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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Todesangst, wurde aber durch Miß Vera, welche seine Unschuld nachwies,
gerettet. Diese Franzosen?und die beiden Damen miethen sich nun in Lagny
einen gemeinschaftlichen Omnibus und gelangen endlich xost tot al"erimina,
rerum nach Corbeil. Unterwegs hatte noch ein bayerischer Hauptmann ver¬
sucht, sie ihres Fuhrwerks zu depossediren. Allein Frau Schmidt verstand
sich auf ihre Landsleute. Die bayerische Wittwe überbayerte den bayerischen
Hauptmann so mit bajuvarischer Grobheit, daß er ganz verdutzt stehen blieb.

Von Corbeil an mag nun Miß Vera selbst das Wort nehmen. Sie
erzählt also:

"Corbeil ist bedeutend größer als Lagny. Die Häuser und Läden stan¬
den auch nicht verlassen da. Die Einwohner hatten Verstand genug gehabt
um einzusehen, daß es ebenso sicher und dabei weit vortheilhafter ist, die
Soldaten einzuquartieren (wofür sie eine bestimmte Summe von der Gemeinde
bekommen) und hinter den Ladentischen zu stehen, als ihre Häuser verwüsten
zu lassen und heimathlos in anderen Departements herum zu ziehen. Als die
Preußen ankamen, fanden sie natürlich einige Bogen der Brücke zerstört.
Gleich befahlen sie den Franzosen auf ihre eigenen Kosten die Brücke wieder¬
herzustellen; falls sie nicht in der festgesetzten Zeit fertig wäre, legten sie ihnen
eine tägliche Geldbuße von Tausend Francs auf.

Beinahe auf einem Dache um das andere wehte die Fahne mit dem
rothen Kreuz. Jedes einigermaßen entbehrliche Gebäude, selbst das Theater,
war in ein "Lazareth" verwandelt. Auch aus dem angrenzenden Schlö߬
chen (Corbeil war seiner malerischen Lage wegen im Sommer ein Lieblings¬
aufenthalt der Pariser), welches von seinen Besitzern verlassen war, hatte man
"Spitäler für Schwerkranke und Reconvalescenten" eingerichtet.
Die Straßen waren voll von Soldaten, auch sah man einige Einheimische. Nach¬
dem wir die Adresse des Oberchirurgen von Grauvogel beim Etappcncommando
erfahren hatten, eilten wir hin, um uns anzumelden und unsere Dienste an¬
zubieten. Da rief plötzlich eine Stimme hinter uns: "meine Damen!" Wir
drehten uns um und sahen einen feinaussehenden Mann mit grauem Ueber¬
rock und grünem Kragen und dem Johanniterkreuze im Knopfloche. Sind
Sie schon lange in Corbeil, und gehören Sie da zu einem Spital", fragte er.
-- "Nein," antworteten wir, "wir sind erst vergangene Nacht angekommen
und wollen jetzt bei dem Oberchirurgen Arbeit suchen." -- "Nun," sagte er,
"ich bin Delegirter der freiwilligen Krankenpflege hier und wenn Sie einen
Augenblick nebenan in mein Bureau kommen wollen, möchte ich Ihnen etwas
vorschlagen. Wir gingen mit ihm, und nachdem er unsere Papiere geprüft hatte,
fragte er Frau Schmidt, ob sie die Oberaufsicht in der Küche übernehmen
wolle. Sie sagte ihm, daß sie das früher noch nie gethan hätte, da sie aber
hinlänglich Erfahrung darüber hatte, was den Kranken und Verwundeten gut
ist, und sich in irgend einer Weise nützlich machen wollte, versprach sie, es zu


Todesangst, wurde aber durch Miß Vera, welche seine Unschuld nachwies,
gerettet. Diese Franzosen?und die beiden Damen miethen sich nun in Lagny
einen gemeinschaftlichen Omnibus und gelangen endlich xost tot al«erimina,
rerum nach Corbeil. Unterwegs hatte noch ein bayerischer Hauptmann ver¬
sucht, sie ihres Fuhrwerks zu depossediren. Allein Frau Schmidt verstand
sich auf ihre Landsleute. Die bayerische Wittwe überbayerte den bayerischen
Hauptmann so mit bajuvarischer Grobheit, daß er ganz verdutzt stehen blieb.

Von Corbeil an mag nun Miß Vera selbst das Wort nehmen. Sie
erzählt also:

„Corbeil ist bedeutend größer als Lagny. Die Häuser und Läden stan¬
den auch nicht verlassen da. Die Einwohner hatten Verstand genug gehabt
um einzusehen, daß es ebenso sicher und dabei weit vortheilhafter ist, die
Soldaten einzuquartieren (wofür sie eine bestimmte Summe von der Gemeinde
bekommen) und hinter den Ladentischen zu stehen, als ihre Häuser verwüsten
zu lassen und heimathlos in anderen Departements herum zu ziehen. Als die
Preußen ankamen, fanden sie natürlich einige Bogen der Brücke zerstört.
Gleich befahlen sie den Franzosen auf ihre eigenen Kosten die Brücke wieder¬
herzustellen; falls sie nicht in der festgesetzten Zeit fertig wäre, legten sie ihnen
eine tägliche Geldbuße von Tausend Francs auf.

Beinahe auf einem Dache um das andere wehte die Fahne mit dem
rothen Kreuz. Jedes einigermaßen entbehrliche Gebäude, selbst das Theater,
war in ein „Lazareth" verwandelt. Auch aus dem angrenzenden Schlö߬
chen (Corbeil war seiner malerischen Lage wegen im Sommer ein Lieblings¬
aufenthalt der Pariser), welches von seinen Besitzern verlassen war, hatte man
„Spitäler für Schwerkranke und Reconvalescenten" eingerichtet.
Die Straßen waren voll von Soldaten, auch sah man einige Einheimische. Nach¬
dem wir die Adresse des Oberchirurgen von Grauvogel beim Etappcncommando
erfahren hatten, eilten wir hin, um uns anzumelden und unsere Dienste an¬
zubieten. Da rief plötzlich eine Stimme hinter uns: „meine Damen!" Wir
drehten uns um und sahen einen feinaussehenden Mann mit grauem Ueber¬
rock und grünem Kragen und dem Johanniterkreuze im Knopfloche. Sind
Sie schon lange in Corbeil, und gehören Sie da zu einem Spital", fragte er.
— „Nein," antworteten wir, „wir sind erst vergangene Nacht angekommen
und wollen jetzt bei dem Oberchirurgen Arbeit suchen." — „Nun," sagte er,
„ich bin Delegirter der freiwilligen Krankenpflege hier und wenn Sie einen
Augenblick nebenan in mein Bureau kommen wollen, möchte ich Ihnen etwas
vorschlagen. Wir gingen mit ihm, und nachdem er unsere Papiere geprüft hatte,
fragte er Frau Schmidt, ob sie die Oberaufsicht in der Küche übernehmen
wolle. Sie sagte ihm, daß sie das früher noch nie gethan hätte, da sie aber
hinlänglich Erfahrung darüber hatte, was den Kranken und Verwundeten gut
ist, und sich in irgend einer Weise nützlich machen wollte, versprach sie, es zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/306>, abgerufen am 05.02.2025.