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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Leistungen gelesen zu haben.") Möglich, daß den barmherzigen Schwestern,
den Johanniterinnen und Diaconissinnen ihre Amts- oder Ordenspflichten
verbieten, zur Feder zu greifen oder das Gebiet der Oeffentlichkeit, und nament¬
lich der Presse, zu betreten. Ich weiß es nicht. Jedenfalls aber ist, nachdem
wir so viele und treffliche Berichte von Männern gelesen haben, von Inter¬
esse zu erfahren, wie sich diese Welt (der Kriegsschauplatz) in dem Kopfe
einer Frau spiegelt. Und daß es gerade eine englische Dame ist, welche
hier das Wort ergreift, vermindert auf keinen Fall dieses Interesse. Man
kann der Pseudonymen Miß Vera nicht absprechen, daß sie scharf beobachtet
und eben so genau, als lebhaft und unterhaltend schildert.

Als der Krieg ausbrach, reiste sie in Italien. Dort entschließt sie sich,
ihre Kräfte der Krankenpflege im Kriege zu widmen. Sie eilt nach München
und erlangt dort durch Vermittelung des preußischen Gesandten das "rothe
Kreuz" und die Legitimation Seitens des "Königlich Bayerischen Ver¬
eins zur Pflege und Unterstützung im Felde verwundeter oder
erkrankter Krieger", -- eine Benennung, über deren Weitschweifigkeit die
an Kürze gewöhnte Engländerin sich einer spöttischen Bemerkung nicht ent¬
halten kann. Sie fährt dann mit einem bayerischen Spitalzug nach München,
und zwar in Gesellschaft einiger barmherzigen Schwestern, gegen welche sie
eine (gewiß nicht gerechtfertigte) Abneigung an den Tag legt, und einer baye¬
rischen Wittwe, welche schon im Jahre 1866 sich der Krankenpflege gewidmet
und jetzt wieder das Kreuz genommen hat. Mit dieser, der Frau Schmidt,
einer energischen und praktischen Dame, welche jedoch die Kinderkrankheit der
Borussophobie noch nicht ganz überwunden zu haben scheint, schließt Miß
Vera gute Kameradschaft. Sie theilen von da an ihre Schicksale mit
einander. Letztere beginnen schon während des Transports. Die Eisenbahnen
sind überall verstopft. Die Reise geht langsam. Die Damen leiden von der
Kälte, zuweilen auch von Hunger. Doch trösten sie sich damit, daß ihnen
Züge mit Verwundeten begegnen und sie so unterwegs schon Gelegenheit ha-
^en, Dienste zu leisten. So geht es über Straßburg, Nancy, Bar le Duc
uach Meaur und Lagny. In Lagny versagen ihr alle Empfehlungen. Selbst
der Johanniter-Delegirte auf dem Etappen - Commando Graf H. kann oder
^pill nicht helfen. Endlich findet sich eine französische Gesellschaft, ein Buch¬
händler Namens Picard und ein Tabackhändler Namens Louit, nebst ihren
Frauen. Dieselben waren vor dem Kriege geflohen. Als sie aber hörten, daß die
"Barbaren" ganz gute Europäer seien und Alles baar bezahlten, und sogar
viel theurer als andere Leute, entschlossen sie sich, wieder zurückzukehren. In
^agny wurde Herr Picard von den Deutschen arretirt. Er war in großer



*) Der Artikel über das Tabakspital zu Ranzig im I. Quartal 1871 d. Bl war aus
° .d. R. " Feder einer deutschen Frau.
Greuzlwten II. 1871. . 108

Leistungen gelesen zu haben.") Möglich, daß den barmherzigen Schwestern,
den Johanniterinnen und Diaconissinnen ihre Amts- oder Ordenspflichten
verbieten, zur Feder zu greifen oder das Gebiet der Oeffentlichkeit, und nament¬
lich der Presse, zu betreten. Ich weiß es nicht. Jedenfalls aber ist, nachdem
wir so viele und treffliche Berichte von Männern gelesen haben, von Inter¬
esse zu erfahren, wie sich diese Welt (der Kriegsschauplatz) in dem Kopfe
einer Frau spiegelt. Und daß es gerade eine englische Dame ist, welche
hier das Wort ergreift, vermindert auf keinen Fall dieses Interesse. Man
kann der Pseudonymen Miß Vera nicht absprechen, daß sie scharf beobachtet
und eben so genau, als lebhaft und unterhaltend schildert.

Als der Krieg ausbrach, reiste sie in Italien. Dort entschließt sie sich,
ihre Kräfte der Krankenpflege im Kriege zu widmen. Sie eilt nach München
und erlangt dort durch Vermittelung des preußischen Gesandten das „rothe
Kreuz" und die Legitimation Seitens des „Königlich Bayerischen Ver¬
eins zur Pflege und Unterstützung im Felde verwundeter oder
erkrankter Krieger", — eine Benennung, über deren Weitschweifigkeit die
an Kürze gewöhnte Engländerin sich einer spöttischen Bemerkung nicht ent¬
halten kann. Sie fährt dann mit einem bayerischen Spitalzug nach München,
und zwar in Gesellschaft einiger barmherzigen Schwestern, gegen welche sie
eine (gewiß nicht gerechtfertigte) Abneigung an den Tag legt, und einer baye¬
rischen Wittwe, welche schon im Jahre 1866 sich der Krankenpflege gewidmet
und jetzt wieder das Kreuz genommen hat. Mit dieser, der Frau Schmidt,
einer energischen und praktischen Dame, welche jedoch die Kinderkrankheit der
Borussophobie noch nicht ganz überwunden zu haben scheint, schließt Miß
Vera gute Kameradschaft. Sie theilen von da an ihre Schicksale mit
einander. Letztere beginnen schon während des Transports. Die Eisenbahnen
sind überall verstopft. Die Reise geht langsam. Die Damen leiden von der
Kälte, zuweilen auch von Hunger. Doch trösten sie sich damit, daß ihnen
Züge mit Verwundeten begegnen und sie so unterwegs schon Gelegenheit ha-
^en, Dienste zu leisten. So geht es über Straßburg, Nancy, Bar le Duc
uach Meaur und Lagny. In Lagny versagen ihr alle Empfehlungen. Selbst
der Johanniter-Delegirte auf dem Etappen - Commando Graf H. kann oder
^pill nicht helfen. Endlich findet sich eine französische Gesellschaft, ein Buch¬
händler Namens Picard und ein Tabackhändler Namens Louit, nebst ihren
Frauen. Dieselben waren vor dem Kriege geflohen. Als sie aber hörten, daß die
"Barbaren" ganz gute Europäer seien und Alles baar bezahlten, und sogar
viel theurer als andere Leute, entschlossen sie sich, wieder zurückzukehren. In
^agny wurde Herr Picard von den Deutschen arretirt. Er war in großer



*) Der Artikel über das Tabakspital zu Ranzig im I. Quartal 1871 d. Bl war aus
° .d. R. " Feder einer deutschen Frau.
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[0305] Leistungen gelesen zu haben.") Möglich, daß den barmherzigen Schwestern, den Johanniterinnen und Diaconissinnen ihre Amts- oder Ordenspflichten verbieten, zur Feder zu greifen oder das Gebiet der Oeffentlichkeit, und nament¬ lich der Presse, zu betreten. Ich weiß es nicht. Jedenfalls aber ist, nachdem wir so viele und treffliche Berichte von Männern gelesen haben, von Inter¬ esse zu erfahren, wie sich diese Welt (der Kriegsschauplatz) in dem Kopfe einer Frau spiegelt. Und daß es gerade eine englische Dame ist, welche hier das Wort ergreift, vermindert auf keinen Fall dieses Interesse. Man kann der Pseudonymen Miß Vera nicht absprechen, daß sie scharf beobachtet und eben so genau, als lebhaft und unterhaltend schildert. Als der Krieg ausbrach, reiste sie in Italien. Dort entschließt sie sich, ihre Kräfte der Krankenpflege im Kriege zu widmen. Sie eilt nach München und erlangt dort durch Vermittelung des preußischen Gesandten das „rothe Kreuz" und die Legitimation Seitens des „Königlich Bayerischen Ver¬ eins zur Pflege und Unterstützung im Felde verwundeter oder erkrankter Krieger", — eine Benennung, über deren Weitschweifigkeit die an Kürze gewöhnte Engländerin sich einer spöttischen Bemerkung nicht ent¬ halten kann. Sie fährt dann mit einem bayerischen Spitalzug nach München, und zwar in Gesellschaft einiger barmherzigen Schwestern, gegen welche sie eine (gewiß nicht gerechtfertigte) Abneigung an den Tag legt, und einer baye¬ rischen Wittwe, welche schon im Jahre 1866 sich der Krankenpflege gewidmet und jetzt wieder das Kreuz genommen hat. Mit dieser, der Frau Schmidt, einer energischen und praktischen Dame, welche jedoch die Kinderkrankheit der Borussophobie noch nicht ganz überwunden zu haben scheint, schließt Miß Vera gute Kameradschaft. Sie theilen von da an ihre Schicksale mit einander. Letztere beginnen schon während des Transports. Die Eisenbahnen sind überall verstopft. Die Reise geht langsam. Die Damen leiden von der Kälte, zuweilen auch von Hunger. Doch trösten sie sich damit, daß ihnen Züge mit Verwundeten begegnen und sie so unterwegs schon Gelegenheit ha- ^en, Dienste zu leisten. So geht es über Straßburg, Nancy, Bar le Duc uach Meaur und Lagny. In Lagny versagen ihr alle Empfehlungen. Selbst der Johanniter-Delegirte auf dem Etappen - Commando Graf H. kann oder ^pill nicht helfen. Endlich findet sich eine französische Gesellschaft, ein Buch¬ händler Namens Picard und ein Tabackhändler Namens Louit, nebst ihren Frauen. Dieselben waren vor dem Kriege geflohen. Als sie aber hörten, daß die "Barbaren" ganz gute Europäer seien und Alles baar bezahlten, und sogar viel theurer als andere Leute, entschlossen sie sich, wieder zurückzukehren. In ^agny wurde Herr Picard von den Deutschen arretirt. Er war in großer *) Der Artikel über das Tabakspital zu Ranzig im I. Quartal 1871 d. Bl war aus ° .d. R. " Feder einer deutschen Frau. Greuzlwten II. 1871. . 108

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/305>, abgerufen am 05.02.2025.