grad für Grad wieder empor zu wachsen in die Herrlichkeit der Kinder Gottes. Man sieht, die Mormonen haben in diesem Stück etwas aus der Dogmatik der Brahmanen und Buddhisten gelernt und ähneln mit ihr den amerikanischen und französischen Spiritualisten. Kehren wir in die Zeit der Anfänge zurück, so hatte der nothwendige Apfelbiß Adams zunächst traurige Folgen. Wie Adam selbst, litt die ganze Schöpfung darunter. Die Erde verlor ihre paradiesische Gestalt, die Thier¬ welt ihren friedlichen Charakter, unter den Pflanzen entstanden Giftkräuter, die Jahreszeiten büßten ihre sanfte Regelmäßigkeit ein, und so zeugte die Sünde fortwährend andere Sünde, bis der Herr als Reiniger auftrat und allen Unrath mit Wasser von der Erde wegschwemmte. Als Merkzeichen dieser Katastrophe blieb die Erde nach der noachischen Fluth in mehrere Theile zerrissen, zwischen die sich der Ocean drängte — ein Verhältniß, welches nicht so sein sollte und auch in Zukunft nicht so sein wird. Durch die Sendung Christi wurde ein Versuch gemacht, die Menschen und die Erde in ihren glücklichen Urzustand zurückzuleiten. Das „verloren¬ gegangene Priesterthum Adams" wurde wiederhergestellt, zuerst auf dem öst¬ lichen, dann auch auf dem westlichen Continente, und eine Fülle göttlicher Kräfte ergoß sich über die gläubige Menschheit. Allein dieser glückliche Zu¬ stand erhielt sich weder hier noch dort, In Europa und Asien gingen all¬ mählich alle die wunderbaren Gaben, welche die urchristliche Welt besaß, ver¬ loren, und in Amerika kamen zu dem gleichen Verlust, wie das „Book of Mormon" ausführlich berichtet, noch furchtbare Heimsuchung und Strafge¬ richte, Erdbeben, Vertilgungskriege, Seuchen und sogar eine allgemeine Ver¬ änderung der Hautfarbe in ein häßliches Kupferroth über die Abtrünnigen. Da endlich erbarmte eS den Herrn. wie die Propheten Israels und wie gleichermaßen die altamerikanischen Seher vorausgesagt, und im Jahre 182? verlieh er dem von ihm erweckten Joseph Smith, nachdem er ihm seine Sünden vergeben, das Priesterthum, der Ordnung Melchisedeks aufs Neue und beauftragte ihn, die rechte Kirche wieder aufzurichten und die Welt da¬ durch vorzubereiten auf die Wiederkehr Jesu Christi und sein tausendjähriges Reich, dessen Eintritt nahe bevorsteht. Die wunderbaren Gaben, in deren Besitz die Mormonen zu sein sich rühmen, und deren Borhandensein unter ihnen sie als Hauptzeugniß für die Echtheit ihrer Kirche anführen, bestehen in der Voraussicht der Zukunft, die indeß auf den allein in unmittelbarem Verkehr mit Gott stehenden Propheten, das Haupt der Secte, beschränkt ist, ferner in Heilung aller Krankheiten, selbst der Cholera, durch bloße Handauflegung, sodann in der Macht, böse Geister aus Besessenen zu verbannen, endlich im Reden in Zungen und der Deutung dieser modernen Glossolalie — eine Fähigkeit, die allen Heiligen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/334>, abgerufen am 06.02.2025.