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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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absurde Schwindel des Spiritualismus in Amerika zu einer Religion gewor¬
den ist, die nach den mäßigsten Angaben drei Millionen Bekenner zählt.

Ueber die Geschichte der Secte fassen wir uns so kurz als möglich, um
Raum für eine ausführliche Schilderung ihrer gegenwärtigen Verhältnisse,
Einrichtungen und Glaubensmeinungen zu behalten.

In den zwanziger Jahren lebte im Norden des Staates Newyork, zu¬
letzt im Städtchen Manchester, eine gottesfürchtige Familie Smith, die aus dem
Uankeestaat Vermont eingewandert war. Den zweiten Sohn derselben, Joseph
Smith, erwählte Gott in seiner Gnade und Weisheit, um den Plan einer
dringend nothwendig gewordenen religiösen Wiedergeburt der Menschheit zu
dem Gnadenstand der alten Zeit auszuführen. Zu diesem Zwecke ließ er ihn
1827 in einem Berge bei Palmyra die auf Goldplatten mit ägyptischen Cha¬
rakteren verzeichnete Chronik der Wunder finden, welche der Herr auf dem
westlichen Continent in der Zeit vor der Entdeckung Amerikas gewirkt hatte,
und setzte ihn, den ungelehrten Bauernsohn, durch eine bei den Platten liegende
Brille in den Stand, eine Uebersetzung derselben zu besorgen. Erscheinungen
von Teufeln, Kämpfe mit denselben, Offenbarungen von Propheten und
Aposteln, von Christus, von Gott selbst begleiteten diesen Fund, und Joseph
Smith erhielt den Auftrag, eine Kirche zu gründen, die er in stetem unmit¬
telbaren Verkehr mit dem Himmel regieren sollte, und der verheißen wurde,
sie solle am jüngsten Tage die herrschende werden.

Nicht doch. Das ist die Geschichte, wie sie die mormonischen Schrift¬
gelehrten erzählen. Die Wahrheit ist in Kurzem folgende:

Joseph Smith war ein Taugenichts, der, statt zu arbeiten, von Specu-
lationen auf den Aberglauben seiner Nachbarn lebte, sich mit Graben nach
Schätzen, Geisterbeschwörungen und Teufelsbannerei beschäftigte und allerlei
andere Possen trieb. Um das Jahr 1827 hielt er sich im benachbarten
Pennsylvanien auf. und hier machte er die Bekanntschaft des Campbelliten-
Predigers Sidney Rigdon, eines ehemaligen Buchdruckers, mit dem erden
Plan verabredete, das Manuseript eines Romans, welcher, von einem ge¬
wissen Salomo Spaulding verfaßt, die Herkunft der Indianer von den zehn
Verlornen Stämmen Israels nachweisen sollte, mit dem Rufe des Wunder¬
baren auf den Markt und somit vortheilhaft unter die Leute zu bringen.
Der Verfasser war gestorben, Rigdon hatte dessen Werk als Lecteur eines Buch¬
händlers in die Hände bekommen, und nun sollte es, von jenem in eine Art
Jndicmerbibel umgeschmiedet, von Smith, dem weithin bekannten Schatzgräber,
in einem Berge gefunden worden sein. Bei den Verhandlungen hierüber ver¬
wandelte und erweiterte sich dieser Plan. Rigdon und Smith fanden, daß
sich darauf eine neue Religion gründen ließ, und dieselbe wurde wirklich ge¬
gründet, indem Rigdon in Ohio, Smith im nördlichen Newyork damit auf-


absurde Schwindel des Spiritualismus in Amerika zu einer Religion gewor¬
den ist, die nach den mäßigsten Angaben drei Millionen Bekenner zählt.

Ueber die Geschichte der Secte fassen wir uns so kurz als möglich, um
Raum für eine ausführliche Schilderung ihrer gegenwärtigen Verhältnisse,
Einrichtungen und Glaubensmeinungen zu behalten.

In den zwanziger Jahren lebte im Norden des Staates Newyork, zu¬
letzt im Städtchen Manchester, eine gottesfürchtige Familie Smith, die aus dem
Uankeestaat Vermont eingewandert war. Den zweiten Sohn derselben, Joseph
Smith, erwählte Gott in seiner Gnade und Weisheit, um den Plan einer
dringend nothwendig gewordenen religiösen Wiedergeburt der Menschheit zu
dem Gnadenstand der alten Zeit auszuführen. Zu diesem Zwecke ließ er ihn
1827 in einem Berge bei Palmyra die auf Goldplatten mit ägyptischen Cha¬
rakteren verzeichnete Chronik der Wunder finden, welche der Herr auf dem
westlichen Continent in der Zeit vor der Entdeckung Amerikas gewirkt hatte,
und setzte ihn, den ungelehrten Bauernsohn, durch eine bei den Platten liegende
Brille in den Stand, eine Uebersetzung derselben zu besorgen. Erscheinungen
von Teufeln, Kämpfe mit denselben, Offenbarungen von Propheten und
Aposteln, von Christus, von Gott selbst begleiteten diesen Fund, und Joseph
Smith erhielt den Auftrag, eine Kirche zu gründen, die er in stetem unmit¬
telbaren Verkehr mit dem Himmel regieren sollte, und der verheißen wurde,
sie solle am jüngsten Tage die herrschende werden.

Nicht doch. Das ist die Geschichte, wie sie die mormonischen Schrift¬
gelehrten erzählen. Die Wahrheit ist in Kurzem folgende:

Joseph Smith war ein Taugenichts, der, statt zu arbeiten, von Specu-
lationen auf den Aberglauben seiner Nachbarn lebte, sich mit Graben nach
Schätzen, Geisterbeschwörungen und Teufelsbannerei beschäftigte und allerlei
andere Possen trieb. Um das Jahr 1827 hielt er sich im benachbarten
Pennsylvanien auf. und hier machte er die Bekanntschaft des Campbelliten-
Predigers Sidney Rigdon, eines ehemaligen Buchdruckers, mit dem erden
Plan verabredete, das Manuseript eines Romans, welcher, von einem ge¬
wissen Salomo Spaulding verfaßt, die Herkunft der Indianer von den zehn
Verlornen Stämmen Israels nachweisen sollte, mit dem Rufe des Wunder¬
baren auf den Markt und somit vortheilhaft unter die Leute zu bringen.
Der Verfasser war gestorben, Rigdon hatte dessen Werk als Lecteur eines Buch¬
händlers in die Hände bekommen, und nun sollte es, von jenem in eine Art
Jndicmerbibel umgeschmiedet, von Smith, dem weithin bekannten Schatzgräber,
in einem Berge gefunden worden sein. Bei den Verhandlungen hierüber ver¬
wandelte und erweiterte sich dieser Plan. Rigdon und Smith fanden, daß
sich darauf eine neue Religion gründen ließ, und dieselbe wurde wirklich ge¬
gründet, indem Rigdon in Ohio, Smith im nördlichen Newyork damit auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/290>, abgerufen am 05.02.2025.