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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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dem modernen Staate verträgt. Die treulose Schaukelpolitik Smiths, die es
erst mit den Whigs, dann mit den Demokraten hielt, und dann wieder zu
jenen hinüberschwankte, verdarb es zuletzt mit allen Parteien. Mit jedem
Tage trat er dreister und anmaßender auf, und im Sommer 1844 hatte er
allen Ernstes den Uebermuth, sich in einer langen pomphaften Ansprache an
das Volk der Vereinigten Staaten zum Präsidenten der Union zu empfehlen.
Dennoch würde Smith sich noch eine Weile gehalten haben, wenn nicht wie¬
der infolge innerer Streitigkeiten der Secte ein Schisma ausgebrochen wäre,
welches, indem der Prophet in ungesetzlicher Weise gegen seine Feinde ein¬
schritt, zu einer Einmischung des Staates führte.

Unter einem Theile der mormonischen Priesterschaft hatte sich, wie es
scheint schon in Missouri, insgeheim die Lehre verbreitet, daß es gestattet
sei, neben seiner Ehefrau noch eine "geistliche Frau" oder mehrere zu haben.
Der Urheber dieser Doctrin war Rigdon. Smith begann sich erst in Nau¬
voo mit ihr zu befreunden, indem er 1843 eine sie empfehlende Offenbarung
erhielt. Im nächsten Jahre scheint er durch Anknüpfung von Liebeshändeln
wie den Frauen anderer Mormonen der Empfehlung nachgelebt zu haben,
^is ihm dieß von seinen Gegnern in Nauvoo in deren Blatte, dem "Expo-
sitor" öffentlich vorgeworfen wurde, ließ er die Druckerei derselben zerstören.
Dieß rief in der Nachbarschaft von Nauvoo die größte Erbitterung hervor,
welche noch stieg, als Smith und seine Genossen sich weigerten, dem von den
Geschädigten beim Grafschaftsgericht im benachbarten Carthago gegen sie er¬
wirkten Verhaftsbefehl Folge zu leisten. In Massen sammelte sich das Volk
^r Nachbarschaft zum Angriff auf die Mormonenstadt, und als der Prophet
sich schließlich den Behörden doch noch stellte und in das Gefängniß von
Karthago gebracht wurde, stürmte eine bewaffnete Rotte das Haus und er-
wordet ihn und seinen Bruder Hiram.

Dieß geschah am 27. Juni 1844. Die Mormonen wollten zuerst den
Tod ihres Propheten mit Feuer und Schwert rächen, besannen sich aber auf
Zureden verständiger Leute eines Besseren und verhielten sich ruhig. Der
^te Rigdon versuchte nun, die Stelle des Propheten einzunehmen, wurde
""er damit zurückgewiesen und in feierlicher Versammlung von Brigham
Aoung ereommunicirt und "im Namen des Herrn den Püffen des Satans
überantwortet," worauf alles Volk Amen sagte. Er zog sich nach Pitts-
^urgh, s^ner Geburtsstadt, zurück, wo er einige Jahre später in Vergessenheit
starb. Ebensowenig Erfolg hatten andere Bewerber um die erledigte erste
Stelle unter den Heiligen vom jüngsten Tage, z. B. Glatten Bishop, wel¬
ker sich für die Wiederkunft Christi ausgab und ganze Bände voll Gespräche
^it himmlischen Geistern zur Unterstützung seiner Ansprüche aufzuweisen hatte,
^righam Young, der "Löwe Gottes," ein Zankes aus Vermont, der.


dem modernen Staate verträgt. Die treulose Schaukelpolitik Smiths, die es
erst mit den Whigs, dann mit den Demokraten hielt, und dann wieder zu
jenen hinüberschwankte, verdarb es zuletzt mit allen Parteien. Mit jedem
Tage trat er dreister und anmaßender auf, und im Sommer 1844 hatte er
allen Ernstes den Uebermuth, sich in einer langen pomphaften Ansprache an
das Volk der Vereinigten Staaten zum Präsidenten der Union zu empfehlen.
Dennoch würde Smith sich noch eine Weile gehalten haben, wenn nicht wie¬
der infolge innerer Streitigkeiten der Secte ein Schisma ausgebrochen wäre,
welches, indem der Prophet in ungesetzlicher Weise gegen seine Feinde ein¬
schritt, zu einer Einmischung des Staates führte.

Unter einem Theile der mormonischen Priesterschaft hatte sich, wie es
scheint schon in Missouri, insgeheim die Lehre verbreitet, daß es gestattet
sei, neben seiner Ehefrau noch eine „geistliche Frau" oder mehrere zu haben.
Der Urheber dieser Doctrin war Rigdon. Smith begann sich erst in Nau¬
voo mit ihr zu befreunden, indem er 1843 eine sie empfehlende Offenbarung
erhielt. Im nächsten Jahre scheint er durch Anknüpfung von Liebeshändeln
wie den Frauen anderer Mormonen der Empfehlung nachgelebt zu haben,
^is ihm dieß von seinen Gegnern in Nauvoo in deren Blatte, dem „Expo-
sitor" öffentlich vorgeworfen wurde, ließ er die Druckerei derselben zerstören.
Dieß rief in der Nachbarschaft von Nauvoo die größte Erbitterung hervor,
welche noch stieg, als Smith und seine Genossen sich weigerten, dem von den
Geschädigten beim Grafschaftsgericht im benachbarten Carthago gegen sie er¬
wirkten Verhaftsbefehl Folge zu leisten. In Massen sammelte sich das Volk
^r Nachbarschaft zum Angriff auf die Mormonenstadt, und als der Prophet
sich schließlich den Behörden doch noch stellte und in das Gefängniß von
Karthago gebracht wurde, stürmte eine bewaffnete Rotte das Haus und er-
wordet ihn und seinen Bruder Hiram.

Dieß geschah am 27. Juni 1844. Die Mormonen wollten zuerst den
Tod ihres Propheten mit Feuer und Schwert rächen, besannen sich aber auf
Zureden verständiger Leute eines Besseren und verhielten sich ruhig. Der
^te Rigdon versuchte nun, die Stelle des Propheten einzunehmen, wurde
""er damit zurückgewiesen und in feierlicher Versammlung von Brigham
Aoung ereommunicirt und „im Namen des Herrn den Püffen des Satans
überantwortet," worauf alles Volk Amen sagte. Er zog sich nach Pitts-
^urgh, s^ner Geburtsstadt, zurück, wo er einige Jahre später in Vergessenheit
starb. Ebensowenig Erfolg hatten andere Bewerber um die erledigte erste
Stelle unter den Heiligen vom jüngsten Tage, z. B. Glatten Bishop, wel¬
ker sich für die Wiederkunft Christi ausgab und ganze Bände voll Gespräche
^it himmlischen Geistern zur Unterstützung seiner Ansprüche aufzuweisen hatte,
^righam Young, der „Löwe Gottes," ein Zankes aus Vermont, der.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/295>, abgerufen am 06.02.2025.